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— 734 — obwohl wir im Schußbereich liegen und vorgestern unsre Feldwache auch mit Granaten beschossen worden ist. So auf Feldwache zu liegen, ist ein ganz eigen- thümlicheS Ding und hat neben dem grausigen Ernste manche poesievolle Seite. Wenn man so in Nacht und Nebel seine Vorpostenlinie abreitet und aller Nasenlängen von dunkeln Nachtgestalten mit dem Anruf: Halt! Wer da? Losung? Feldgeschrei? gestellt wird, oder wenn man sich mit gespanntem Revolver in die menschenleeren Dörfer zwischen uns und dem Feinde oder bi« an die feindliche Vorpostenkette heranschleicht — welches Gau dium dann, wenn eine begegnende feindliche Patrouille vor ein paar guten Schüssen das Hasenpanier ergreift, vielleicht mühsam aus verlassenen Kellern auf Wagen geladene Weinfässer oder in Körbchen gepflückten Wein im Stiche läßt und so das Essen und Trinken uns recht bequem macht! Fälle dieser Art sind gerade meinen Leuten passirt. Zu einem ernstlichen Angriff ist es auf meiner Feldwache noch nicht gekommen; wir würden dagegen besten« verbarrikadirt sein. Auch das Geleuchten mit elektrischem Licht haben die Herren Franzosen jetzt aufgegeben, entweder weil ihnen der Spaß zu theuer geworden oder weil ihre Lichtstrahlen, wie ihre Patrouillen, uns stets auf unserm Posten gesunden. Einen Angriff auf dieser Stelle befürchten auch die Franzosen wohl mit Recht nicht. In ver flossener Nacht, auf heute den 16., wurde ich alarmirt durch die Meldung eines ängstlichen Unteroffiziers: „Ein feindliches Regiment in Anmarsch!" Der gute Mann hatte sich aber irre machen lassen durch das Rasseln von Geschützen der auf unserm linken Flügel stehenden Würtemberger. Diese höchst drolligen Schwaben verführen selbst auf Feldwache einen Spectakel, daß man denken möchte, sie schlügen Schlachten, während sie sich unter den Augen der Franzosen, allerdings durch die Marne von ihnen getrennt, mit Fasanen- und Hasenjagd unterhalten. Neulich hatten sie gar ihre Musik mit auf Wache und tanzten dazu ihren Ländler und Hopser, bi« den Franzosen der Jux denn doch zu toll und ihnen in Ermangelung der großen Pauke mit etlichen Granaten aufgespielt wurde. Sonst sind sie nette brave Soldaten, nur sorglos wie Kinder. Conjecturen über unsre nächste Zukunft will ich nicht machen, da sie eben nur Vermuthungen wären. Nächster Tage soll das Bombardement auf Paris von Norden und Süden gleichzeitig beginnen. Doch haben wir Befehl, uns auf sechs Wochen mit Kartoffeln rc. zu versehen! Aus diesem Grunde bitte ich Euch, mir ein Baar wollene Socken und eine Leibbinde zu schicken. Eine trage ich schon seit dem Ausmarsch aus Dresden. Kommen sie zu spät, nach unserm Einmarsch in Paris, so schadet es nichts. Die Veränderung in meinem Wirkungskreis sagt mir ganz wohl zu, besonders durch die größere Selbst ständigkeit vermöge der mir anvertrauten Compagnie führung, abgesehen von der entsprechenden Gehalt aufbesserung. Denn das Geld hat für uns fast keinen Werth, da wir die einfachsten Genüsse mit Gold auf wiegen möchten. Zumal Zucker, Speck, Butter und Käse sind unbezahlbar, und doch braucht man zu den gefaßten Lebensmitteln Zuthaten, um die Speisen genießbar zu machen. Es ist, so wie so, schon schlimm genug, tagtäglich sich selber kochen zu müssen oder