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28. November 1856. Nr. ^4 Weißeritz-Ieitnng werden «tt 8 Pfg. fstr Zelle Ver«ch««t und in alle» Expeditionen «ngenommm. /reitag. Erscheint Dsenflag» und, Vrettaz». Zu teztehen durch «lle Poßanstal- ten. Preis pro lvnart. IS-k-r. - Ein unterhaltendes Wochenblatt für den Bürger und Landmann. Verantwortlicher Redakteur: Carl Wie steht's mit der französisch-englischen Allianz? Wenn ein Journalist von dem, waS er zu sagen weiß, nicht den besten Theil ungesagt sein lassen müßte, so könnte man jetzt allerlei Interessantes sagen. AuS den Spannungen der Kabinette schlüpfen die kuriosesten Ge heimnisse und auS einer Stunde plaudersüchtigen Gezänks tk mehr zu lernen, als aus jahrelanger Feindschaft der Kabinette, die sich in diScreteS Schweigen hüllt. Man erinnert sich noch der Enthüllungen, welche die englischen Minister über die Politik des Kaisers Nikolaus in Bezug auf den „kranken Mann" brachten, als zwischen Petersburg nnd England Spannung und Zerwürfniß ein getreten war. Weil Rußland und England so verschiedener Ansichten über den Zustand deS „kranken ManneS" waren, so entzündete sich daran ein Licht, welche- die Petersburger Politik allen Leuten in Europa Heller beleuchtete, als früher selbst die Könige gesehen hatten. In den letzten Wochen kamen Frankreich und Eng land in Zwist. Die englische freie Presse fing an, Sachen zu enthüllen, über die man in Paris nicht eben erbaut war. In seinem Unmuthe ging der „Moniteur" in Paris so weit, die gewaltige freie Press« Englands reglementiren zu wollen. Im kleinern Maßstabe haben diese Zwistig keiten merkwürdige und kuriose Sachen über Pariser Zu stände und Persönlichkeiten schauen lassen; selten sind die englischen Zeitungen so interessant gewesen. Aber die Ent hüllungen wurden nur erst halb gemacht, sie kamen nicht ganz über den Dämmerschein hinaus. Al- eben die letzte Hülle unter den Händen der erzürnten, gewaltigen englischen Zeitung, der „Times," zum Hinblick deS erstaunten Pu blikum- fallen sollte, da lenkte man rasch in Paris ein «md kam schnell zur Verständigung. Die bedenklichen Blößen bedecken sich wieder, jener große Mantel der Freundschaft und christlichen Liebe hat sich wieder zuge zogen und die Neugierigen können wieder heim gehen, denn es gibt heute kein Schauspiel. Wenn die freie Presse ihre Hand schonend ruhen läßt, so muß die deutsche Presse „klug und weise" sein und das Interessante für sich be- halten. Die Differenz zwischen England und Frankreich ging diesmal bis hart an den Riß; an allen Ecken und Enden merkte man ein Zerren an dem Freundschaftsbande. Und wer zerrte? Die böse Welt sagt Rußland. Der Leser rriunert sich wohl noch des unvergleichlichen Satze-in dem Rundschreiben GortschakoffS: „Rußland schmollt nicht! Nein wahrhaftig, e- schmollt nicht; eS sitzt nicht etwa un- thätig im Winkel und sagt schmollend, ich spiele durchaus »icht wieder mit in der Politik, denn ihr habt mir die Laune verdorben; es spielt wieder mit von dem Tago zur Sulina, von der Newa zum Vesuv". Mit vollem Recht Zehne in Dippoldiswalde. -L'^. -SSW» hat die „Times" als den Punkt, von wo für die westlich» Allianz Gefahr droht, den Aufenthalt des französischen Grafen Morny im heiligen Petersburg bezeichnet. Warum trat aber so eine entschiedene Spannung zwischen England und Frankreich ein? In Paris hatte man sich vorgenommen, einen zweiten Pariser Kongreß, aus welchem der französische Minister die Oberleitung habe» sollte, um jeden Preis zu Stande zn bringen. Dadurch würde der dominirende Einfluß Frankreichs sehr gewachsen sein. Um die LieblingSidee eines zweiten Pariser Kon gresses durchzuführen, scheute man sich in Pari- nicht, Rußland einige Forderungen deS letzten Friedensschlusses zu erlassen, scheute man sich nicht, auf Oesterreich «in« Pression auSzuüben, um die.östereichische Besatzung aut' den Donaufürstenthümern herauSzubringen. Diese neu« französische Politik ruhte hauptsächlich auf den Schultern Morny'S. Aber indem man mit Petersburg eine gehesm» Verabredung traf, hatte man sich in Paris, falls, der Plan mißglückte, die Drücken zum Rückzug in die sichere Festung der englischen Allianz durchaus offen gehalten, und di« entschlossene Geistesgegenwart, welche die englisch« Politik dieses Mal entwickelte, war die Ursache, daß man in Paris den Rückzug in das englische Bündniß ant^lt? Wir sprechen von Geistesgegenwart der englisch«» Politik; aber eS fehlte dem englischen Ministerium schon vorher nicht an Warnung und Vorbereitung, man «ußtt, daß sich die französische Politik zu Rußland hinneige. Di« Anfänge der so eben ausgeglichenen KrifiS gehen bis in die Tage der russischen Kaiserkrönung zurück. Schon d» malS wußten die Zeitungen, daß der englische Graf Gran ville viel kälter und zurücksehender, und der französisch« Graf Morny mit außerordentlicher Zuvorkommenheit äusi> genommen worden war. Glücklicherweise hat man in Eng land auf die Zeichen der Zeit zu achten verstanden. Al der französische Gesandte seinen Coup in Konstantinopel ausführte und die Pforte zu der Forderung deS englisch französischen Rückzugs zu drängen hoffte, lag Lord Strat ford schon auf dem rechten Plätze und „führte seine Klinge." Mit diesem kühnen entschiedenen Mannöver Englands in Konstantinopel war die Entscheidung des ganzen französisch englischen Staats entschieden: entweder muß Frankreich die Sache zum offnen Bruch treiben, oder gänj in di« englische Allianz zurücktreten. Frankreich hat für besser gefunden, das Letzte zu thun. . Auf einmal erschien eine Note im „Moniteur," worin erklärt wird, daß die obschwebenden Differenzen unerheb licher Natur seien und daß sie keineswegs, da- englisch französische Bündniß stören könnten, die Allianz sei neu befestigt» Der Empfang, den der neue russische Botschafter beim Kaiser Napoleon gefunden hat, ist zwar höflich, vielleicht gar freundlich, aber man wird jedenfalls in London da mit zufriedener sein, als in Petersburg.