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Dienstag. Nr. 94. 1. December 1868. Erscheint Dienstags und Freitags. Zn beziehen durch alle Postanstalten. Weißerih-Aeitung Preis pro Quartal 10 Ngr. Inserate die Spalten-Zeile SPfg. Amts und Anzcigc-Dlatt der Königliche» Gerichts-Ämter und Stadträthe zu Dippoldiswalde nnd /rauensteiu. Verantwortlicher Nedacteur: Larl Fehne in Nippotdiswalde. Monats-Bericht. Die Minister Englands haben die schöne Gewohn heit, bei öffentlichen Gelegenheiten in rückhaltloser Weise ihre Meinung über die allgemeinen auswärtigen Angelegenheiten auszusprechen. Wir benutzen heute eine solche von Lord Stanley, dem englischen Minister des Auswärtigen, an seine Wähler gehaltene Ansprache, welche eiu treffendes Bild unserer allgemeinen Lage giebt, für unseren Monats-Bericht. Der englische Staatsmann sagte: „Die Zukunft Europa's ist in Dunkel gehüllt und es liegt in der gegenseitigen Eifer sucht und wachsamen antagonistischen Haltung zweier großen Militärstaaten einige Ursache für Unruhe und Besorgniß. Unzweifelhaft sind die riesigen Rüstungen, welche auf dem Festland allenthalben vorliegen, an und für sich schon Quellen von Gefahren; allein soweit ich die Sache übersehen kann, und es stehen mir in dieser Beziehung manche Hülfsmittel zu Gebote, ist das vorherrschende Gefühl kein Verlangen nach Krieg, sondern eher Furcht, in einen Krieg Hineinzugerathen. Da es nun keines wegs leicht ist, Leute gegen ihren Willen an einander zu bringen und da fast alle Differenzen beizulegen sind, so lange die handelnden Parteien beide den Wunsch hegen, zu einer Uebereinkuuft zu gelangen, so verzweifele ich nicht daran, daß jenes Gewitter, das nun schon seit zwei Jahren Europa bedroht, nicht noch vorüber ziehen sollte. Betrachten wir die Stel lung der beiden Hauptbetheiligten. Was kann Preußen in einem Kriege gewinnen? Absolut nichts. Früher oder später ist ihm die Vereinigung von ganz Deutschland unter seiner Führerschaft gewiß. Die selbe ist so zu sagen sein natürliches Erbe und Preußen braucht nur zu warten, bis es füllig wird. Mau könnte nun allerdings fragen: würde Frankreich diese Vereinigung zugeben? und die Antwort wäre vielleicht: heute nicht und auch morgen nicht, wenn der erwähnte Zeitpunkt sobald eintreten sollte. Ich glaube indeß, daß die französischen Staatsmänner mehr und mehr zur Einsicht kommen, daß ein solches Endresultat un vermeidlich, daß es nntzlos ist, gegen den natürlichen Lauf der Dinge sich anzustemmen, und daß schließlich eine Nation von 40 Millionen Seelen mit mächtigen natürlichen und künstlichen Hülfsquellen und einem unleugbaren lebhaften Patriotismus und entschiedenem Gemeingeist zu stark ist, um etwas von der Vergröße rung ihrer Nachbarn fürchten zn müssen. Allerdings giebt es in Frankreich eine Classe, die für den Krieg eingenommen ist, aber ich glaube, diese Classe ist viel kleiner, als mau hier gewöhnlich anuimmt rc." Lord Stanley schließt mit den Worten: „Meine Ueberzeu- gung ist, daß, wenn man ein oder zwei Jahre Streit ursachen mts dem Wege gehen kann, Ueberdruß und Erschöpfung wenigstens eine partielle Entwaffnung herbeiführen werden und daß dann wieder der ruhige Zustand früherer Jahre eintritt." Ueber die Ange legenheiten des Orients sagt der englische Minister: „Ich fürchte, daß Jeder, der: seinen Blick nach jenem Theile der Welt richtet, daselbst deutlich die Zeichen kommender Wirren erblickt. Sie werden wahrscheinlich losbrechen, vielleicht bald, vielleicht auch erst nach Jah ren. Die der Türkei heute drohenden Gefahren ent springen meiner Meinung nach mehr von innen, als von außen. Keine Allianz, keine europäische Garantie kann einen Staat gegen das Zusammenbrechen seiner Finanzen oder eine Empörung in seinen Provinzen schützen. In diesem Punkte muß es jedem Lande liberlassen werden, sich zu seiner Bestimmung durchzu arbeiten; doch ist es darum nicht weniger wahr, daß die Schwäche eines großen Staates ein Unglück für die ganze Welt ist. Eine mittelmäßige Regierung ist besser als gar keine rc." Der November bot, gleich seinen Vorgängern, nur wenig thatsächliches Material, aus dem sich für die nächste Zukunft weitere Schlüsse ziehen ließen. Trotz der unleugbar andauernden friedlichen Strömung, kehrt das Vertrauen sehr langsam zurück. Handel und Verkehr stocken; das Capital liegt in den Banken, der Unternehmungsgeist ist gelähmt. Selbstverständlich müssen darunter die Staatseinnahmen von Eisenbahn-, Post-, Forstnutzungen, Steuern rc. leiden, und es ist zu fürchten, daß das aus den verminderten Staats einnahmen in den preitßischen Finanzen entstandene Deficit nicht isolirt dastehen wird. Dazu kommt auf politischem, socialem und geistigem Gebiet unverkennbare Unzufriedenheit einerseits, Zerfahrenheit andererseits, und erzeugt ein Leben von der Hand in den Mund, ein unbefriedigtes Laviren von einem Tage in den andern, verbunden mit dem Suchen und der «Sehnsucht nach festen Stützpunkten des Daseins. Diese nicht gerade behaglichen Symptome lassen auf eine Krisis schließen, von der wir wünschen wollen, daß sie glücklich vorüber gehe. Wir erkennen darin den Wendepunkt von dem Materialismus zum Idealis mus und meinen, daß auch diese Krisis zum Wohle und zur Weiterentwickelung der Menschheit ausschlagen werde, so sehr die lebende Generation darunter zu leiden hat. —r.