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Frciiag M T4 30 Aprlt 1858 1! Srschtiut Dienstag« ««tzk Freitag». Zu beziehen durch alle Post anstalten. Weißerch-Mvng A«„- «i» Iizeiie-Zt-tl »er Mizlichm «erlchtNinter M StadlrÄtzc z» Pip,el»i--«l»e, /ra«niltei> »,t Mnider,. „> . , ...,-..»'s» > ; k > ,-H>. - ."'.dPtk»lE pr» Quartal 10 Rgr. Inserat« die ^Spalten-Zeit« SM. : .,r . . . Berautwortlicher Redacteur: Carl Zehne in Dippoldiswalde. Für den Gewerbe-Verein. In der am 30. April k>. IS. stattstndenden Ver sammlung des Gtwkrl'tveremö zu Dippoldiswalde toll über den „Entwnrs der Gewerbeordnung für das Königreich Sachsen" und das von dem Handwerkerverein zu Cbcmnij) bierubcr abgegebene Gutachten verhandelt werden. Wir glauben daher, daß zu diesem Behüte die nähere Kenntniß des letz teren »othwendig sei, und lassen dasselbe in Nach stehendem seinem Hauptinhalte nach hier folgen: Fragt man sich, ob die Gewerbeordnung den Ansprüchen der Gegenwart, dein Geiste der neuen Zeit wirtlich entspricht, oder ob sie, abgesebe» davon, den noch bestehende» Zünften einen Nutzen gewähren, ob sie denselben eine Stütze sei» wird im Kampfe gegen die immer »nächtiger werdende Fabrikindustric — so nuiji inan nach Ansicht der Deputation beide Fragen verneinen. Der Entwiirf der neuen Gewerbeordnung gicbt selbst zu, daß die ungeheuren Fortschritte, welche vermittels der Natur- wisscnschaftcn auf dein Felde der modernen Technik gemacht worden sind, dem freien Gewerbebetriebe Mittel an die Hand gegeben hätten, die der zünftige Handwerker nur unvollkommen vcnutzcn könne, weil er überall an Schranken stoße, und doch sollen diese Schranke» nicht entfernt, nur hie und da etwas crwcitert werden, der innnngsinäßigc Meister also nach wie vor dem Eindringen der großen Industrie waffenlos blosgestellt bleiben. Schon sind eine Anzahl unserer Inuungsgcwerbe, erdrückt von der Fabrik, fast gänzlich untergegangen, so die Tuchmacher, die Radler; audcrc sind in ihrer Mehrzahl zu bloßen Lohnarbeiten herabgesnnken, wie Weber und Strumpfwirker; viele werden ihnen Nachfolgen und zwar um so schneller, je länger ihnen die Hände gebunden sind. Die gewerblichen Verhältnisse, wie sie sich naturgemäß ent wickelt haben und sich nut eilendem Schritte noch mebr und weiter und noch schneller als bisber entwickeln werden, lassen sich nicht dnrch Verordnungen und Gesetze bahnen und binden; sic durchbrechen diese leichten Schranken und schreiben mit tiefen Furchen die Gesetze freier Bewegung in das Gebiet der Gewerbe. Die Macht der Verhältnisse erkennt der Entwurf sehr richtig an, indem er den gefährlichsten Gegner, den mächtigsten Eoncur- renten zünftigen Gewerbebetriebes, die Fabrik außerordentlich begünstigt, deshalb auch den Begriff des Fabrikbetriebes ungemein ausdchnt. So gewiß es nicht mebr in der Gewalt einer Regierung liegt, die Erweiterung nnd Ausdehnung des Fabrikbctri'cbes zu hindern, oder diesem gegenüber de» zünftigen Handwerker auf dem ihm angewiesenen Arbeitsgebiete nachhaltig zu schützen, so gewiß wird sich der letztere nur dann, aber auch mir dann gegen die Fabrik halten können, wenn ihm dieselben Rechte cingcräumt, di« Schranke», die ihn auch nach der neuen Gewerbeordnung hindernd umgeben, entfernt und die Balm seines Wirkens frei gemacht werden wird. Zu dieser Neberzcugnug führt, ja drängt der greifbare Be weis, den das Gcwerbclcbcn der Gegenwart giebt, die Geschichte aller Völker, welche im großen Buche industrieller Bedeutung eingeschrieben sind, sowie nnd nicht minder die eigenen alltäglichen Erfahrungen unserer Zeit. Der Blick des Handwerkers mag noch so sehnsüchtig auf der Geschichte seines Standes hasten, mit noch so glühender Svmpathie ans die Vergangenheit znrücksehcn, in welcher die Zünfte nicht nur von großer