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Stehlen! Und sollte nicht ein gescheckter Kerl schon ans purer Klugheit rechtschaffen, ehrlich und fleißig sein? — O, geh mir, — geh mir!"" — So sagte der Gewaltsmann noch immer, — „„und wenn du nicht aus Moralität und nicht ans Ehrgefühl ehrlich werden willst, so werde es auS Klugheit; so schäme dich, so ein Tölpel, so ein Dummkops zu sein, um zu stehlen. Es gibt keinen dümmeren Kerl als einen Spitzbuben."" — So sagte er, — und das schoß mir durch den Kopf und durch den ganzen Leib; ich wurde roth wie ein Schulbub in der Strafecke und meinte: — Herr Pfarrer! Sie haben Recht — und ich will ein Esel sein, wie cs keinen mehr giebt, wen» ich noch einmal steble. — „„So!"" — sagte er da rauf — „„das läßt sich hören, und nun geh hin und melde dich,"" und da kam ich her und meldete mich!" — Der beschämte Dieb hatte mit immer größerer Lebendigkeit, ja, man darf wohl sagen, mit immer wärmerer Treuherzigkeit gesprochen, und jedesmal, wenn er den GewaltSmann nannte, klang sein Ton wahrhaft ehrerbietig. Die Anwesenden hatten seinen Worten mit immer größerer Theiluahine zugchört: nicht ohne eine gewisse leutselige Behandlung ließ man den Ge fangenen in das Gefängniß abfübren, und eS war eine allgemeine und ehrerbietige Spannung, mit dec man die Anmeldung des Pfarrers Mauritius em pfing und mit der man nun dem Eintretcnden begeg nete. — Mauritius bat bescheiden um Verzeihung, daß er der Behörde einigör Maßen in ihr Handwerk ge griffen habe, aber der Erfolg möge seine Kühnheit entschuldige». Man versicherte ihm aufs Verbindlichste, daß man Männern wie ihm gern die ganze Gewalt in die Hand geben möchte; daß man ihm dankbar sein werde, wenn er sich auch hier so verdient um die Gefangenen machen wurde, wie er es bereits ander wärts gctban habe. Seiner Fnrsprawe für den be schämten Dieb wurde möglichste Berücksichtigung ver sprochen. Man erzählte ihm dessen ganzes Benehmen und Reden, und er sagte: „Während Josef seine Strafe abgcbüßt hat, habe ich mich vielleicht Ihres Vertrauens so wcrth gezeigt, daß ich alsdann Sie nm etwas bitten darf?" „Ich glaube Ihnen das schon ohne Weiteres ge währen zn können. Doch was wünschten Sie alsdann?" „Den Josef, Herr Senator; — anstatt ihn über die Grenze zu tranSportiren, senden Sie ihn zu mir." „Sie sollen ibn haben." „Dann werde ich ihn der Gesellschaft als redlichen Menschen wieder zurückgeben." „Und die Gesellschaft und wir werden Ihnen zu neuem Dank verpflichtet sein." „Wie ich Ihnen, Herr Senator." Damit ging der Pfarrer Ma uritiuS von dannen und wieder zurück in seine traurige Wohnung. — Jetzt aber fühlte er ihre Traurigkeit nicht: zwei Ge danken waren es, die sie ihm erhellten zn einem Tem pel der Schönheit und Wahrheit: der Gedanke an die Gräfin und a» den Dieb. Das Gefühl: eine wahre, eckte Natur gefunden zu haben und einen ver lorenen Menschen dem Leben, der Rechtschaffenheit und sich selbst wiedergeben zu können. Bald schon freilich war dieser zweite Gedanke von dem ersten zwar nicht verscheucht, aber dock umhüllt, wie ost am Himmel «ine leichte Silberwolke umhüllt wird von der größeren. — Die Mutter sah ihn dann und wann mit raschem Auf schlag der, sonst meist scheuen und niedergeschlagen Auge» verwunderungSvoll und fragend an und mur melte dann wohl leise vor sich hin:^ „Ob er jetzt wohl an mich ckenkt?" oder: „Er könnte doch auch schon mit mir reden, was er nur hat, denn er hat was!" — oder: „Ach was, jetzt ist ihm die Mutter wie ein Stück Holz, — o. Du böser Sohn! — Aber ich hab'S ja nicht anders verdient." — „Liebe Mutter," — begann jetzt Konrad — „mir ist was GnteS geschehen; ich habe eine Stelle in Aussicht." — „Hast Dn? hast Du?! o Du guter gesegneter Sohn!" so rief die Mutter jetzt ans, und zitternd vor Freude und Erwartung, fragte sie: „An welcher Kirche?" „Nun, — an keiner Kirche, — sondern als Hauslehrer." „Ach, du lieber Gott, — als Hauslehrer! — Das ist auch waS Rechtes! — So weit hätte der ge« lehrte und vornehme Herr Sohn es nun gebracht! — das ist mir eine schöne Bescheerung." Sv sprach nun die enttäuschte und dadurch gereizte, dann immer bit terer werdende Fran. — Konrad setzte mild, doch recht bedeutungsvoll hinzu: „Bei einer Gräfin!" „Ach was, Gräfin hin, Gräfin her. Ein Ham burger Bürgers-Sohn ist eben so viel wie eine Gräfin; mein Vater und Dein Vater gaben keine Zwiebel dafür." — „Sie ist eine sehr reiche Gräfin, liebe Mutter." — „So? sehr reich! Na, die sind gewöhnlich noch schlimmer." „Aber diese ist gut, sehr gut; — o, sie denkt edel und groß." — Diese letzten Worte sprach Konrad wohl unbewußt, fast traumhaft, mit erhöhtem, begei sterten Tone. Da schante die Mutter auf einmal scharf ihn an; eine Art Eifersucht erfaßte sie und mit herbem, spitzigen Tone meinte sie: „Ei, ei! das muß ja ein wahres Wunderwerk sein! — diese reiche Gräfin! Und wie alt ist sie wohl?" — „Ich denke, nicht viel über dreißig," antwortete Konrad trocken, gedankenlos vor sich hinstarrend und ohne die Bedeutung jener Frage aufgefaßt zn haben. „Ei, ei!" — fuhr die Mutter nun »och eifersüch tiger, erregter und ironischer fort — „ei ei! — nun steh mal an! Und die junge Frau will einen Haus lehrer! — und auch wohl einen jn ngen Hauslehrer? N», nu! und der Herr Sohn ist noch nicht alt — und, wer weiß —" „Mutter!" rief plötzlich Konrad mit Stentor stimme aus, sprang auf und warf der bang zurückge tretenen Frau einen großen, strafenden Blick zu; dann ging er hinaus. Draußen fühlte er sich roth und röther werden, und er fragte sich dann: „Warum so roth?!" Zu derselben Zeit fühlte sich Gräfin Rosa in einer ihr ganz nnerklärbaren Erregung, die jetzt sie unruhvoll durch ihr Zimmer trieb, dann sie festbannte vor irgend einem gleichgültigen Gegenstand, als sei derselbe wichtig, geheimnißvoll, ihrer schärfsten Auf merksamkeit werth; — dann wieder lehnte sie in einem Fauteuil, gedankenlos ins Weite schauend, und doch mit einer Fluch von Gedanken beschäftigt. Plötzlich wendete sie sich zu ihrem Kinde, als ob hier da» Ge- heimniß ihres augenblicklichen Zustandes gelöst sei; sie fühlte mit einem Male eine überschwellende Zärtlichkeit