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Das öffentliche Gerichts-Verfahren. Haben wir bisher über die großen Umwälzungen in unsrer Strafrechtspflege geschwiegen, weil sie selbst in der Juristenwelt eine unbekannte Größe waren und deshalb spurlos an dem größeren Publikum vorübergegangen wären, so ist es doch jetzt, wo die neue Criminalverfaffung all- mäiig anfängt, ihre Thätigkeit vor den Augen der Oeffent- lichkeit zu entwickeln, an der Zeit, auch unsre Leser mit dem Wesen dieser Umgestaltung, so weit es der Raum gestattet, bekannt zu machen. — Es war von jeher deutsche Sitte, eineStheils zum abschreckenden Beispiel, andernthcils aber auch zur Rechtfertigung der entscheidenden Richter, öffentlich vor versammeltem Gau an bestimmten Termin tagen Recht zu sprechen. Ankläger und Angeklagte er schienen geladen mit ihren Beweismitteln, und Unter suchung und Entscheidung erfolgte mündlich und sofort, ja zuweilen unmittelbar nach verübter That, durch die Richter und Schöffen. Die Zweckmäßigkeit jener Ein richtung durch Kürze des Verfahrens und die Vertrauen erweckende Oeffentlichkeit, sowie durch die Aburtheilung von StandeSgenossen, ist nicht zu verkennen. Wie aber alle staatlichen Einrichtungen durch veränderte Verhältnisse un brauchbar werden, so überlebte sich auch jenes Gerichts verfahren, und mußte bei seiner, durch.die wachsende Be völkerung und die damit zusammenhängende Ueberfüllung von Geschäften, überhandnehmende Oberflächlichkeit und vielleicht manche unfertige Urtheile ungelehrter Richter dem in Deutschland Eingang gefundenen wissenschaftlicheren römischen und päpstlichen Rechte weichen, womit auch die aus dem Volke zusammengesetzten unjuristischen Schöppen gerichte dem gelehrten Richter das Feld räumen mußten. So entstand unser bis in die neueste Zeit geltendes Jn- ^uisitionsversahren, welches natürlich die Oeffentlichkeit ausschließen mußte. Ist nun zwar nicht zu leugnen, daß dieses Verfahren durch die damit verbundene, vielseitig wissenschaftliche Ausbildung der Rechtsbegriffe von wesent lichem Nutzen gewesen ist, so konnte dasselbe doch als fremdländisches Rechtsinstitut bei dem Volke nicht so recht in Gunst kommen: das dem Richter nöthige Vertrauen fehlte und die Rechtsbegriffe des Volkes waren von denen der rechtsprechenden Rechtsgelehrten ost himmelweit ver schieden, so daß das Sprüchwort: „summuni ju8 8umm» injuria" leider nur zu oft in Ausübung kam. Die Zeit änderte auch dies, und seit dem l. October vorigen Jähes erfreuen wir uns einer Strafrechtspflege, die, wenn auch nicht in Gcschwornengerichten, so doch offen vor aller Welt einher schreitet, zum Schrecken des im Finstern schleichenden Verbrechens. Es ist hier nicht der Ort, darüber zu po- lemisirrn, ob die in andern Ländern üblich gewordenen Geschwornengerichte vor unserem neuen Strafverfahren einen Vorzug haben oder nicht. So viel aber müssen Alle, denen ein wissenschaftliches Urtheil hierüber zusteht, be kennen, daß die von jeher an Sachsen gerühmte gediegene Wissenschaftlichkeit dadurch nichts verloren, wohl aber durch die eingeführte Oeffentlichkeit des Verfahrens das Ver trauen gewonnen hat, vielleicht auch die Scheu vor der öffentlichen Schande manches Verbrechen fernerhin verhüten wird, obschon auf der andern Seite wieder die öffentlichen Verhandlungen die Pflanzschule der Verbrecher von Pro fession sein werden, indem dieselben darin lernen, auf welche Weise sie der Ueberführung ihrer Verbrechen zu entgehen vermögen. Die durch die neue Strafgesetzgebung geschaffenen Organe der StaaiSgewalt zur Ausübung der Strafrechts pflege find die Gerichtsämter, die Bezirksgerichte und das OberappellationSgericht, sowie die Staatsanwaltschaft und die OberstaatSanwaltschast. Den