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sank ohnmächtig in die Arme des ihr zu Hilfe eilenden Vaters, der sie auf eineu Wink des Obersten hinweg brachte. „Ihren Degen, Lieutenant Calembert!" be fahl der Oberst; — „ein Kriegsgericht entscheide über Sie!" Charles stieß einen Schreckensruf aus und er hob bittend seine Hände gegen seinen Oheim. „Ich bin nur noch Ihr Vorgesetzter!" sprach dieser fest, doch tonlos, und wandte sich dann von ihm hin weg. Charles wurde fortgeführt, worauf der Oberst, umgeben von seinen Offizieren, das Haus verließ, in das er erst bei'm Morgengrauen wieder zurückkehrte, Jean zu schnellem Abschied mahnend. „Um Gotteswillen, was ist vor, Jean?" fragte die geängstigte Lotte, den Diener einen Augenblick zurückhaltend. Jean faßte krampfhaft ihre Hand und wollte ihr etwas zuflüstern, — da fuhr er erbebend zurück: mehrere Flintenschüsse wurden eben in einiger Entfer nung abgefeuert. „Was ist'S um des Himmels Willen?" fragte Lotte abermals. „Er ist nicht mehr! Das Kriegsgericht hat ihn zum Tode verurtheilt!" war Jean's dumpfe Antwort. Lotte taumelte zurück, sie wollte aufschrein, aber Mariens Ruf zu der kranken Schwester kam dem zuvor. Louise lag in dem heftigsten Fieberparoxiömus, und viele Wochen war ihr Leben in großer Gefahr. Heinrich, Lotte und Marie pflegten sie und warteten ihrer mit der liebreichsten Sorgfalt, und es gelang ihnen, den Todesengel zu bannen, der sich schon herangeschlichen hatte. Monate gingen hin, bis Louisens -Dchwächezustand ihr erlaubte, wieder klarer über das Vergangene zu denken. Damit kehrte er neuter Schmerz bei ihr ein, obgleich ihr Charles' Schicksal noch unenthüllt war. Sie fragte nach dem Obersten. Man wußte nur, daß sein Regiment !sich in einigen Gefechten ausge zeichnet hatte. Endlich theilte ihr Heinrich mit, daß Charles gestorben; auf welche Weise aber, wollte er ihr erst viel später sagen. Allein obgleich sie nicht darüber sprach, ahnte sie es doch. Von dem Obersten erhielt sie einen Brief kurz vor dem Tage, den er seinen Unglückstag nannte. Es hieß darin: Dieses Mal wird mein Geburtstag ein wirklicher Glückstag für mich sein, denn ich werde ihn nicht überleben. — Und so war es auch. Der Oberst verwickelte sich am Morgen dieses Tages in ein Vor postengefecht und stürzte sich so tollkühn voran, daß kein Zweifel blieb, er suche den Tod. Ein Schuß traf seine Brust, und sein Wunsch, diesen Tag nicht zu überleben, erfüllte sich dadurch. Im Pfarrhaus traf diese Nachricht mit des Obersten Vermächtniß ein, das Louise zu seiner Erbin bestimmte. Sie wollte es von sich abweisen und Charles' Mutter zuwenden; doch auch diese war gestorben kurz nach der trostlosen Kunde von ihres Sohnes Tod. Als nach dem russischen Feldzug im Jahre 1813 die Deutschen zur Erkenntniß Dessen kamen, was ihnen Noth that, und sich einten zum Kampf gegen Napoleon, reihte sich auch Heinrich unter die Fahne des Vater landes. Seine junge Nichte Marie schmückte ihn mit einem sinnigen Feldzeichen, und Louise erflehte den Segen des Himmels auf ihn und die deutschen Brüder, die zum gerechten Streite auszogen. Die allgemeine Begeisterung dieser Zeit erhob auch ihr gedrücktes Gemüth, und wie ein wüster Traum nur, den eine böse Fee ihr heraufbeschworen, lag oft der Liebestaumel und das Unglück ihrer Jugend hinter ihr. Mit treuer Liebe erfüllte sie die übernommenen Pflichten im Hause ihres Vaters. Die Geschwister liebten sie mehr noch als die selige Mutter, denn Louise war die Güte und Sanftmuth selbst. Nie dachte sie an sich, immer nur an die Andern, und in dem Bestreben, sie glücklich zu machen, erschloß sich ihr Herz der Freude im häuslichen Kreise wieder. Was draußen vorging, bewegte auch wohl ihre Seele mit edler Theilnahme, und sie war für das allgemeine Wohl so opferbereit, wie damals alle guten deutschen Frauen. Sie empfand Alles tief und innig, aber die laute, rege Begeisterung blieb ihrem Wesen fremd, über das gleichsam ein dunkler Schleier ausgebreitet blieb. Dagegen sprühte die frisch erblühende Marie für die deutsche Sache. Sie wäre gerne selbst dem Onkel Heinrich in die Schlacht gefolgt, wenn sie nur ein Junge gewesen wäre. — Dann, ja dann hätte sie es ganz sicher gethan. Als nach den theuer erkauften Siegen das Wort: „Friede!" wieder durch die deutschen Gauen wie eine Botschaft des Himmels ertönte; — kehrte auch Hein rich wieder nach Hause zurück. Er hatte tapfer ge kämpft unter dem Kronprinzen Wilhelm, dem künftigen Regenten seines Landes, der, wie es gegen die Fran zosen ging, seinen Muth, seinen deutschen Sinn und sein Feldherrntalent glänzend entfaltete. Heinrich blieb noch einige Zeit bei'm Militär; dann aber, als der Friede gesichert war, bat er um seinen Abschied, um zu seiner früheren Bestimmung wieder zurückkehren zu dürfen. Beides wurde ihm be willigt, und er erhielt eine Försterstelle im Schwarz wald, die ihm ein gutes Auskommen sicherte. Zagend, doch nicht ohne Hoffnung, bot er Louise seine Hand an; doch sie schüttelte zu diesem Antrag ihr bleiches Haupt und sagte sanft: „Mein gebrochen Leben kann Dein frisches nicht ausfüllen, nicht be glücken. Nur hier bei dem alternden Vater und den Geschwistern ist noch der rechte Platz für mich. Hier bin ich genesen von meinem fürchterlichen Schmerz, hier will ich bleiben. Glaube mir; Anderes könnte leicht den schwer errungenen Frieden mir wieder stören." „Und wenn Dein Vater stirbt und die Ge schwister in der Welt sich zerstreuen, was dann, Louise?" — fragte er beklommen. „Dann wird sich schon ein ebenso zusagendes Asyl für mich finden!" antwortete sie mit heiterem Lächeln, und dabei sah sie ihn prüfend an, nahm dann seine Hand, drückte sie und fuhr fort: „Vielleicht findet es sich doch bei Dir; siehst du denn keine Mög lichkeit dafür, außer Deinem Vorschlag?" — In diesem Augenblick erschallte Marien's me lodische Stimme auö dem Garten herauf, und eine Nachtigall begleitete mit ihren lieblichen Trillern ihr Lied: „Was ist mit meinem Herzen doch gescheh'«? Oft bleib' ich in Gedanken plötzlich fich'n, — Oft treibt es mich zum dunkeln Walve fort, Doch Ruhe finde ich an keinem Ort. Wie hab' ich sonst der Blumen hold gepflegt, Mit treuer Lieb' und Sorgfalt sie gehegt; Jetzt hängen sie die Köpfchen welk und matt, Weil treulos sie mein Herz vergessen hat.