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423 und oben in der Spitze befindet fich ein breiter schwar zer Fleck, welcher eine Brandstatt zu sein scheint, und auch die beiden Kopfweiden, welche dicht dahinter ihr niederes Laubdach ausbreiten, sind geschwärzt und ihre Aeste tragen deutliche Spuren einer durch Feuer verursachten Zerstörung. Einige Schritte seitwärts er- blickt das Auge einen hohlen Baumstumpf; sein Um fang beweis't, daß er die Leiche eines einst mächtigen Baumriesen ist, der, bevor er vernichtet worden, man chem Sturme getrotzt. Aber seine Krone sank zur Erde; im Herzen gebrochen, mußte er sterben, obgleich noch kräftiges Lebensmark im Stamme floß, und nur dieser dürre Stumpf blieb als Monument seiner ehe maligen Größe. Auf der schwarzen Stätte stand vor Jahren eine kleine Lehmhütte, sie war daS Eigenthum der alten Mutter Marianne, die in ihren jüngern Jahren mit dem rüstigsten Knechte um die Wette gearbeitet, jetzt aber arü Krückenstocke dahinschlich und die sonni gen Plätzchen aufsuchte, um ihren morschen Körper an den warmen Strahlen der Morgensonne zu er quicken. Aber sie brauchte auch nicht mehr zu schaffen, waren doch jüngere Arme da, welche die Last von Marian nen'S Schultern genommen, daS Tagewerk mit der näm lichen Rüstigkeit verrichteten, wie Mariane in der Zeit ihrer Kraft; Jakob, ihr Enkel, war der fleißigste Bursche, den man in der Umgegend finden konnte, er versah nebst dem kleinen Hauswesen, welches in der Wartung einer Kuh und der zärtlichen Pflege seiner Mutter bestand, auch noch gegen Wochenlohn Dienste bei den Bauern im nahen Dorfe Bourheim und verdiente sich dabei manchen Groschen, wofür er jedoch meistens seiner Großmutter etwas anschaffte. Die Bauern nahmen Jakob wegen seinem Fleiß gern in Arbeit. Besonders aber die Handlungsweise gegen seine alte kranke Großmutter gewann ihm viele Herzen, und wo er sich zeigte, begegnete man ihm sreundlich nnd hieß ihn willkommen. Aber unter Allen, welche Jakob so lieb gewonnen, war eine Person, für die der Sohn der alten Mari anne noch von weit größerem Interesse geworden, wenn sie eS auch nicht öffentlich vor allen Leuten zeigte. Hätte man aber Abends, wenn daS Dunkel der Nacht die neugierigen Blicke verscheucht, durch daS mit Pa pier verklebte Fenster in die Stnbe der Hütte geschaut, so würde man ein junges Mädchen darin gesehen haben, welches an Jak ob's Seite mit diesem sich zärtlich unterhielt oder auf die zitternden Worte der Mutter Marianne horchte, der die Anwesenheit dieser Dorfschönett nichts weniger als unangenehm sein mußte, da deren fast allabendliche Gegenwart stets gern gesehen wnrde. Gretchen war die Tochter beS reichen Priegel- bauern, des Besitzers des schönsten Gehöftes in der ganzen Umgegend, ein stolzer eingebildeter Bauer, der sich auf seinen Hof und die dazu gehörigen Stecker und Wiesen nicht wenig einbilbete und mit Verachtung auf die minder bemittelten Nachbarn herabblickte, die ihm aber seinen Dünkel durch gleiches Benehmen ver- galten, ihn auch wohl gar in der Schenke zum Gegen stand ihrer boshaften Späße machten und sich so wr- nigstenS an ihm rächten. Stoff bot der stolze P riegel- bauer genug. War er doch der Sohn eines armen Holzhauers, der einige Mellen von Bourheim in einer kleinen Waldhütte mit Hölzsammeln, die Leute sagten zwar, mit Stehlen, sich ernährt, dann