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98 sie, aus einer bestimmten Anzahl von Pfunden Rohta- back eine gewisse Menge von Cigarren zu liefern. Ein etwaiges Deficit muß der Arbeiter decken. Die Härte der Bestimmungen in der neuen Fabrikordnung hat nun den Strike der Arbeiter hervorgerufen. Sie habe» in einer Versammlung die Begründung einer Produc tivgenossenschaft und die Anschaffung der nöthigen Rohtabacke sowie die Etablirung eigener Verkaufsstellen durch Bons beschlossen. Eine Anzahl renommirter Eine Lhat ohne Zeugen. Erzählung von C. H. Otto. (Fortsetzung.) Es war bereits dunkel. In einem Bauernhöfe, der ziemlich am Ende des Dorfes lag, brannte ein Licht; es brannte nicht in der Wohnstube, sondern in einem der oberen Zimmer. Das Zimmer war ver schlossen; es wurde darin gesprochen, und zwar waren es zwei weibliche Stimmen, welche die Unterredung führten, sonst war das ganze Haus still. Der Hof gehörte einer Schwester der Gehegbäuerin; das hatte diese benutzt und durch die Vermittelung ihrer Schwester unbemerkt hier die Zusammenkunft mit Evi bewerk stelligt. „Nun meinetwegen," ließ sich die Gehegbäuerin vernehmen; „ ich bin die Mutter und darf wohl mein Kind vertheidigen; wenn Du aber darauf bestehst, daß Bastel Dir Unrecht gethan hat, so will ich es zugeben. Wenigstens hätte er suchen sollen, im Guten mit Dir auszukommen." „Das Einzige," versetzte Evi, „was er als ehr licher Mensch zu thun hatte, war, daß er mir Wort hielt." „Das hat er nicht gethan," erwiederte die Ge hegbäuerin, „und deßhalb hegst Du Zorn gegen ihn." „Dadurch hat er mich für immer unglücklich ge macht," entgegnete sie, und die Thränen traten ihr in die Augen. „Ich habe ihn so lieb gehabt, mit ganzer Seele hing ich an ihm, — und das zu erfahren, solche Falschheit!" „Evi," fiel die Bäuerin ein, „es ist doch wohl nicht das erste Mal, daß so etwas vorkommt. Andere haben sich getröstet, so wirst Du Dich auch trösten können." „Das weiß ich wohl." „Auch bi» ich und mein Mann bereit, Dich zu entschädigen." „Wofür?" fragte Evi rasch. „Daß der Bastel Dir nicht Wort gehalten hat," entgegnete die Bäuerin. „Dafür kann mich Niemand entschädigen," rief Evi, „gerade wie wenn mir Einer ein Auge ausreißt, kann er mir ein anderes dafür geben?" „DaS nicht," versetzte die Bäuerin; „aber Du hast volles Recht auf eine Entschädigungssumme, die wir ich Dir zahlen." „Ich mag kein Geld," sagte Evi heftig. „Nun ja," entgegnete die Bäuerin, „Du glaubst, wir würden Dir etwas auf einen Span bieten; nein, Du irrst, Du sollst ausreichend bekommen." „Nicht den Heller nehme ich!" „Du wirst doch nicht thöricht sein, nichts nehmen, warum denn nicht? ein paar hundert Thaler sind schon der Rede werth." Berliner Tabackshandlungen hat sich zur Unterstützung dieses Unternehmens durch Lieferung von Rohtabacken bereit erklärt, und in mehrer» Arbeiterversammlungen beschlossen die Versammelten, künftighin ihren Cigarren bedarf nur von ihren, nach Selbstständigkeit ringenden Kameraden zu entnehmen; auch drückten sie durch eine Beisteuer in Geld ihre Sympathien aus. Sollte das Unternehmen glücken, so wird es ohne Zweifel zahl reiche Nachahmung finden. „Mit Geld," rief Evi, „heilt kein zerrissenes Herz, eS macht Geschehenes nicht ungeschehen, noch Unrecht zum Recht." „Nun dann," nahm die Bäuerin das Wort und sah Evi durchdringend an mit ihren grünen Augen, die wie Katzenaugen funkelten, — „nun dann, ich habe Dir noch etwas zu sagen, höre mich an, Du hast den Bastel angeklagt, als hätte er Dich in's Wasser ge stoßen." „Er that's," erwiederte Evi fest. „Wer weiß das?" fiel die Bäuerin ein. „Die That ist ohne Zeugen geschehen. Die Anklage berühr auf Deiner Aussage." „Was wollt Ihr damit sagen, Bäuerin?" ent gegnete Evi langsam und die Bäuerin fest ansehend. „Nichts, mein Kind," versetzte diese. „Ich meine nur, es fehlt an den Zeugen; es kann so sein, kann auch nicht so sein, wie Du sagst." „Ihr meint also, der Bastel ist unschuldig?" „Unschuldig!" „Und ich hätte ihn fälschlich angeklagt?" „Man könnte es denken, da alle Beweise fehlen." „Meint Ihr, daß ich so gewissenlos bin, einen Unschuldigen anzuklagen?" rief Evi, und ihr Gesicht leuchtete in Hellem Zorn. ,,Nun, nimm's nur nicht gleich so übel," erwie derte die Gehegbäuerin. „Ich bin die Mutter; glaubst Du nicht, daß es mir schwer wird, an die Schuld meines Sohnes zu glauben?" „Ja, ich kann mir das in Eurer Lage denken." „Sieh', mein Mann zu Hause ist untröstlich vor Kummer," fuhr die Bäuerin fort; „er ißt, trinkt und schläft nicht, weil er fest überzeugt ist, daß der Bastel unschuldig im Gefängnisse schmachtet. Was habe ich da schon zu leiden!" „Dann geht's Euch, wie mir." „Dazu die Last und Sorge, die auch mir auf dem Herzen liegt, Tag und Nacht komme ich nicht aus dem Weinen ..." Die Bäuerin zerdrückte wirklich einige Thränen. Evi vermochte ihr nicht in's Gesicht zu sehen, sondern sie wurde unruhig und schlug die Augen zu Boden. „Ach, das sind die fürchterlichsten Tage, die ich je erlebt," schluchzte die Bäuerin. „Glaubst Du nicht, daß ich gern die paar hundert Thaler gebe, um alle diese Angst und Sorge los zu werden?" „Aber wie kann ich Euch davon befreien?" „Du kannst es, — nimm Deine Anklage zurück!" Nimm Deine Anklage zurück! Diese paar Worte durchzuckten Evi wie ein Schlag; sie sah die Bäuerin eine Weile starr an. „Wie meint Ihr das?" stammelte sie endlich. „Sehr einfach; Du sagst, der Bastel hat mich nicht in den Brunnen gestoßen, ein Anderer war's, oder was Du sonst willst!" „Das soll ich thun?" rief Evi.