politischer Bedeutung waren, sondern deren Mitglieder im Schutze ihres Verbi,ldungsrechtcs sorgenfrei von ihrem Berufe leben konnten: jene Zeit ist nicht mehr zurück zu bringen, nnd cs kann und darf dem intelligenten Handwerks- meisier nicht entgehen, daß er sein Heil außerhalb der wirkungs losen Innungsg'eseye suchen muß. Was nützt es ihm, daß sein« Verbietungsrechte für die ihm eigentlich gehörenden Arbeiten wohkverbrieft in den Artikeln seiner Innung stehen, daß der Schutz iu diesen seinen Rechten gesetzlich ausgesprochen ist, daß selbst die neue Gewerbeordnung Uebckgrifse in sein Arbeitsgebiet abhalten will ? Die Macht der neuen Zeit, die, sich ewig verjüngend, unaufhaltsam vorwärts schreitet, ist größer als die Macht der Regierung und der neuen Gewerbe ordnung, sie wird nur zu bald Paragraph für Paragraph dieser letzter» auslöschen nnd eine naturgemäße Gewerbeordnung Her stellen. Inzwischen wird aber der innungsmäßige Handwerksmeister überall an einer freien Bewegung gehemmt^ von der keck aus greifenden Fabrik erdrückt sein. Gerade gegenwärtig, wo man einerseits eine fortdauernde Beschränkung des zünftigen Handwerksmeisters, andrerseits eine, von den Zeitverhältnissen gebotene größere Begünstigung dos Fabrilbctriebes in Aussicht hat, ist cs cine ernste Pflicht, den Handwerksstand aus die Gefahren aufmerksam zu mache»!, die ihm bei noch längerer Fesselung seiner gewerblichen Thätigkeit unfehlbar beoorslehen, und ihm das einzige Mittel zu seiner Rellüng darin zu zeigen, daß dieselbe Unbcschränktheik, welche die Fabrik bereits besitzt, auch von den Handwerkern angestrebt werden! müsse. Wenn der Entwurf ein sehr großes Gewicht aus das kor porative Wesen legt, das durch die Festhaltung eines etwas um gestalteten Innnngszwailges an Bedeutung und Umfang gewinnen soll, so ist der Haudwerkcrverein der Meinung, daß eines Theils eine auf allen Seiten polizeilich überwachte und beaufsichtigte Korporation von vorn herein aller Lebensfähigkeiten entbehren muß, andern Theils aber das korporative Wesen ohne Beschränkung des Arbeitsgebiets recht wohl bestehen, gepflegt und kräftig aus gebildet werden kann, wenn man den Sinn des Volkes für dererlei Vereinigungen zu wecken und zu erhalten, aufrichtig will. Ebenso glaubt der Handwerkerverein, daß die an sich nütz lichen Kranken- nnd Unterstützungscasscn sehr leicht durch ein allgemeines Gebot, daß jeder Arbeiter in einen Unterstützungs verein cinzutreten habe, in derselben wohlthätigen Weise geschaffen werden können, wie es sich der Antor des Entwurfs gedacht baben mag, ohne die Rothwendigkeit, deshalb den Jnnungszwang aufrecht zu erhalten, und ist auch der Meinung, daß man dann die Leitung dieser Easseu besser in die Hände der Bethciligtcn legen würde, weil dann deren Verwaltung crfahningsmäßig we nigstens eben so gut, und um Vieles wohlfeiler werden würde. Was nun die Frage betrifft, was in dieser wichtigen An gelegenheit gcthan werden soll, so kann, der Handwcrkervcrc u nur anrathcn, dahin zu wirken: l j daß bei Feststellung der gewerblichen Verhältnisse Sachsens den Handwerksmeistern dieselben Rechte nnd Freiheiten im weitesten "Sinne des Wortes eingeräumt werden, welche dem Aabrikbctricbe zugestanden werden sollen, und 2) daß den Handwerksmeistern der Unbeschränkte Kleinhandel mit.ihren Erzeugnissen nnd Rohstosfen auch dann verbleibe, wenn einer derselben sein Gewerbe nicht mehr productiv betreiben sollte. Das letzte Petitium hält der Chemnitzer Handwerkervcrcin deshalb für unerläßlich, weil bei manchem Gewerbe jetzt schon das Produciren dem Fabrikbelricbe gegenüber unmöglich geworden ist, dieses in der Folge noch öfterer der Fall fein wird, dann aber der Handel das letzte und einzige Erwerbsmittel eines Hand werkers ist, der nicht produciren kann.