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M 56 Weifterilz-Aeitung Dienstag. Erscheint Dienstags und Freitags. Zu beziehen durch alle Post anstalten. IS. Juli 1884. Preis, pro Quartal 10 Ngr. Inserate die Spalten-Zeile 8 Psg. Amts- und Anzeige- Matt der Königlichen Gerichts-Jemter und Stadträthk zu Dippoldiswalde, Muenstein und Altenberg. Verantwortlicher Redacteur: Carl Jehne in Dippoldiswalde. Tagesgesehichte. Dippoldiswalde. Das diesjährige Haupt-, Vogel- und Scheibenschießen ist,mit dem 12. d. Mts. zu Ende gegangen, nachdem es, wie gewöhnlich, reichlich drei Tage gedauert; — die drei Tage bilden gewisser maßen den Leib und dazu gehört ein obligater Kops und Schwanz. — Wir sind nun nicht Hypochonder genug, um auf das Erlebte mit dein Gefühle des Gottsei- dankdaßesalleist zurückzuschauen, wollen vielmehr gestehen, daß wir uns zeitweise recht wohl befunden und gut amüsirt haben. Jedes Volksfest, nur einigermaßen be lebt, bietet so viel des Interessanten, Komischen und Erfreuenden, daß nur ein Murrkopf oder ein empfind sames Dämchen, dem das Publikum zu „gemischt" ist, ihm aus dem Wege geht. Trotzdem aber will uns gerade jetzt, eben nach Beendigung des diesjährigen Vogelschießens, ein Ge danke nicht mehr verlassen, der uns früher schon oft genug gekommen und durch die Wandlungen des Lebens immer wieder verwischt worden ist, der nämlich: daß das Schützenwesen in Dippoldis walde einer Reorganisation dringend bedarf. Holen wir etwas weit aus und stellen wir zunächst, was unleugbar feststeht, die Behauptung hin, daß die alten Schützengilden im 14. und 15. Jahrhundert aus den besten Männern, aus der wehrhaften Blüthe der Bürgerschaft bestanden und sich die Beschirmung ihrer Stadt zur Ehrenpflicht gemacht hätten. Außer dieser ernsten Thätigkeit waren aber die Mitglieder dieser Schützengilden dem Vergnügen durchaus nicht abhold, und ihre Preis- und Wettschießen waren ganz anders und splendider ausgestattet, als gegenwärtig eins in Deutschland. Die Mauern sind gefallen, die Art der Kriegführung ist eine andere geworden, und eine heran ziehende modern, d. h. sehr gut armirte feindliche Soldaten- abtheilung durch die Schützengilden abwehren zu wollen, dürste als ein mehr als gewagtes Unternehmen bezeichnet werden müssen. Die Schützengilden haben auch diesen Zweck gar nicht mehr, sondern sie haben, oder sollten doch haben den alleinigen Zweck: in Friedenszeiten, namentlich bei Calamitäten, Feuers-, Wassersnoth und dergl., Ord nung zu schaffen und Leben und Eigenthum ihrer Mit bürger zu schützen. Um dazu tauglich zu sein, müssen sie ihren Körper stählen und tüchtig machen, und das Schießen, welches sie üben, trägt hierzu nicht wenig bei, wenn es wirklich zweckmäßig betrieben wird. Ein guter Schütze ist in der Regel resolut und muthig, das zeigen die meisten Jäger. Eine weiter gehende Thä tigkeit der Schützengilden ist wohl vom Uebel. In Zeiten, wo eine solche zu wünschen ist, trifft sie nicht die Schützen allein, da trifft sie jeden Mann. Das wäre die Thätigkeit, welche der Stadtbeschir mung durch die alten Schützengilden an die Seite zu stellen sein dürfte. Nun das Vergnügen. Je mehr wir anerkennen müssen, däß unsere Schützengesellschaft die ernste Seite ihrer Aufgabe er füllt, um so mehr beklagen wir die Uebelstände, welche ihre Vergnügungen beeinträchtigen. Zunächst gehört hierher der Zwang der Uniformirnng und die dadurch herbeigeführte Ausschließung einer großen Zahl tüch tiger, liebenswürdiger Bürger, deren Mitgliedschaft der Schützengesellschaft zur Ehre gereichen würde. Man mag für die Uniformirnng und die damit zusammen hängenden Abstufungen in der Gesellschaft, in Haupt mann, Ober- und Unterleutnants, Feldwebel u. s. w., sagen, was man will, — weder das Einexerciren und Marschiren und Paradiren ist Jedermanns Sache, noch will es Jedem angenehm erscheinen, in der Julihitze in einem zugeknöpften Tuchrock sich zu bewegen. Folge hiervon ist, daß eine Menge tüchtiger Kräfte sich der Gesellschaft nicht anschließen. Ein weiterer Uebelitand ist das Königwerden. Sind die ganzen Ceremonieen um und mit dem Vogel- und Scheibenkönig schon auf der Grenze zwischen Komisch und Ernst, so ist der Umstand, daß eigentlich nur ein Bemittelter wagen kann, gut zu schießen, geradezu der Entwickelung des Schützenwesens nachtheilig. Man sage nicht, es besteht keine für ärmere Bürger drückende Verpflichtung für die „Könige;" sie besteht in Wirk lichkeit doch, und die Verlegenheit für einen unbemit telten Bürger, ob er lieber drückende Opfer bringen oder sich nachsagenlassen will, daß er gar nichts „geleistet" habe, ist gewiß schon öfter dagewesen. Endlich erwähnen wir noch eines Uebelstandes, der die Tafelfreuden betrifft. Diese letztem zerfallen in Schützenfrühstück (zum Vogelschießen) und Schützen- schmauß (im Winter). Das Frühstück anlangend, so will man dahingestellt sein lassen, ob nicht, da dasselbe in der Regel erst nach 12 Uhr Mittags seinen Anfang nimmt, ein einfaches warmes Essen dem (in der Regel übrigens vorzüglichen). Vielerlei vorzuziehen sei; der Schützenschmauß aber ist gewiß verfehlt eingerichtet. Von allen Schützenmitgliedern, einschließlich der Gäste, ist Niemand gewöhnt und im Stande, die Massen zu vertilgen, welche bei diesem Schmauße aufgetafelt werden. Was deshalb geschieht, ist bekannt und nicht gerade zu empfehlen.