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17 W Das 'N Erzählung v. G. Frey tag., D ' M In einer Mittlern Stadt des südlichen Deutsch- . W landS, der frühern Residenz reicher kunstliebender M Kirchensürsten, von deren prunkvollen segensreichen j Walten noch manche herrliche Baudenkmale zeugen,. liegt eine kleine freundliche Straße, die „Weinlauben- gaffe" genannt, fast ganz auf dem Saume der Stadt. W Die Häuser dieser Straße waren einst meistens zu ' U Wohnungen für die Hofdienerschast der hier residi- renden Kirchenfürsten erbaut worden, und stießen zur rechten Seite der Straße an das äußerste Ende ,-U des SchloßgarienS, während die Häuser der linken Seite nur durch ihre Gärten von der ausgedehnten A Promenade mit Ällcen von Linden, Platanen und M Kastanien getrennt werden. An schönen Tagen ist die Weinlaubengasse sehr belebt, denn sie führt ge- . W rade auf das große Rondeau der Promenade, den W eigentlichen Corso der Stabt, wo die schöne Welt sich zu ergehen pflegt, um zu sehen und geseheu zu werden. Sobald aber der Abend herniedersinkt, be- M sonders während der kurzen Tage, ist diese Straße öde und stille, die HauSihüren und Fensterläden H werden geschlossen, die Vorhänge heruntergelassen, U und die Ruhe der gewerblosen Straße unterbricht nur „M zuweilen der taktniäßige Schritt der ablösenben Wach- H Mannschaften, welche nach dem untern Thore deS . M Schloßgartens gehen, oder der eilige einiger später . U Vorübergehenden, welche nach Hause gehen. Die M eine Seite der Häuser in dieser sonnigen, besonders ß durch ihre schönen Gärten und die hier herrschende Ruhe beliebten Straße, wird nämlich noch jetzt bei- -A nabe ausschließlich von Beamten bewohnt, während M die Häuser der linken, mir der Promenade in Ver- W bindung stehenden Reihe durchgängig im Besitze von Rentiers, reichen Kaufleuten ober sonstige» wohlhabenden U und ruheliebenden Bewohnern der Stabt sinb, welche geflissentlich den Lärm der Gewerbe in ihrer Nachbar- M schäft nicht aufkommen ließen. An einem stürmischen Februar-Abende beS Jahres M 1836 war die Weinlaubengasse wie gewöhnlich in A ihre nächtliche Ruhe versenkt, als um die achte Stunde - M ein einzelner hochgewachsener Mann, von der Stadt herkommend, die Straße entlang schritt bis zu einem kleinen Pavillon von nur einem einzigen Stockwerk, W welcher beinahe am Ende der Straße lag. Der Mann H öffnete die Ttzüre mit einem kleinen Schlüssel, und 'H man sah schon nach einer Minute den Schein eines M brennenden Lichts durch die Jalousien dringen, welches im Zimmer hin- und hergetrag-n wurde, als halte der Bewohner desselben die letzte abendliche Runb- W schau in seiner Behausung vor Schlafengehen. — Und so war eS auch in der That. Der hochgewachsene W junge Mann war ein Arzt: I)r. Adolph MarcuS, der schon seit einigen Jahren hier wohnte, und die allge« M meine Stille dieses StadttheilS nicht störte, denn er FD lebte in beinahe klösterlicher Eingezogenheit, Wer ihn UM jetzt im Innern seiner Wohnung gesehen hätte, wie er in einem sehr elegant möblirten Empfangszimmer herumleuchtete, und bann in einem anstoßenden kleinen Kabinet, das sein Studirzimmer zu sein schien- der 'M hätte den Doctor für wohlhabend halten mögen; allein dem aufmerksameren oder geübtern Beobachter wäre nicht entgangen, daß der Lurns, mit welchem der junge Arzt sich umgeben, im Grunde nur ein falscher, künst licher war, wie man ihn den dringendeu