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720 Berlin. An eine persönliche Begegnung des Königs mit dem Kaiser von Oesterreich und König von Ungarn ist zunächst nicht zu denken. Die Verhandlungen über das Wehrgesetz im öfter. Abgeordnetenhause haben gezeigt, daß an der Donau noch viel zu viel Groll gegen Preußen vorherrscht. Köln. Am 17. Novbr. Nachmittags vor 4 Uhr ist hier an verschiedenen Stellen eine Erderschüt terung verspürt worden. Wien. Man darf sich nur daran erinnern, daß nicht mehr ein österreichischer Kaiserstaat, sondern eine österreichisch-ungarische Monarchie und ein Kaiser und König existiren, und daß gegenwärtig zum ersten Male die deutschen Vertreter mit den Ungarn in Pesth ver handeln, um zu begreifen, daß der Dualismus nicht zur Stärkung deö Donaureiches beigetragen. London. Das jetzige englische Ministerium, repräsentirt durch die Herren Israeli und Stanley, stellt jetzt offen seine Sympathien für Prenßen zur Schau. Lord Stanley sagte letzthin mit dürren Worten: Frank reich werde sich daran gewöhnen müssen, Preußen als den Oberherrn in Deutschland anzusehen; Preußen habe auch keinen Grund zu einem Kriege, da demselben die Führerschaft des geeinigten Deutschlands als natürliches Erbtheil gewiß sei. Frankreich würde eine solche Einigung jetzt wahrscheinlich nicht gestatten, aber seine Staats männer hätten die Unvermeidlichkeit und Uugefährlich- keit derselben für Frankreich einzusehen begonnen. Die Mehrheit des französischen Volkes habe friedliche Ge danken; auch Kaiser Napoleon kenne diese Stiminnug, und wenn der Friede noch zwei Jahre hindurch erhalten bleibe, so werde eine theilweise Entwaffnung erfolgen und der Zustand der Ruhe andauern. Petersburg. Die hier stattgehabte Militär con fere uz ist geschlossen; in der letzten Sitzung wurde das Protokoll unterzeichnet, welches einem künftigen internationalen Vertrage über Beschränkung der Anwen dung von Explosionsgeschossen als Grundlage dienen soll. Der Vexir-Cotillon. Erzählung aus dem wirklichen Leben von Eduard Gottwald. (Fortsetzung ) Jetzt kam die Vexirtour an die Reihe; eine Dame wählte zwei Herren und ein Herr zwei Damen, welche sich in die Mitte des von den tanzenden Paaren ge bildeten Kreises führten und dann ihre Tänzer oder Tänzerinnen mitten im Tanze stehen ließen, um sich Andere zu wählen, indeß die so plötzlich Verlassenen, wenn sich kein Herr oder keine Dame mitleidig ihrer annahm, auf ihren Platz zurückkehren mußten, wobei es nicht ohne Gelächter der Zunächstsitzeuden abging. Auch Augusten traf jetzt die Reihe der Vexir tour, und unglücklicher Weise war es ein Nachbar des jungen Gartners, welcher sie nebst noch einer Dame anfforderte und, sie stehen lassend, mit einer Andern den schnellen Gallopp dahin flog. Auguste verweilte einen Augenblick in der Mitte des Saales, sich nach einem Tänzer umsehend, aber schon traten nene Paare auf, ohne daß sie gewählt worden war, und unter er zwungenem Lächeln eilte sie auf ihren Platz, während der junge Gärtner, hinter dessen Stuhl B lembel zu fällig stand, laut auflachte. — In Blembel's Brust kochte es vor Wuth, denn er hielt dieses Vexireu seiner Braut für eine offenbar derselben zugefügte Beleidi gung, und nur einem freundlich bittenden Blicke Au gust en s, die mit nicht geringer Unruhe seine zuneh mende Verstimmung sah, gelang cs, ihn vor der Hand von einem Aufsehen erregenden Schritte abzuhalten. — Als aber die Reihe der zum Tanz Auffordernden au die Damen kam, und Auguste, welche das höhnische Lachen des Gärtners wohl vernommen, diesen nun wählte und ihn nach einer leichten spöttischen Vernei gung stehen ließ, um einen andern Herrn sich zu suchen, unschlüssig in der Wahl, jedoch so lange zauderte, bis bis sie den neu antretenden Paaren weichen mußte, in deß der Gärtner schon längst eine Tänzerin gefunden hatte, und sie nun wieder, ohne einen Tänzer erhalten zu haben, unter noch stärkerem Gelächter des Gärtners auf ihren Platz zurückkehren mußte, riß Blembeln die Geduld, und seiner heftigen Aufregung nicht mehr Herr, sprang er in den Kreis der Tanzenden, nahm Auguste bei'm Arm und zog sie aus dem Bereiche der Tänzer. Erschrocken über dieses auffallende Be nehmen ihres Geliebten, folgte Auguste wortlos dem selben; aber der junge Herr, welcher sie für den Co- tillon engagirt, eilte ihr schnell nach und rief, sich un willig gegen Blembel wendend: „Mein Herr, das geht nicht, Ihre Dame gehört mir während der Dauer dieses Tanzes!" „Nein!" schrie Blembel mit vor Wuth und Weinglnth geröthetem Antlitz: „sie gehört mir, sie ist meine Braut und ich dulde nicht, daß man sie, die ein braves achtbares Mädchen ist, auf eine solche plumpe Weise foppt und sie dem Gelächter jedes dummen Lassen preisgiebt!" „Mein Herr! das Ganze ist ja nur Scherz!" rief ihn besänftigend der Vorsteher deö Sängervereins zu, während die übrigen Tänzer ihre Plätze verließen und einen Kreis nm Blembel und Augusten bil deten. „Solch' einen Scherz vertrag' ich nicht, gegen meine Braut gleich gar nicht!" grollte Blembel, mit wilden Zornblicken den Gärtner fixirend, welcher ihm näher getreten war. „Aber, lieber Blembel, beruhige Dich doch; die Herren haben mich ja nicht beleidigen wollen!" flüsterte Auguste angstvoll, noch ärgern Scandal be fürchtend. „Eö ist Flegelei, absichtlich Dir und mir zum Possen getrieben!" schrie Blembel, immer wilder werdend, je mehr man ihn zu beruhige» versuchte. „Laßt ihn gehen, der Kerl ist entweder besoffen, oder verrückt!" rief der Gärtner, sich an seine Freunde wendend, und wollte sich aus Blembel's Nähe ent fernen; aber wie ein Blitz folgte diesen Worten ein Schlag des wüthenden Liebhabers auf des Gärtners Wange, daß dieser, von einer so gewaltigen Ohrfeige unerwartet getroffen, mehrere Schritte zurücktaumelte. „Das ist gemein, das ist schändlich!" riefen die Blembel Zunächststehendeu. Die zur Sühne spre chenden älteren Herren wurden überschrieen, und ehe noch irgend Einer der Anwesenden es hindern konnte, stürzte sich der junge Gärtner auf Blembel und ver setzte demselben einen Schlag in's Gesicht. Auguste schrie laut auf vor Schreck und Ent setzen und suchte den Geschlagenen unter Thränen zu bewegen, mit ihr den Saal zu verlassen; dieser aber