auf ein mal sich in Bourheim niedergelassen und dort das gleiche Gewerbe getrieben, bis er starb. Der Sohn aber war erst durch den Tod des reichen geizigen Vetters, des EigenthümerS des Priegel- hofeS, in den Besitz seiner Reichthümer gekommen, bis zu dessen Ableben aber auch nur mit der Holzart und im zerlumpten Kittel täglich in den Wald ge gangen, denn der reiche Vetter hatte auch nicht einen Pfennig hergegeben, bis der Knochenmann ihn von seinen Geldsäcken geholt und die habgierige Seele sich getrennt von ihrem Schatze. Einen bessern Nachfolger als seinen Neffen hätte der Geizige nicht finden können. Wenn er auch sich nichts fehlen ließ, so zwickte er doch seinen Dienstleuten wo er nur konnte, an Lohn und Kost ab, war mit seinen Nachbarn in steten Prozessen wegen den Grenzmarken seiner Ländereien, die er gern immer weiter hinausgerückt, und eS gab daher selten eine Gerichtssitzung in der Kreisstadt, wo nicht der Priegelbauer als Kläger oder Verklagter genannt wurde. Ein merkwürdiges Gegenstück von dem Charakter des PriegelbauerS war seine Tochter, das achtzehn jährige Gretchen. Ganz das Ebenbild ihrer Mutter, die leider bereits schon vor sechs Jahren gestorben, suchte sie, wo eS ihr möglich war, durch Wohlthun und reiche Spenden an die Armen beS Dorfes, wo von natürlich ihr Vater nichts wissen durfte, dessen Sünden einigermaßen wieder gut zu machen, und wenn der Priegelbauer in die Stadt gefahren, konnte man seine Tochter sicher in einer ärmlichen Hütte finden, wo sie aus ihrem Korbe Lebensmittel und Geld auStheilte und sich an den über diese Gaben freudig erregten Gesichtern der Nothleidenden ergötzte. Die Bauern schüttelten nicht selten Vie Köpfe und konnten nicht begreifen, wie solch' ein Engel einen Teufel, wie den Priegelbauer, als Vater haben konnte, sonst aber zeigten sie der Tochter im doppelten Maße die Achtung, welche sie ihrem geizigen und stolzen Vater versagten, und bedauerten daS arme Mädchen, das seine Gutherzigkeit nur verstohlen äußern durfte. Gretchen konnte sich aber über die Behandlung ihre- VaterS bisher nicht beklagen. Er wollte eS durchaus nicht leiden, daß sie in der Wirthschafr mit Hand anlegte, suchte sie ganz zu einem Stavtfräulein zu machen, ließ sie in allen jenen Künsten unterrichten, welche eine Dame von Bildung auSzeichnen. Dies paßte aber so wenig für den einfachen Charakter Gretchens, daß der hochhinau-wollende Vater sich oft selbst gestehen mußte, aus seiner Tochter werde schwer lich ein schmachtendes, französisch seufzendes Stadt fräulein werden, denn wenn der Privatlehrer seine Unterrichtsstunden heginnen wollte, mußte er seine Schülerin nicht selten aus dem Kuhstalle oder au- der Scheuer holen lassen, wo das arbeitslustige Mäd chen unter dem weiblichen Dienstvolke rüstig mit schaffte und mehr Lust an den ländlichen Beschäftigungen zeigte, als bei der Grammatik oder am Klaviere. Da setzte eS denn nicht selten ernste Austritte zwischen Vater und Tochter, aber letztere wußte ihm in ihrer muthwilligen Weise ihre Vorliebe für die HauSwirthschaft so auSeinanderzusetzen, baß der ein gebildete Vater mit brummendem Tone abziehen mußte. So hatte sie bei ihrem vorgerückten Alter sehr geringe Fortschritte in den modernen UmerrichtSgegrn- ständen gemacht; dafür wußte sie aber trotz einer Hausfrau die Wirthschaft zu führen, mit der Milch