wenigstens von Soldaten kochen zu lassen. Ihr glaubt nicht, wie sehr uns an allen Ecken Frauenhände fehlen. Das Waschen und Flicken steht dabei nicht in letzter Linie. Der Soldat muß aber im Felde kuetotum werden. Unter solchen Umständen kann mein Kühne, der vor allen Dingen die Pferde zu versorgen hat, natürlich nicht allein fertig werden. Daher habe ich für die Verrichtungen eines Stubenmädchens und Kammerdieners den Soldaten Lau, während der Soldat Burkhardt für mich und meine Compagnieoffiziere den Koch macht. Dieser ist derselbe Burkhardt, den ich schon in Leipzig einmal kurze Zeit zum Diener hatte. Die edle Kochkunst hat er in jener Universitätsstadt der Frau von S. abgelauscht. !OaS Kochen hier aber ist aus den schon angedeuteten Gründen kein Spaß, zumal wenn es nichts oder immer und ewig bittere Nudeln setzt. Dazu wollen Kartoffeln erst von den Feldern, Möhren aus einem beliebigen Garten, Wein trauben aus den Weinbergen geholt werden. Die Wein trauben sind ganz reif und kostbar süß. Besser war es bisher wenigstens um den Keller bestellt, da unsre Soldaten sich sehr bald eine Jagdhund-ähnliche Spür nase ««geeignet haben, allen in Kellern, Gärten, Höhlen und Bergwerken versteckten oder vergrabenen Wein und Liqueur aufzustöbern. Letzterer ist bei den Franzosen ein wichtiger Gegenstand und von besonderer Güte. Gestern wurden z B. in einem Kalkbruch bei ChelleS einige 40 Faß guten WeinS gefunden und natürlich für gute Beute erklärt. (Schluß deS Briefes in nächster Rnmmer.) Dresden. Staatsminister ».Friesen ist am 24. Octbr. auf erhaltene Einladung in das königliche Hauptquartier nach Versailles abgereist (jedenfalls zur Theilnahme an den Besprechungen über die deutsche Frage). — Die (in Nr. 82 d. Bl. geneidete) Besetzung von Montdivier am 17. October ist durch da« k gl. sächs. Gardereiter-Regiment erfolgt, welches dabei durch Ueberraschung 4 Offiziere und 178 Mobil garden zu Gefangenen gemacht hat. — Die hiesige polytechnische Schule ist seit Beginn des Wintersemesters zu einer Akademie er hoben und die längst gewünschte Studienfreiheit bei derselben eingeführt worden. Berlin. Am 26. Octbr. feierte General Moltke seinen siebzigsten Geburtstag. Hamburg. Seit 20. Octbr. sind vor der Be obachtungsstation der Elbemündung keine feindlichen oder verdächtigen Schiffe mehr gesehen worden. Frankreich. Es liegen Anzeichen vor, daß in nächster Zeit das Oberelsaß der Mittelpunkt der verzweifelten Anstrengungen republikanischer und socia- listischer Elemente werden soll. Garibaldi soll die Sache in Gang bringen. Auch am Oberrhein tauchen Führer der Arbeiterpartei auf, hallen Zusammenkünfte und träumen von der Rettung Frankreichs und der Proclamirung der Universalrepublik. Dies Alles scheint zu dem großen Feldzugsplane Gambetta'S zu gehören, zu dem „Zusammenwirken der Armeen," die — nicht existiren. Ueber dies thörichte, verzweifelte Ringen schreitet der Fuß unserer Krieger unerbittlich hinweg und fegt es schon in seinen Anfängen von dannen. Daß JuleS Favre und Gambetta den Kampf noch fortsetzen, liegt in ihrer Furcht, daß die Wahlen zu einer Nationalversammlung, wenn man sie jetzt vor nehme, zu friedlich und auch zu orlean.istisch auS- fallen würden. Und die Befürchtungen, daß die Orlea- nisten ans Ruder kommen könnten, — sei es nun, daß