Volltext Seite (XML)
Die Wahnfinnige. "Auf Thatsachrn gcgründete Lyähtun- aus der Geschichte der Stadt Dippoldiswalde, zur Zeit des »»jährigen Krieges. (Fortsetzung.) Rosa saß eben am Tischchen, daS ihr zu alleiniger Benutzung bei ihren weiblichen Arbeiten überlassen worden war, und nährte fleißig an einem Barett für ihren Andre a s. Da tönte auö der Ferne ein fürchter liches Schreien an ihre Ohren. Sie stutzt und lauscht. Immer näher, immer lauter erschallt das Geheul. Endlich vernimmt sie die Worte: „Die Schweden sind da! die Schweden sind angekommen und rauben!" Zugleich steht sie auch eilende Personen vorüber fliehen, die ihre Wohnungen zu erreichen suchen. Niemand ist bei ihr nnd steht ihr bei; denn der Vater ist auf dem Felde, Andreas in der Mühle und die Mutter im Stalle beschäftigt. — Sie zittert, und weiß vor Angst nicht, waö sie beginnen soll. Ihr ganzes Wesen har sich plötzlich verändert; die Augen sehen starr nach dem Hofthor hin, die sanften Züge deS Gesichts haben sich verzerrt und alle Muskeln treten hervor. Jetzt erscheint ein schwedischer Reiter, dann noch zwei, dann wieder zwei, und steigen rasch von den Pferden, diese an die Stakketen bindend. Zufällig ist der große Hofhund Türk im Zimmer und hat, ohne baß Rosa es bemerkt, unter ihrem Tischchen gelegen. Als sie aufsteht, steht auch er auf und horcht des fremdartigen Getöses. Er lehnt sich an die ihm bekannte und geneigte Herrin, und streicht um ihre Füße herum. Das richtet ihre Gedanken auf ihn, und sie ruft ihm zu: „Türk, gieb Acht. Sei du mein Beistand!" ES scheint, als verstehe der Treue, um waö es sich handele, waö von ihm gefordert werde, und er sieht sie mit seinen klugen Augen an, indem er sich erhebt und seine Vorderpfoten auf ihre Schultern legt. „Schütze mich!" — ruft sie ihm nochmals zu. Aber sobald sie daS gesprochen, tritt auch schon ein Soldat ein und will auf sie zueilen. Doch wie vom Donner gerührt, bleibt er stehen; er ist ohnmächtig, einen Schritt weiter zu gehen. Nicht so Rosa; sie hat neues Leben empfangen, ihr Geist, zwar — wirr, ist mächtiger als je; denn der, welcher vor ihr steht, ist ihr nicht fremd, unv selbst im Wahnsinn hat sie ihn erkannt. Schrecklicher noch, wie vorher, ist ihr Gesicht verzerrt; die Hände ziehen sich krampfhaft zu sammen. „Auch hier sucht Ihr mich auf, Lang ström?" — kreischte sie. — „Wollt Ihr mich morden? Seid ihr noch nicht von dieser Erde vertilgt worden und zu den höllischen Geistern gefahren?" — Jndeß schrie draußen im Hofe die Mutter, die von einigen Soldaten erfaßt worden war, um die Vorrathskammern zu öffnen. Dieft Töne sind Türk bekannt, das Geschrei um Hülfe versteht er. Mit einem schrecklichen Glanze in den Augen schauete er auf Rosa, und da diese eine Bewegung mit der Hand nach dem, vor der Thür stehenden Schweden Machte, so war die in ihm erwachsene Wuth entfesselt; mit einem gewaltigen Sprunge hatte er denselben an der Gurgel erfaßt und niedergerissen. Ein kurzer, aber fürchterlicher Kampf, der alle Regungen der Nerven in ihrem tiefsten Innersten erstarren machte. Nur wenige Schreie, die wie aüö der Hölle kommend her übertönten, und — eine große Blutlache verkündete, daß Türk ein tapferer Beschützer gewesen