Volltext Seite (XML)
Nr. 90 16. November 1866. Weißeritz-Ieitung Verantwortlicher Redakteur: Carl Zehne in Dippoldiswalde. Preis pro Quartal 10 Ngr. Inserate die Spalten - Zeile 8 Pfg. Freitag. Erscheint Dienstags und Freitags. Zu beziehen durch allePost- anstalten. Amts- Md Anzeige-Klatt der Königliche« Gerichts-Armter und Stadtrathe zu Dippoldiswalde und Frauenßeiu. der Bergangenheit, sie greifen auch in das europäische Völkerleben selbst hinüber. Noch ist Deutschland in Nord und Süd gespalten; allein es wird keinem Einsichtigen zweifelhaft sein, daß die jetzt gezogene Mainlinie nicht für die Ewigkeit gezogen, daß die Etablirung eines deutschen Bundesstaates nur noch eine Frage der Zeit ist. Wir haben dann im Wesentlichen fünf europäische Großmächte: England, Frankreich, Deutschland, Oesterreich und Rußland. Es ist für den denkenden Politiker von Interesse, zu er örtern, welche Stellung diese Mächte in Zukunft ra tioneller Weise gegen einander einzunehmen haben. Zur Beleuchtung dieser Frage brachte jüngst die „A. A. Ztg." mehrere schätzenswerthe Artikel, und wir »vollen versuchen, den darin eingehaltencn allgemeinen Gedankengang zu reproduciren. Während die vier erst genannten Staaten ziemlich gleiche Machtverhältnisse dar stellen, übertrifft Rußland an Gebietsunifang und an Men schenzahl Alles, was die anderen Mächte aufzuweisen haben. Das Staatsgebiet Rußlands enthält mit dem Colouialbesitze 394,064 Quadratmeilen mit 74,532,200 Einwohnern. Bon den Bewohnern kommen etwa 58,500,000 auf Europa, die übrigen auf Asieu und die Colonien. Der Aauptstamm der Bevölkerung ist der slawische und wird auf annähernd 60 Millionen angenommen. Bekannt ist, daß die Russen in ihrer großen Masse ein auf sehr tiefer Cultur stehendes Naturvolk sind, während ganz Westeuropa von größten- theils sehr hoch cultivirten Völkern bewohnt wird. Der Gedanke liegt nahe, daß ein kräftiges Naturvolk von so überwiegender Kopfzahl, wie die Russen, den Culturvölkern des Westens früher oder später gefähr lich werden kann; wer erinnert sich nicht des Aus spruchs Napoleons I., daß Europa in 50 Jahren ent weder republikanisch oder kosakisch sein werde? Die Prophezeihung des großen Kaisers ist bis jetzt zwar nicht eingetroffen, aber, so wenig nach den gegebenen Verhältnissen eine republikanische Verfassung Aussicht auf Erfolg hat, -- so sehr besteht andererseits die von dem Kaiser erkannte Gefahr einer Neberfluthung der Germanen und Romanen durch die Slawen, unver mindert fort. Mau mag den gegenwärtigen leitenden Kreisen Rußlands keine in dieser Richtung aggressive Poli tik zutrauen, immerhin läßt sich keine Garantie dafür übernehmen, wie sich in Zukunft nicht Ereignisse wie derholen, wie sie in der Geschichte der Völkerwanderung, der Hunnen und Türken dagewesen sind Gegenüber dieser geweinsamen Gefahr für die westeuropäischen Culturvölker, ist es die unbestrittene Ausgabe der letz teren, solidarisch für ihre gemeinschaftlichen Interessen einzntreten. Kämpfe dieser Culturvölker unter einander Zu den Parlamentswahlen. Seiten der preußischen Regierung sollen, wie man m öffentlichen Blättern lies't, die Parlamentswahlen ehestens angeordnet werden, nnd es ist deshalb ein Gleiches in Sachsen bald zn erwarten. Wen wählen wir? Diese Frage wird in manchen Kreisen schon aufgetaucht sein. Zur objektiven Beantwortung der selben wollen wir versuchen, einen Beitrag zu liefern. Das erste Parlament hat bekanntlich die Aufgabe, die Verfassung für den norddeutschen Bundes- staat zu berathen. Gegenüber dieser Aufgabe wird sich die große Masse der Abgeordneten, abgesehen von sonstigen Spaltungen, wesentlich in zwei Parteien spalten; — in die Centralisten und in die Par tikular ist en, wie wir sie kurz bezeichnen wollen. Erstere, die Centralisten, werden bestrebt sein, möglichst viel für die Centralregiernng und für die Competenz des Parlaments zu gewinnen, demzufolge die Sou- veränetätsrechte der Einzelstaaten nach Kräften zu be schneiden, bez. auch die süddeutschen Staaten in den Bund hereinzuziehen. Die Particularisten dagegen werden sich bemühen, der Centralregierung und dem Parlamente möglichst wenig zu überweisen, dagegen von den Rechten der Einzelstaateu zu erhalten, was nur angeht. Für die Wähler wird es daher von In teresse sein, sich von ihren Candidaten darüber Ge wißheit zu verschaffen, ob sie zu der Partei der Cen tralisten oder der Particularisten gehören. Je nach dem politischen Standpunkte, den die Wähler einneh men, werden sie für den einen oder andern Candidaten stimmen müssen. Die liberale oder konservative Ge sinnung per Candidaten kommt hierbei nicht in Be tracht, da sich Centralisten und Particularisten in bei den Lagern, im liberalen und konservativen befinden. Schwieriger ist die subjektiv^ Beantwortung der Frage: „Wer» wählen wir?" Wir haben und zwar nicht blos in Sachsen, sondern auch im ganzen Deutschland, keinen Ueberfluß, sondern entschiedenen Mangel an poli tischen Charakteren. Die Aufgabe Derjenigen, welche sich mit Aufstellung von Candidatenlisten beschäftigen, wird daher gerade keine leichte sein. Möge diese be deutungsvolle Wahl zum Glücke des dentschen Volks ausschlagen! * Die Vereinigten Staaten von Guropa. Die großen staatlichen Veränderungen, die — ein Ausfluß des deutsch-nationalen EinheitsgedankenS — während der letzten Monate sich vor unseren Allyen vollzogen haben, bedingen nicht blos für unsere specrell deutschen Verhältnisse einen totalen Bruch mit