Anforderungen seiner Stellung im Leben zum Opfer bringen muß. Die schönen Möbeln schienen noch so neu und unbe- nützr, die Decke von grünem Saffian auf dem Schreib tische des KabinelS war noch so reiy und glatt, baß man wohl sah, eS waren mehr Schaustücke als wirk lich gebrauchte Gegenstände deS täglichen Bedarfs. Und in der That konnte der fremde Besucher auch in diesen beiden Zimmern deS Erdgeschosses den Ein* druck einer unbeschreiblichen Oede nicht los werden. Nachdem der Doctor in beiden Zimmern noch herumgeleuchtet und sich versichert hatte, daß die Ja lousien und Fenster geschlossen waren, öffnete er eine Tapetenthür im Kabinet und stieg auf einer Wendel treppe nach dem Dachstübchen hinauf, wo sein Schlaf- zimmerchen lag. Hier wich die ökonomische Eleganz des Erdgeschosses einer unverhehlten Ärmuth. Ein Feldbette mit verblichenem Kattunüberzug ohne Vor hänge, einige Rohrstühle, ein wackeliger Tisch und eine altväterische Schreibkommode bildeten das ganze sehr dürftige Gerüche dieser Stube, welche deS Doctors eigentliches Wohngelaß zu sein schien, wie wenigstens die vielen aufgeschlagenen Bücher und die Papiere auf der Klappe der Schrnbkommode anveuteten. Hier sah man deutlich und an dem Contraste mit den kost baren Möbeln VeS Erdgeschosses, baß der Bewohner in der traurigen Lage war, sich nachgerade bäs Noth- wendige versagen zu müssen, um mit dem Ueberflüssigen glänzen zu können. Dies war auch die wahre Lage, worin sich der Doctor Marcus befand. Der Sohn eines früheren Beamten, hatte er sein kleines Vermögen für seine wissenschaftliche Ausbildung auf der Universitär und auf Reisen, und hernach, als er sich hier als Arzt niederließ, für eine gefällige und reiche häusliche Ein richtung, mittelst welcher er daS Vertrauen auf seins! Geschicklichkeit wecken wollte, beinahe ganz aufgebraucht. Er war zwar ein sehr tüchtiger Arzt und hakte dies in allen seinen Prüfungen glänzend erwiesen, allein ihm fehlten zwei wesentliche Mittel zum Erfolge in seinem Fache: einflußreiche Verbindungen oder Gönner schaften, und die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit der größer» Menge durch etwas Charlatanerie oder die augenfällige Entfaltung persönlicher Vorzüge auf sich zu lenken. Auf den letzten Kunstgriff verstand er sich namentlich gar nicht; von Natur ernst, sinnig und gediegen, war ein Grundzug seines Charakters Bieder keit und Bescheidenheit, welche ihm verboten, mehr sein zu wollen, als wirklich an ihm war, oder Anderen den Rang abzulaufen, auf Anderer Kosten sich hervor zudrängen. Daö hatte er von seinem, seit vielen Jahren verstorbenen Vater geerbt, der für sehr reich gegolten, aber wenig Umgang gepflogen hatte, und so lebte der junge Doctor nun schon seil beinahe drei Jahren hier in der Stabt fast unbekannt, nachdem er früher in einem kleinen Städtchen der Nachbarschaft vergebens um mehr Erfolg und Vertrauen angestrebt hatte. Zu einem Anschein von behaglichem Wohlstand gezwungen, welchen er nur mit den größten persön lichen Entbehrungen aufrecht erhalten konnte, erwartete er unter dieser Maske von Glück eine bessere Zukunft, und fristete sein Leben mühsam und kärglich von dem Ertrage einiger schriftstellerischer Arbeiten, die er von Zeit zu Zeit in medizinischen Zeitschriften abdrucken ließ. So sehr aber diese auch die Fachgenvffen an sprachen und von seiner Tüchtigkeit überzeugen mochten, so mehrte sich doch die Zahl seiner Patienten nicht,