war. Die Gurgel war dem Fremdlinge aufgerissen worden, und ein Quell dunklen BluteS ergoß sich aus der weiten Wunde. Doch jetzt eilte Rosa nach der Thür und öffnete sie, der noch rufenden Mutter Hilfe zu senden. Sie, eben so rasend, wie der Hund, stürzte auf den Hof und flog auf die sich verzweiflungsvoll wehrende Gertrud zu; aber schneller noch war der Letztere, und im Nu lag einer der, selbige am Arme schleppenden Soldaten auf dem Boden, und auch er blutete, sofort furchtbar zerfleischt. Die Mutter war jetzt frei; denn der Andere halte sich in daS HauS geflüchtet. Von hier.aus erscholl jedoch die Stimme deS Sohnes, schmerzlich nach Beistand schreiend. Von mehreren solcher Tyrannen umringt, lag er niedergeworfen auf den Steinen in der Hausflur, und einer von ihnen war eben in Begriff, ihm daS gezogene Schwert in die Brust zu stoßen. Noch im rechten Augenblicke trat Rosa hinzu. Wie eine Furie, ja wie eine Erscheinung der Hölle, stürzte sie unter die Gruppe und stieß den im Mord Begriffenen, einen riesenhaften Reiter, zurück, daß er taumelnd niedersank. Ihr Haar war aufgelöst und hing wirr um daö schreckenhafte Gesicht; die Augen waren herauSgetreten auö ihren Höhlen und glühten wie feurige Kohlen, eine ungemeine Kraft verkündeten die fast bloSliegendcn Muskeln in Gesicht, an Hals und Händen; ein grausenhafteS Aussehen, mehr einem Gespenste gleichend, bot ihr gatrzes Aus sehen, ihre Haltung, ihr Wesen. Selbst die rohen Krieger erschraken und bebten; der vernichtende Blick, der sie traf, machte sie zu Feiglingen und muthlosen Knaben; sie schrieen und nahmen sämmtlich die Flucht. Unterdeß hatte jedoch der wüthende Türk ein neues Schlachtopfer gepackt und jener, von Rosa hinweg geschleuderte Reiter röchelte zum letzten Male. Eine wahre Mordstätte war die Mühle geworden. Wer vermag die Scene zu malen, die hier zu schauen war? Alle Schweden, die sich im Hofe versammelt hatten, oder sich noch im Hause befanden, liefen nach ihren Pferden, laut heulend, und rissen die Kommenden mit fort. Andere, die in die Ställe gedrungen waren, brachte Türk getrieben, und Rosa eilte ihnen nach, den getreuen Türk antreibend, Keinen der noch an wesenden zu schonen, sie zu vernichten. Es war auch, als hätte Alle eine panische Furcht ergriffen, als sähen sie Geister, und nach kurzer Zeit schon erblickte man keinen einzigen Schweden mehr im Hofe, oder bei der Mühle.*) Kaum war Rosa mit der am ganzen Körper zitternden Mutter und dem nicht minder erschrockenen Andreas in'S HauS getreten, als endlich der Vater erschien. Schon von ferne hatte er das Getöse und Geschrei vernommen, daS aus allen Häusern der Stadt drang und, den Grund desselben sogleich errathend, war er nach seiner Mühle geeilt. Sein erster Blick auf den Hof, sagte ihm, waö hier geschehen, und er ahnete daS Schrecklichste. Zwei der Reiter lagen auf dem Hofe und endeten ihr Leben unter gräßlichen Zuckungen. Die klaffenden Wunden am Halse zeigten ihm, daß Türk hier gekämpft und gesiegt habe. Gleiches fand er an dem im Hause befindlichen Tobten. Ueber- all Blut, überall der Tod. Im Innern des Wohn zimmers hörte er noch Jammern und Weinen. Andreas allein.sprach ruhiger. Hastig riß er nun die Thüre . ') Faktisch.