Volltext Seite (XML)
Der Vexir-Cotillon. Erzählung ans dein wirklichen Leben von Eduard Gottwald. (Zortschung) Der Sonntag, an welchem Blembel und Au guste sich der Sängerfahrt anschließen sollten, war gekommen; ein klarer, wolkenloser Himmel leuchtete in sonnigem Morgenglanze auf Berg und Thal her nieder, ein kühler erfrischender Ostwind verjagte die letzten Trümmer des grauen Nachtgewölks, welches auf den Höhen der Gebirge sich gelagert, und Alles verkündete einen der schönsten Sommertage. — Punkt fünf Uhr früh war Blembel mit seiner Geliebten, die ihm heute in einfacher, aber geschmackvoll gewähl ter Kleidung noch schöner und noch liebenswürdiger erschien, als bisher, auf dem Eisenbahnhofe, und stolz war er Arm in Arm mit derselben durch die Straßen der Stadt gezogen, sich im Stillen darüber ärgernd, daß so wenig Leute auf den Beineu waren, indem er nichts mehr gewünscht hätte, als von der Bevölkerung der ganzen Stadt mit seiner Auguste bewundert werden zu können. Nach und nach kam die den Sän gerverein bildende Gesellschaft auf dem Bahnhofe zu sammen, die Glocke erlönte zum letzten Male und Alle stiegen in die gemietheten Gesellschaftswagen; doch von all' den Versammelten, unter welchen es zahl reiche Liebespaare zu geben schien, war kein Pärchen mit größerer Erwartung und sicherer Hoffnung auf einen recht fröhlichen Tag erschienen, als Anguste und deren Liebhaber. Aber die unangenehme Erfahrung, daß im Voraus zu heitern geselligen Vergnügungen bestimmte Tage, welche man so gern zu besondern Festtagen als Er holung nach dem ernsten Werkeltagsleben sich umzu schaffen sucht, und von welchen man sich durch Ein tracht, Frohsinn und Scherz recht reichen Genuß ver spricht und eine nach Jahren noch heitere Erinnerung — die Erfahrung, daß solche Tage oft sehr arm an Erheiterung sind, sehr langweilig vorüber gehen, ja sogar, statt Scherz und Freude, oft Verdruß und bit tere Kränkung bringen, während ein günstiger Zufall eine freie Abendstunde, Geist und Herz labend, zum fröhlichen Festabend umschafft, diese etwas unange nehme Erfahrung, die wohl schon mancher der freund lichen Leser gemacht, sollte auch unser Liebespaar machen. Wir wollen die Sängerfahrt, welche von Mügeln aus zu Fuß nach Weesenstein zog und gegen Mittag in einem nahe bei Dohna gelegenen Gasthof das im Voraus bestellte Mittagsmahl einnahm, nicht Schritt für Schritt verfolgen; aber schon im Gesellschaftswagen auf der Eisenbahn erhielt Blembel die Nachricht, daß der einzige ihm Bekannte unter all' den Anwe senden, sein Landsmann, abgehalten worden sei, die Fahrt mitzumachen und sich schon gestern Abend ent schuldigt habe, während Auguste die ihren Liebhaber etwas beunruhigende Bemerkung machte, daß der junge Gärtnergehülfe, welcher ihr schon zwei Mal so schöne Blumensträuße überreicht hatte, auch anwesend sei und mit zu diesem Sängervereine gehöre, welcher größten- theils aus jungen Handwerkern und Künstlern bestand. Dieß Gefühl des gänzlichen Unbekanntseins mit dieser Gesellschaft, unter welcher Beide den ganzen Tag verleben sollten, stimmte deren auf die Eisenbahn gebrachte frohe Laune schon etwas herab, obgleich sich dieß bei der Fußtour schon günstiger gestaltete, und Auguste besonders, in Folge der Aufmerksamkeit, mit welcher der Gärtnergehülfe sie behandelte, bald mit mehreren der jungen Damen und Herren bekannt wurde, während man sich um den stillen und schon etwas melancholisch den Kopf hängenden Wittchenauer weit weniger kümmerte, und den aufzuheitern Auguste all' ihre heitere Laune anfbot und ihn aufforderte, dreister mit deu Damen und Herren sich in ein Ge spräch einzulassen oder in einen Scherz einzustimmen. Allein des Wittchenauers Gesicht blieb trübselig und wurde immer finsterer, je lauter um ihn her Alles lachte, sang und jubelte, und nur bei der Mittags tafel, wo der Wein ihm gut zu munden schien und Auguste ihm znr Seite saß und lächelnd auf eine heitere, glückliche Zukunft mit ihm anstieß, da ward ihm wieder wohl um's Herz, und er nahm sich'ö ernst lich vor; recht lustig zu sein, entkorkte, um dieß mög lich zu machen, trotz der warnenden Blicke und Mah nungen Augustens, eine zweite Flasche Meißner Sechsundvierziger, welcher bekanntlich nicht zu den leichtesten Weinen gehört, und hatte, als man von der Tafel aufstand, einen kleinen Haarbentel, was jedoch nur Augusten auffiel, die ihn genauer kannte und nur froh war, daß er bei diesem Räuschchen, welches er sich getrunken, so recht gemächlich schwatzhaft ge worden war. — Die Gesellschaft begab sich nun in den zum Gasthofe gehörigen Garten, und die jünge ren Damen und Herren versammelten sich zu einem Pfänderspiele, an welchem auch Blembel und seine Geliebte Theil nahmen, wobei er jedoch sehr oft der Gefoppte war, während Auguste, trotz all' ihres Sträubens, sich mehrmals küssen lassen mußte, was allen übrigen Damen ebenfalls passirte, wobei aber deren Liebhaber jedesmal ein sehr saures Gesicht schnitt und diesen Spielgebrauch höchst unpassend fand. Diese Pfänderspiele wurden jedoch plötzlich unter brochen, als vom Saale her die Melodie eines Lan- ner'schen Walzers ertönte, welchen einer der jungen Herren auf dem dort befindlichen Pianoforte unter zahlreichen Mißgriffen probirte. „Laßt uns tanzen! Eine Polka! Einen Walzer!" riefen Damen und Herren lebhaft durcheinander, und Alles eilte nach dem Saale, wo schon bald ein Pianofortespieler sich vorfand und nach wenigen Minuten einen Walzer begann, dem eine Polka und Throlienne folgte, nach welcher ein Cotillon den kleinen improvisirten Ball beschließen sollte. Auguste, welche, da es an tanzlustigen Herren fehlte, bisher keinen Tänzer gefunden hatte, saß nebst noch mehreren Damen, die den stillen Aerger, nicht engagirt zu werden, gegenseitig hinter dem Vorwand von Kopfschmerz oder 'Müdigkeit versteckten, am Ende des Saales, während Blembel, der beim Pfänder spiele in der freien Luft und durch den Genuß einiger Tassen starken schwarzen Kaffees sein Räuschchen über wunden zu haben schien, in stillen Betrachtungen ver sunken, bald auf seine Braut, bald auf die Tanzenden blickte, aber jedes Mal die Stirn in Falten zog, sobald der Gärtner in Augustens Nähe kam. Dieser aber hatte seiner Nachbarin andere Damen vorgezogen und schien eben keinen besondern Gefallen an dem Bräutigam derselben zu finden, über dessen harmlose Bemerkungen er während des Pfänderspiels, sowie bei Tische oft in ein lautes Gelächter auSgebrochen war, welches Blem- beln jedesmal im Stillen die Galle in's Blut getrie ben hatte.