Volltext Seite (XML)
Das theure Seidenkleid. Novellen? von Lo.nise Mühlbach. (Fortsetzung.) Herr Lehmann verspürte dann zuweilen wohl eine Anwandlung von Wuth, er hätte schreien, fluchen, wettern mögen, aber — aber er verbarg seinen In grimm hinter einem milden Lächeln und nur bittende und gute Worte sprachen seine Lippen dann. — Ach Rieke worein gar so hübsches Weibchen, und er liebte sie so herzlich, und der Doctor hatte ihm gesagt, daß sie wirklich recht schwache Nerven habe, und daß man sehr zart mit dem „jungen Frauchen" umgehen müsse. Aber trotz ihrer schwachen Nerven wußte doch Rieke ihre starken Nerven sehr gut zu gebrauchen und so zu rechter Zeit zu weinen und zu seufzen, zu schmollen und zu maulen, daß ihr lieber guter Ehemann nach sechs Tagen schon zu der festen Ueberzeugung gekommen war, daß er vollkommen im Unrecht, daß er ein Barbar gewesen, seiner lieben kleinen Frau ein Seidenkleid zu versagen, daß es ein ganz vernünftiger Wunsch von ihr wäre, gleich ihren Freundinnen ein buntes Seiden kleid zu besitzen, und daß das Geld, welches ihm sein Pathe zur Hochzeit geschenkt hatte, durchaus nicht besser angewandt werden könne, als wenn er eS zu einem Seiden kleid für seine liebe Rieke anwende. Just an dem Tage, an welchem Herr Lehmann zu dieser Ueberzeugung gekommen war, und nur noch überlegte, wie er, ohne seiner Würde zu viel zu ver geben, dem theuren hübschen Weibchen seine Sinnes änderung mittheilen solle, just an dem Tage erhielt Herr Lehmann ein großes, mit dem Königlichen Ka- binetssiegel versehenes Schreiben. Die Antwort aus seine Beschwerdeschrift wegen der erhaltenen Ohrfeigen. Er las das Schreiben mehrmals, fluchte erst ein wenig, aber dann erhellte sich auf Einmal sein Gesicht, denn er hatte jetzt das Mittel gefunden, wie er der lieben Rieke aus passende Art seine Sinnesänderung kund zu thun habe. Mit dem königlichen Schreiben in der Hand trat er in das Wohnzimmer und näherte sich dem hübschen Weibchen, das am Nähtisch saß und arbeitete. Sie blickte gar nicht auf, sondern nähete weiter. „Riekchen, ich habe Dir etwas mitzutheilen." „Mir? Ich wüßte nicht, waö Du mir könntest mitzutheilen haben." „Doch, mein Riekchen. Du weißt, daß ich an den König geschrieben und mich beschwert habe." „Ueber die Ohrfeigen der Prinzessin," sagte sie spitzig, „oh ja, ich weiß." „Der König hat mir heute geantwortet, und hier ist seine Antwort. Willst Du sie nicht einmal lesen?" „Danke, Ich habe soviel zu nähen und eS inter- essirt mich so wenig!" Sie sagte da« mit einem schnellen Aufschlag ihrer schönen Augen, welche Lchmann bis in'S Herz hinein blitzten. „So erlaube mir, Rieke, daß ich Dir die Ant wort des Königs vorlese. Sie lautet also: „„Die Accisrgefälle verliere ich. Die Prinzessin behält das Kleid und die Ohrfeige der, welcher sie bekommen hat. Was die Schande betrifft, so spreche ich den Kläger davon loS. Denn die Berührung einer schönen Hand kann nie das Gesicht eines Accisebeamten entehren."" — Nun, was sagst Du dazu, Riekchen." „Ich? Oh ich sage gar nichts dazu." „Aber ich," sagte Herr Lehmann energisch, „ich sage etwas dazu. Ich sage, daß wenn der König seinen Accisebeamten nicht schützen will gegen unwürdige Be handlung, dieser sich wenigstens rächen wird. Ja, ich will mich rächen, und das Seidenkleid, welches ich meiner Rieke kaufen will, werde ich nicht aus den inländischen Fabriken nehmen, welche noch sehr schlechte Zeuge fa- briziren; nein, ich werde es gerade so machen, wie die Prinzessin Elisabeth von Preußen! Ich werde mir da« Seidenkleid aus Frankreich einschmuggeln, das ich meiner lieben Rieke schenken will." Sie sprang auf und es flog wie ein Heller Son nenstrahl über ihr Gesicht, und ihre Augen glänzten wieder, und auf ihren Lippen stand wieder ein reizendes Lächeln. „Ist das Dein Ernst? Du willst mir ein fran zösisches Seidenkleid kaufen?" „Mein voller Ernst, Riekchen! Ich will's! Ja, ein französisches Seidenkleid will ich für Dich aus Lyon kommen lassen. Wenn die Prinzessin von Preußen das thun und keine Strafe zahlen darf, na, dann werde ich's auch wohl thun dürfen! und ich will's thun!" „Oh Du lieber, Du einziger Mann! Laß Dich küssen, laß Dich umarmen!" Sie küßte ihn, sie schlang ihre vollen runden Arme um seinen Hals, und der gute Lehmann sand, daß sein wiederhergestelltes Eheglück nicht zu theuer be zahlt sein würde mit einem theuren französischen Seidenkleid. m. Ende gut, Alles gut. Aber ach, die Tage gleichen sich nicht, und was wir am Morgen als ein Glück begrüßen, kann Abend! schon uns in Trauer und Leid versenken! Es waren allerdings glückliche Tage, welche für Lehmann und seine Rieke dem ersten ehelichen Zwist und der ersten Versöhnung folgten. Diese Versöhnung glänzte wie Heller Sonnenschein auf des guten Accisebeamten ehr lichem und treuem Angesicht, und das liebliche Lächeln, mit welchem ihn seine Rieke immer empfing, wenn er vom Packhof heimkam, und die innigen Küsse, welche er von ihren rosigen Lippen nehmen durfte, schienen ihm ein köstlicher Lohn für jene Tage der Trübsal und Schmerzen. Und was sie für Pläne machten für die Zukunft, und wie oft sie von dem reizenden kleinen Feste sprachen, welches sie am Jahrestag ihrer Hochzeit geben wollten, und bei welchem Rieke ihr neues Seidenkleid anziehen werde! Wenn's nur erst da wäre, das ersehnte Kleid! Wenn die Zeit nur nicht so langsam hinkröche! Herr Lehmann hatte sich die Adresse des Handelshauses in Lyon von der Rechnung der Prinzessin sehr wohl gemerkt, und an dasselbe Haus hatte er geschrieben, und ein blaues Damast-Seidenkleid bestellt für dreißig Thaler, und gebeten, auf die Adresse zu schreiben: „In liegend Spitzen." Er war also ganz sicher, das Packet ungefährdet zu erhalten, denn er hatte ja immer noch den Dienst in der Packhalle, und würde also selbst das Packet in Empfang nehmen. „Rieke," sagte er, als er heute morgen von ihr Abschied nahm, um auf den Packhof zu gehen, „Rieke, heute paß auf, wenn ich von dem Packhof nach Hause komme." „Oh Du guter lieber Mann, Du bringst doch nicht etwa"