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774 Tages geschichte. « Dippoldiswalde. Die am 7. d. M. hier statt gefundene landwirthschaftliche Versammlung war sehr zahlreich besucht, was eine Folge der verspro chenen Anwesenheit des Herrn Professor Hofrath vr. Stöckhardt aus Tharandt war. Nach Beendigung einiger Mittheilungen und currenter Geschäfte des Vereins nahm denn auch Herr Hofrath vr. Stöckhardt das Wort und verbreitete sich, nach einem sehr humo ristischen Eingänge, hauptsächlich über die Eigen schaften des Futters, und in welchen Verhält nissen zusammengesetzt, dasselbe sich am besten bei der Fütterung des Viehes, besonders des Rindviehes, bewährt habe und verwerthe. Wie bereits bekannt sei, handle es sich bei der Fütterung des jungen Rind viehes um Ausbildung der Knochen, Muskeln und des Fleisches, bei dem älteren um Erzeugung von Milch, Fleisch und Fett. Die Bildung der Knochen würde vorzüglich durch Zuführung von phosphorsaurem Kalk, die Bildung von Blut, Fleisch und Fett durch stick stoffhaltiges > die Vermehrung der Milch durch milch saures Futter erzeugt und unterstützt. Da nun aber diese Stoffe in reinem Zustande dem thierischen Körper nicht zuträglich seien und vielmehr das Gegentheil er zeugen würden, so hätte man nach mehrfachen Fütte rungsversuchen bis jetzt die Erfahrung gemacht, daß diese Stoffe am zweckmäßigsten von dem thierischen Körper ausgenommen und am vortheilhaftesten verwer- thet würden, wenn mau stickstoffhaltiges mit stickstoff freiem Futter, und zwar wie 1 : 5, zusammensetze. Dieses günstige Verhältniß wäre in der Branntwein schlempe vorhanden, und der Herr Vortragende empfahl, wo es sich irgend thun lasse, die Anwendung und die Betreibung der Brennereien, wodurch ein vorzügliches Futter und durch dieses ein vorzüglicher Dünger er zeugt würde Bei der einfachen Fütterung der Kar toffel finde diese« günstige Futterverhältniß nicht statt, indem dann das Verhältniß wie 1 : 9 sei. Wo keine Brennerei anzulegen ist, vornehmlich in kleinen Wirth- schaften, müsse man, wenn inan zweckmäßig füttern und den höchsten Ertrag von seinem Viehe haben wolle, das Fehlende auf andere Weise zu ersetzen suchen. Er empfahl dabei als Surrogatfutter ganz besonders ent ölte Leinkuchen, die sich Jahre lang aufbewahren ließen, ohne zu verderben, nnd jetzt bei Herrn Gottschalk in Riesa zu haben seien, sowie ganz besonders Malzkeime; letztere wären namentlich empfehlenswerth bei der Auf zucht von Jungvieh; dann rathe er ganz besonders die Cultur der Wiesen an, dieselben zeitig zu mähen und das Gras zu Heu zu machen, ehe es blühe, indem daö Heu dann viel weicher und nahrhafter würde. Man solle nicht befürchten, daß der Ertrag der Wiesen sich hierdurch vermindere, indem dieses mehrfach angenom men würde, wenn der ausfallende Grassaamen nicht wieder neue Stöcke erzeuge; man solle die Wiesen nur gut düngen. In Holland mähe man schon längere Zeit das Graö vor der Blüthe nnd es wäre ihm mitgetheilt worden, daß mau dort von gut gepflegten Wiesen einen Ertrag von 150 Ctr. trockenen Futters von Einem Acker geerntet habe. (Dieses scheint dem Referenten allerdings ein bischen hoch gegriffen zu sein; denn 71/2 Fuder ü 20 Ctr. von Einem sächsischen Acker wäre wohl nur zu ermöglichen, wenn man 3 bis 4 Schnitte abmähen könnte, die alle einen hohen Ertrag geben müßten, da vorzüglich