Gerichtsämtern oder Einzelgerichten (weil nur ein Richter das Urtheil spricht) steht nur bei EigenthumSvergehen ohne erschwerende Um stände bis zu einem Werth von 10 Thlrn. und andern minder wichtigen, im Gesetz besonders ausgesprochenen Ver brechen die Untersuchung und Aburtheilung zu, während alle andern Verbrechen vor das Forum des Bezirksgerichts gehören. Das OberappellationSgericht hingegen entscheidet nur aus eingewendete Berufung gegen das Bezirksgericht und Nichtigkeitsbeschwerde gegen dieses und das Einzelgericht, das Bezirksgericht hinwiederum über den Einspruch gegen Erkenntnisse der Einzelgerichte. Sämmtliche rechtsprechende Richter müssen juristisch befähigt sein. In Lieser Beziehung also ist das neue Verfahren von dem früher» wesentlich nicht verschieden, wohl aber ist bei den Entscheidungen der Bezirksgerichte die Oeffentlichkeit ein wesentliches Er forderniß. Vor denselben wird, wenn auf Antrag der Staatsanwaltschaft der Beschluß aus Einleitung der Unter suchung gefaßt worden, die Voruntersuchung geführt und sodann nach Vernehmung mit der Staatsanwaltschaft daS Verweisungserkenntniß abgesaßt, worin ausgesprochen ist, ob die Untersuchungen wegen Mangels hinreichenden Be weises einzustellen oder auS hinreichenden Verdachtsgründen zur Hauptverhandlung verschütten werden solle. Letzteren Falls wird nun dem Angeschuldigten, wenn er nicht selbst einen Vertheidiger benennt, ein solcher bestellt, Zeugen, sonstige Beweismittel, der Angeschuldigte und resp. der Verletzte, sowie der Vertheidiger und der Staatsanwalt, werden zum Termine der Hauptverhandlung vorgeladen, und diese, sowie das Bezirksgericht selbst (in einer Anzahl von fünf Richtern) erscheinen mit dem Untersuchungsrichter und einem Protocollanten in dem Sitzungssaale. Der Vorsitzende eröffnet die Verhandlung mit einer Relation über das Ergebniß der Voruntersuchung, und eS erfolgt sodann die Vernehmung deS Angeschuldigten, die Ver eidung und Abhörung der Zeugen, Vorlegung sonstiger Beweismittel und Confrontation. Hierauf wiederholt der Staatsanwalt unter Zusammenstellung dessen, was in der Hauptverhandlung gegen den Angeschuldigten sich ergeben, seine gestellte Anklage, und nachdem nun auch der Ver theidiger Dasjenige, was ihm zur Entlastung deS Ange- schuldigten wichtig erscheint, auseinander gesetzt, wird die Verhandlung geschlossen und die entscheidenden Richter treten zur Berathung über die Entscheidung, welcher der Staatsanwalt nicht beiwohnen darf, ab, wenn nicht die Sache so einfach ist, daß sie eS für angemessen halten, mit leiser Stimme im Sitzungssaal« zu berathen. Hierauf nach gefaßtem Beschluß treten die Richter wieder vor die Versammlung und es wird die Entschei dung derselben öffentlich bekannt gemacht, auch, wenn der Verurtheilte dagegen ein Rechtsmittel nicht eingewendet hat, sofort vollstreckt. Nur bei erkannter Todesstrafe ist auch ohne Einwendung eines Rechtsmittels die Sache dem OberappellationSgericht zur weiteren Entschließung vorzu tragen, auch kann dieselbe nicht eher vollstreckt werden, bis Se. Majestät der König erklärt hat, daß er von seinem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch mache. - Geheime Sitzungen kommen nur dann vor, wenn Verletzung der Sittlichkeit oder der öffentlichen Ruhe und Ordnung zu befürchten steht, sowie im Interesse des Staates; das Verfahren vor dem OberappellationSgericht auf ein gewendete Berufung oder Nichtigkeitsbeschwerde ist nur dann öffentlich, wenn durch neu hervortretende Thatum- stände der vorliegende Fall sich wesentlich anders gestaltet. Die GerichtSämter dagegen entscheiden auch fernerhin in der früheren Maße; nur steht ihnen frei, in Fällen, welche das öffentliche Jntereffe besonders in Anspruch nehmen,