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Eine That ohne Zeugen. Erzählung von C. H. Otto. (Fortsetzung.) Als führte von Haus zu Haus ein elektrischer Draht, mit solcher Schnelligkeit verbreitete sich durch'« ganze Dorf das Gerücht: des Gehegbauers Bastel hat die Evi in den Brunnen gestürzt! Das erste Wort jedes Begegnenden war: Weißt Du es schon? — dann gab es ein Fragen, Flüstern und Erzählen. Auf allen Gesichtern lag gespannte Erwartung; seit langer Zeit hatte kein Ereigniß das Dorf so in Auf regung versetzt. Aus einem Hofe, vor dessen Thor zwei mächtige Kastanienbäume standen, schritt ein ältlicher Mann im Sonntagsanzug mit Hut und Stock und in würdiger Haltung, begleitet von einem Mannne in gewöhnlicher Alltagskleidung. Beide waren im eifrigen Gespräche. „Ueberlege Dir's noch einmal, Schulze," sagte der Mann in dem Allragsanzug, „damit Du keinen unnützen Gang thust." „Es ist meine Pflicht, Bollmann," erwiederte der Andere, „von diesem Vorfälle Anzeige zu machen." „Thue es morgen; warte, bis sich die Sache besser aufgeklärt hat." „Ich habe mit der Evi selbst gesprochen," fuhr der Schulze fort; „sie bestätigt Alles, was sie ihren Herrenleuten erzählt hat. Sie sagt: „der Bastel hat mich in den Brunnen gestoßen;" sonach handelt sich's um ein Verbrechen, da darf ich mir keinen Aufschub zu Schulden kommen lassen, das weißt Du selbst, Bollmann." „So," — erwiederte dieser mit einem höhnischen Lächeln — „Du nstnmst also auf Treu' und Glauben an, was die Evi sagt? Manche sind anderer Meinung." „Wie so?" „Die Evi," fuhr Bollmann fort, „ist eine schlaue und verschmitzte Dirne, und wenn sie sagt: der Bastel hat mich hineingestoßen, so braucht das noch lange nicht wahr zu sein." Der Schulze schüttelte ernst den Kopf. „Was könnte sie veranlassen," entgegnete er, „eine Unwahrheit zu sagen, einen Unschuldigen anzuklagen?" „Ueberlege Dir die Umstände," versetzte Boll mann, „es ist so unwahrscheinlich nicht; denke nur an des Verhältniß zwischen Beiden." „Das spricht dafür, daß Bastel der Thäter ist." „Der Bastel?" — rief Bollmann, „der Bastel ist ein braver und ordentlicher Bursche, der nun und nimmer einer solchen That fähig ist. Niemand weiß ihm etwas Schlechtes nachzureden." „Auch der Evi nicht," bemerkte der Schulze. „Der Bastel," fuhr Bollmann fort, „ist kein Trinker, auch ist er kein Spieler oder Händelsucher oder führt lüderlichen Umgang; wie kann man ihn ohne alle Zeugen und Beweise auf das Wort einer falschen Dirne hin schuldig sprechen?" „Schuld oder Unschuld wird sich ausweisen," be merkte der Schulze. „Ja, ausweisen wird sich's," fuhr Bollmann eifrig fort, „daß die Evi ein grundschlechtes Weibsbild ist, die den Bastel in'S Verderben stürzen will. Denn der Bastel hat die That nicht verübt und kann sie nicht verübt haben; die Leute auf dem Geheghof be zeugen, daß er in der verflossenen Nacht den Hof nicht verlassen hat und also auch nicht in das Dorf herein gekommen ist." „Gut!" murmelte der Schulze. „Dann," — nahm Bollmann wieder das Wort — „wenn der Bastel mit der Evi am Kammer fenster spricht, wenn er mit ihr an den Brunnen geht, dort noch mit ihr redet, dann nach geschehener That das Dorf wieder verläßt, ist es da nicht merkwürdig, daß kein einziger Mensch ihn gesehen hat?" „Es war ganz in der Frühe," erwiederte der Schulze, „als die Leute noch schliefen." „Dem Bastel wird man schwerlich etwas an haben können, denn man hat weder Zeugen, noch Be weise gegen ihn. Aber die landläufige Dirne, die Evi, sollte ihr Schelmenstück büßen." „Schelmenstück," — fragte der Schulze — wieso?" „Ein richtiges Schelmenstück," versetzte Boll mann, „ein schlau ausgesonnener Plan, sich zu rächen." „Wofür zu rächen?" warf der Schulze ein. „Dafür, daß sie sich getäuscht sieht," erwiederte Bollmann. „Sie glaubte schon als Bäuerin auf dem Geheghof zu sitzen und sich breit machen zu können. Der Bastel hat sich wohl mit ihr gespaßt, aber nicht daran gedacht, sie zu heirathen." „Dann hätte er sie in Frieden lassen sollen." „Nun, ich gebe zu, daß er ihr etwas zu viel in den Kopf gesetzt; allein die Evi war wie toll auf ihn und hat ihn mit ihrer Liebe ordentlich verfolgt. Als nun das Gerede im Dorfe ging, der Bastel freie um meine Margret, da fuhr eine höllische Eifersucht in sie; sie machte dem Bastel die bittersten Vorwürfe, sagte, sie wolle in's Wasser springen, und dergleichen mehr. Als sie sah, daß der Bastel sich nicht um ihr Geschrei kümmerte, da sann sie auf Rache." „Wie wollte sie sich rächen?" fragte der Schulze. „Nimm an, sie geht zum Brunnen," verletzte Bollmann, den Blick scharf auf seinen Begleiter ge richtet; „durch einen Zufall stürzt sie hinab, wird aber wieder herausgezogen. Nun sagt sie, der Bastel hat's gethan; — ist das nicht eine teuflische Rache?" „Dann müßte die Evi ein grundverdorben böses Gemüth haben!" entgegnete der Schulze. „Was thut der Mensch nicht in verblendeter Lei denschaft?" erwiderte Boll mann. „Sie war mit dem Bastel, wie sie selbst erzählt, einige Tage vorher heftig zusammen gekommen. Wuth und Aerger kochen noch in ihr, da überlegt sie nicht lang und giebt den Bastel als Thäter an. Hat sie das Wort einmal fallen lassen, so kann sie es nicht wohl zurücknehmen. Das ist meine und vieler Anderer Meinung." „Auch für diese Meinung," entgegnete der Schulze, „fehlen Zeugen und Beweise." „Du wirst aber sehen, daß ich Recht habe," fuhr Bollmann fort, „eS handelt sich um ein rechtes Schelmenstück. Der Bastel ist unschuldig, das kann ich behaupten." „Wird sich finden," entgegnete der Schulze kurz. ,,Ja, es wird sich finden," entgegnete Boll mann unwillig, „aber erst Lärm und Aufsehen machen, das Criminalgericht rufen, lange Untersuchung anstellen, — Schulze, könntest Du dem Bastel oder wenigstens seinen Eltern das ersparen!" „Ich?" „Ja, wenn Du Deine Anzeige unterlässest und abwartest, wie sich die Sache herausstellt. In einigen Wochen ist übrigens Gras über die Geschichte gewach sen, und kein Mensch denkt mehr daran."