das Gras jung gemähet außer ordentlich znsammenschwindet. Jedoch ist Referent mit dem Herrn Vortragenden einverstanden in der Empfeh lung der Wiesen-Cultur.) Herr Hofrath Stöckhardt empfahl dabei die Ueberführung der Wiesen mit Com- post-Erde, die der Landwirth leicht durch Grabenauf würfe, vermengt mit Kalk und späterer Beimengung von Jauche, erzeugen könne, sowie die Zuführung von Feuchtigkeit durch Benutzung der vorhandenen Wässer zur Bewässerung der Wiesen. Schließlich machte der Herr Hofrath Stöckhardt noch aus die neuerdings mit Erfolg gebaut werdende Heiligenstädter Kartof fel aufmerksam, indem dieselbe auch in hiesiger Gegend einen sehr hohen Ertrag gegeben habe. Dieses bestä tigt auch Herr Rittergutsbesitzer Grahl auf Zscheckwitz, indem er angiebt, in diesem Jahre, wo die Kartoffel ernte nicht reichlich sei, von diesen Kartoffeln 160 Scheffel pro sächsischen Acker geerntet zu haben. — Ich schließe diesen kurzen Bericht, dem Herrn Hofrath vr. Stöckhardt für den gehaltenen lehrreichen Vor trag bestens dankend und dem geehrten Directorium den Wunsch an da-z Herz legend, bemüht zu sein, der gleichen Vorträge öfter veranlassen zu wollen. Dippoldiswalde. Bezüglich der alljährlich zu Ende November oder Anfang December statifindenden Militär-Aushebung ist bis jetzt noch keine An ordnung getroffen, wenigstens sind die königlichen und städtischen Behörden noch ohne Instruction darüber. , Es ist demnach sehr wahrscheinlich, daß in diesem Jahre eine Stellung der Militärpflichtigen nicht mehr statt finden wird. — Auch hört man, daß die Regierung den jetzt versammelten Ständen den Entwurf eines neuen Rekrutirungsgesetzes vorlegen werde. Dasselbe wird sich eng an das preußische Muster anschließen und das Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht, sowie das Freiwilligen- und da« Landwehr-System enthalten. sind in jedem Falle zu beklagen und werden hoffentlich immer unmöglicher werden, je mehr die wirthschaftliche Entwickelung derselben einen internationalen Charakter annimmt. Alles drängt darauf hin, daß dies geschieht, und wir glauben dem Zeitpunkte nicht mehr fern zu stzin, wo das Band eines gemeinsamen Handelsrechts, gleicher Münze, Maaß und Gewichts, gleicher Zollta rife, Eisenbahnsrachtsätze rc. die Culturvölker von West europa umschlingt. Möglich und sogar wahrscheinlich wird eine solche Gestaltung, welche selbstverständlich eine Menge partikularer und Privatinteressen verletzen und mit Füßen treten muß, nicht ohne Kampf und Krieg sich durchsetzen lassen; aber sie wird sich Bahn brechen, weil sie ein Ausfluß ist der naturgemäßen Culturentwickelung der Menschheit. Durch die Soli darität der politischen und wirthschaftlichen Interessen wird eine Völkerallianz geschaffen werden, die wir in der Ueberschrift mit den „vereinigten Staaten von Europa" bezeichneten, weil sie, wenn auch in anderer staatlicher Form, eine anologe Verbindung darstellen werden, wie die vereinigten Staaten von Ainerika. Noch könnten wir eine Reihe Zeichen der Zeit anführen, welche die oben entwickelten Gedanken dem Gebiete nebelhafter Zukunftspolitik bereits entrückt und ihre Verwirklich»!!..; angebahnt haben, indeß für Die, welche die Culturentwickelung der Völker im Großen zu überblicken vermögen, bedarf eö dessen nicht, und die Ungläubigen werden sich durch noch so viele Belege nicht bekehren lassen.