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Freitag. Erscheint Dienstags und Freitags. Zu beziehen durch alle Postanstalten. Nr. IW 23. December 1870. Weißerih-Ieitung. Preis pro Quartal 10 Ngr. Inserate die Spalten-Zeile 8 Pfg. Amts- and Anzeige-Matt der Königlichen Gerichts-Ämter und Stidträthc zv Dippoldiswalde und /raaenkein. yrriinswortlichrr Nr-iictrur: Carl Iklink in klippoldis walde. Zum heiligen Abend. v Tannendust, o Weihnachtsglanz, Du grüner Baum voll lichter Kerzen, Wie füllt dein Ahnen schon so ganz Die hoch erregten Kinderherzen! Wie weckst du in der Männerbrust Ein Sehnen nach den fernen Tagen, Wo auch darin voll AhnungSlust Ein selig Herzchen mochte schlagen! Bald wieder jauchzt die kleine Schaar Wohl um den Tisch voll FesteSgaben; Es ist der Freude Hochaltar, Um den sie sich versammelt haben. Sie staunen Alles trunken an Und staunen auf zu all' den Lichtern, Und was ihr Mund nicht sagen kann, Strahlt von den glücklichen Gesichtern. Und was und wie ein Jedes sei, Unmöglich können sie'S verschweigen; Sie bringen s einzeln all' herbei, Um triumphirend eS zu zeigen. Da senkt sich stumm der nasse Blick, Durch Thränen lächelnd auf sie nieder; Das Herz zerschmilzt in ihrem Glück, — Der Kindheit Träume kehren wieder! Ja, willst du wissen, waS eS sinnt, Das liebe Christkind hier auf Erden, So mußt Du selbst, o Mensch, zum Kind Im Kreise froher Kinder werden. Und glücklich, wen die Weihnachtszeit Nicht einsam findet und verlassen, — Wer sichtbar die Unsterblichkeit Mit seinen Händen mag erfassen! Ob Paris bombardirt wird? Am 19. December waren es gerade drei Monate, daß die Belagerung von Paris begonnen hat. Verluste an Menschenleben, entsetzliche Verluste sind die greifbaren Resultate aus der Belagerungsgeschichte von Paris. DaS einzig Tröstliche mag darin bestehen, daß durchweg die Verluste der Franzosen größer gewesen, als die unsrigen. Wie oft wurde — und auch heute wieder — das unmittelbar bevorstehende Bombardement angezeigt, wie oft von andern Seiten gemeldet, daß die deutsche Krieg führung gar nicht an die Beschießung von Paris denke. Der Hunger klopft an die Thore des modernen Babel; Hunde, Katzen und Ratten sogar gehen zu Ende; Paris muß sich in den nächsten Tagen ergeben! so hieß eö von dieser Seite, und andererseits fand man doch starke Rationen von Pferdefleisch in den Tornistern der vor Paris gefallenen Franzosen. Wir können kaum von Mißerfolgen der deutschen Waffen sprechen; doch die Geringfügigkeit unserer militärischen Erfolge vor Paris ist in die Augen sprin gend, — und darum das massenhafte Morden und Blut vergießen! Auch ohne strategische Kenntnisse dürften wir behaupten, daß die Nichtbeschießung von Paris eine Unterlassungssünde ist. Bet der sonst so vortreff lichen Kriegsleitung durch den Grafen Moltke ist diese Unterlassungssünde wahrscheinlich eine unverschuldete. Auch dem Grafen Bismarck wollte man zürnen, daß er aus Humanität das Bombardement hintertrieben. Doch er besitzt einen freien Blick und unbefangenes Urtheil: er wird es gewiß nicht human finden, Tau sende deutscher Soldaten dem Tode oder langem Sieg- thum zu weihen ; er wird gewiß nicht 7— wie Victor Hugo — Paris als „heilige Stadt" bezeichnen und eine Verletzung derselben eine Sünde nennen; er wird es für verdienstlicher halten, Menschenleben zu retten und dafür Baudenkmäler der Vernichtung Preis zu geben, als umgekehrt; er wird wissen, daß durch eine energische Beschießung die Belagerung der Stadt wesentlich abgekürzt worden wäre, — und doch unterblieb das Bombardement! Erkläre man uns diesen Zwiespalt! Nicht allein wegen Mangel an Munition und groben Belagerungsgeschützen unterblieb anfangs die Beschießung; die deutschen Pioniere mußten erst die geschützten Positionen schaffen. Sowohl die Erdarbeiten als auch die Heranschafiung genügender, so schwer transportabler Geschütze kann wohl zwei Monate er fordert haben. Bis gegen Ende November war ein erfolgreiches Bombardement von Paris faktisch unmöglich. Die Hoffnungen, die man auf den Hunger und die Revolution in Paris setzte, erwiesen sich beide nicht zuverlässig. Wird nun Paris noch bombardirt werden? Und wird die „heilige Stadt" bald fallen? Der Eine glaubt dieses, der Andere jenes. Der Deutsche hat sich daran gewöhnt, jeden Tag, so gut wie das Frühstück, seine officielle Depesche zu haben: — zu welcher Zeit nun König Wilhelm seiner Gemahlin nicht mehr von Ver sailles, sondern vom Schlöffe der Tuilerien in Paris