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Ul I dazu. Freilich war es weniger die Schule Böcklins, auch nicht einmal die der Secession, in der sie ihren Erwerb fand, sondern eben eine Kunst, die nach Brot geht, recht sehr nach Brot geht. Im Chromo- Institut einer größeren Gesellschaft war es, wo sie Bilder, meist Ansichtskarten kolorierte. Mein Gott, wie mußte sie über die Schablonen fahren, um nur das Nothwendigste, das Allernothwendigste zu er werben, wo nicht wenige Damen mit gar hoch klingenden Namen, denen an der Wiege meist völlig andere Lieder gesungen, hier die Sünden der Väter büßten oder deren Mißgeschick gemeinsam trugen. Allein das Bitterste, was sie je erlebte, das blieb nun einmal ihre Schriftstellerei. Barmherziger Himmel, wenn sie daran dachte! Ihr volles, warmes Empfinden, das mit dem Blute ihres Herzens geschrieben, ging durch ihre Erzählungen, aber nur sehr selten, äußerst selten vermochte sie zu erwärmen. Verleger, die nach ihrer Ansicht kein Herz mit zur Welt gebracht hatten oder höchstens eins von härtestem Gestein, und Redakteure, Leute, die eigentlich niemals Zeit hatten, lernte sie kennen, die immer und immer wieder ihre Arbeiten mit jener gedruckten, äußerst wohlwollenden Ablehnung zurücksandten, aus deren tiefsten Bedauern mehr inniges Mitleid klang. O welch eine Welt voll Enttäuschung! Unwillkürlich hielt sie ihre zarten Hände vor die Augen, als wollte sie alle diese schattenreichen Bilder niemals wiedersehen. Jndeß auch dem unglücklichsten Menschen schlägt wohl einmal eine bessere, glücklichere Stunde, in das schattenreichste Dasein fällt einmal das Helle Sonnenlicht. Felsen fest glaubte sie daran wie der Moslem an seinen Kismet, und daß Alt-Hammer ihr dieses werden sollte, das hoffte sie zuversichtlich. Von hier aus müsse ihr das Glück kommen, dessen war sie gewiß. Warten wir also ab! Wenn Frau von Sydow heimkehrt, und das wird nun bald geschehen, dann werden sich die breiten, silbergrauen Flügelthüren des Gutsschlosses wieder öffnen, dann wird die Zeit nicht ferne sein — und jeder Mensch ist seines Glückes Schmied Während Johanna so philosophierte und die Probleme ihrer Zukunft zu lösen suchte, saß der Inspektor Herbert im Kreise froher, kluger Zecher, der sogenannten besseren Ge sellschaft von G., wozu in erster Linie stets der Bürgermeister mit seiner beneidenswerthen Ruhe und vor allem der Brauereibesitzer gehörte, im „Deutschen Kaiser" in urfideler Stimmung und Gesellschaft bei einer Stärkung, die ihren guten Vorfahren auch nicht zur Schande gereicht hätte. Der Inspektor hatte sich diesen Durst noch von der „Landschaft lichen", jener weltberühmten Hochschule in der Jn- validenstraße von Berlin, zu wahren gewußt, und, als er dann bei dem Ulanen-Regiment in der näm lichen Straße sein Jahr diente und in dieser Zeit gelegentlich das Studium fortsetzte, da fand er auch wenig Grund, der Stammkneipe und den Kommili tonen, die dort aus aller Herren Länder sich zu sammenfanden, fernzubleiben. Heute nun kam im „Deutschen Kaiser" eme Wette zum Austrag, welche Sinnspruch. Willst Du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah. Lerne nur das Glück ergreifen. Denn das Glück ist immer da. die Uneinigkeit der Schützengilde veranlaßte. „Aber verehrtester Herr Direktor", rief der dicke Amtsrichter mit dem ein wenig verpaukten Gesicht vergnügt und hielt dem Brauereibesitzer sein Glas entgegen, „wie konnten Sie nur wagen, die 3711 friedlichen Seelen unserer guten Stadt so in Harnisch zu bringen. Sie Revolutionär par sxeslsnos!" Der so Angeredete saß neben dem Inspektor, lächelte und eine Cigarre wippte in seinem Mundwinkel. Er lächelte oder lachte eigentlich immer — und warum sollte er auch nicht, so dachte der Amtsrichter und die ganze Korona vom runden Stammtisch empfand auch keineswegs anders. War er doch der weitaus reichste Mann am Orte, dem zum Ueberfluß ein göttlicher Humor angeboren war. Jawohl, er konnte lachen. Und die Anwesenden? — sie waren auch nicht minder gut gestimmt, es wirkte eben ansteckend. Ober und Piccolo schwenkten stillvergnügt die Ser vietten und entkorkten eine Flasche nach der andern. Der Inspektor Herbert indes schien heute von weniger Ruhe. Unbemerkt hatte er das Zimmer verlassen in der Hoffnung, auch unbemerkt abzustreichen, wie der Forstmeister nach einem längeren Jagdmahl im Revier Alt-Hammer zum Herrn von Sydow sich einmal zu bemerken erlaubte. Indes diesen Plan hatte sein Intimus, der den Inspektor heute be sonders festzuhalten suchte, sogleich zerstört. Im Nebenraume, der bei Bällen und Festlichkeiten der Garderobe diente, rief er ihm nach, legte seine Hände aus Herberts Schultern und sagte: „Höre mal, mein Junge, was ich Dir noch zu sagen habe". Der Inspektor, der seinen geschickt erdachten Plan, der im übrigen bei ihm bisher noch nie zur An wendung gekommen war, vereitelt sah, lachte vergnügt und glaubte nun einige empfehlende Worte über das Abschiednehmen im allgemeinen und im besonderen vernehmen zu müssen. Dem war indes nicht so. Sein Gesicht schien ganz gegen seine Gewohnheit plötzlich sehr ernst und er begann nochmals: „Ja, was ich Dir noch sagen wollte, mein Junge. Seit unserer Schulzeit goldenen Tagen warst Du mein treuster Freund, und der Himmel gebe, daß es auch fernerhin so bleibe. Nun ist die Zeit gekommen, wo ich Dich, Du Ritter ohne Ar und Halm, gern einmal aus eigener Scholle sähe und so wisse denn, wo immer Dir eine solche rathsam erscheint — das Nothwendige dazu laß meine Sorge sein!" Der Inspektor, der wie aus den Wolken gefallen schien, hatte solche Worte jetzt am allerwenigsten er wartet; er war tief gerührt und begann eben die Erwiderung, als eine Hand auf seinem Munde ihm dies unmöglich machte. (Fortsetzung folgt.) Druck und Verlag non Friedrich May, redigirt unter Verantwortlichkeit von Emil May in Bischofswerda.