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/reitag. SrschotM Dienstag« und Freitags. Zu beziehen durch alle Post anstalten. ?lr. s«. so Juli 18«« Weikcrtt r-Icitung. M IM,- »»« der Ki>i,licht» GmchI«-AeM<r >»» Sl,dlr«he z, Kippaldisvaldt, IrweiM, »»d JUnch»,. Verantwortlicher Redacteur: Carl Jehne in Dippoldiswalde. I I — Hebe dich weg, Satanas! Auf einem Platze bei Altendorf, einem Wallfahrts orte in der Grafschaft Glatz, dicht an der österreichi schen Grenze, befindet sich eine auS Sandstein gehauene und bunt bemalte Gruppe, darstellend die Versuchung Christi. Auf hohem Steinhaufen steht Christus, neben ihm mit scheußlich verzerrter Fratze, Bockshörnern und Pferdefuß der Satan, mit der Rechten auf die unten liegenden Felder zeigend. Diese Gruppe soll unzweifel haft den Moment versinnbildlichen, wo der Teufel dem Herrn die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit zeigt, und ihm zuruft: „Dies Alle« will ich Dir geben, so Du niederfällst und mich anbetest!" worauf Christus antwortet: „Hebe Dich weg, Satanas! denn es stehet geschrieben: Du sollst anbeten Gott, Deinen Herrn, und ihm allein dienen." Die Reiche der Welt sind ver sinnbildlicht an dem Steinhaufen durch eine Menge von Häusern, hohen Thürmen und Festungsmauern, aus deren Schießscharten und Lucken Kanonen hervorschauen. Der Satan ist durch frommer Wallfahrer Wuth viel fach verstümmelt, ja er ist — es mögen etwa 20 Jahr her sein — schon einmal nächtlicher Weile herabge holt und verscharrt worden. An diese schlichte Gruppe und den Abscheu des Volkes gegen die Lockungen Satans wurden wir leb haft erinnert, als wir die Nachricht von der Abtretung Venetiens an Louis Napoleon lasen. Es ist nicht unsere Schuld, wenn die Reminiscenz etwa« frivol klingt — eS ist die gotteslästerliche Schuld Oesterreichs, das den Frankenkaiser zu seinem Heilande erkoren und ihm Venetien sammt seiner Herrlichkeit versprochen und dafür verlangt hat, daß er ihm seine Seele verkaufe. Die Lockung Oesterreichs hat, es läßt sich nicht leugnen, etwas Teuflisches: nur ein großer Geist, ein reines Herz, ein fester, ehrenhafter Charakter vermochte vielleicht ihr zu widerstehen. Es legt eins der kost barsten Juwelen seiner Krone, eine Provinz, für die es tausende von Menschenleben geopfert, und die ihm noch vor acht Wochen nicht für Hunderte von Millionen Gulden feil war, dem Kaiser zu Füßen, es erhebt ihn aufs Neue zum Schiedsrichter Europa's und schenkt ihm das Reich, das zu erkämpfen er vor sieben Jahren außer Stande war. An dem Festungsviereck zerschellte das kaiserliche Programm: „Frei bis zur Adria!" Der Frieden von Villafranca vom 12. Juli 1859 be siegelte zwar die Uebermacht Frankreichs, aber gleich zeitig auch das GestäNdniß, daß es zur Erkämpfung Venetiens ohnmächtig sei. Heute ist der Kaiser Herr dieses Landes, ohne einen Tropfen Blutes ver gossen, ohne einen Sou gewagt zu haben; er kann eS verschenken, zerstückeln, verschachern, vertauschen, wie eS ihm beliebt. Er hat eS angenommen, ohne daran zu denken, daß er den Preis dafür vielleicht mit Strömen Blutes, mit Milliarden Frünken wird zahlen müssen. Der Versucher hat gar schlau die schwächste Seite Napoleons — die Eitelkeit — auf- und angestachelt, und er hat es gethan mit der harmlosesten, uneigennützigsten Miene von der Welt, als läge ihm nur daran, dem Kaiser eine zu lange versagte Huldigung darzubringen. DaS französische Volk, das die „moralische Er oberung Venetiens" wie einen großen Sieg in seiner ersten Ueberraschung durch Illumination, Flaggen und andere Freudenbezeigungen feierte, scheint nach und nach etwas ernüchtert worden und zur Einsicht gekom men zu sein, wie fraglich der Werth des österreichischen Geschenkes, ja wie gefährlich es sei. Worauf, fragen sich die Besonnenen, rechnete Oester reich, als es uns Venetien abtrat und zwar schon vor der Schlacht von Königgrätz? Es rechnete 1) auf die Sprengung des preußisch-italienischen Bündnisses, 2) auf die zwischen Italien und Frankreich entstehenden Verwickelungen, 3) auf den Bruch der von Napoleon verkündeten Neutralität, 4) auf die Möglichkeit, die Südarmee gegen Preußen heranziehen zu können, und 5) auf die jubelnde Zustimmung der süddeutschen Bun desgenossen. Stimmte die Rechnung auf die erstell 3 Punkte, d h. war eS ihm möglich, den Kaiser der Franzosen gegen Preußen zu engagiren, dann konnte es ihm sofort den fertigen Rheinbund mit sammt der herrlichen Reichsarmee als Morgengabe und als Avant garde anbieten. Daß diese Erwägungen nach der Schlacht bei Königgrätz nicht gehoben sein konnten, sondern nur noch dringender und drängender hervor treten mußten, versteht sich von selbst. Durch die Er klärung des österreichischen Kaisers, daß er mit Preu ßen Krieg auf Tod und Leben führen und durch daS offene Geständniß, daß er die Südarmee zu diesem Kampfe heranziehen wolle, wurden auch den Verblen deten die Augen über die „Uneigennützigkeit" Habsburgs geöffnet. Worauf, fragen jene Besonnenen weiter, rechnete Napoleon, als er hastig nach dem dargebotenen Ge schenke griff? Er rechnete 1) auf die Genugthuung der Ration über den Machtzuwachs, 2) auf die Ge fügigkeit des von ihm mit der Lombardei belehnten Italiens, 3) auf die Neutralität Englands und Ruß lands, und 4) darauf, daß Preußen einen Halbwegs günstigen Frieden der Gefahr einer Feindschaft mit Frankreich vorziehen werde. Er rechnet», endlich viel leicht auf eine kleine Provision, die ihm am Rheine al» Courtage für die Friedensvermittelung zufallen könnte