Volltext Seite (XML)
doch oft zu dem Vorsätze, sich gar nicht mehr um das Gemeindewesen zu bekümmern und Glück und Frieden nur in seinem Hauöwesen zu schaffen!" „WaS ist denn geschehen?" fragt die Frau und legt die Strümpfe weg. „Da sind heute Nacht wieder an dreißig Bäume in der Anlage beschädigt, die Blumenbeete fast alle muthwillig zertreten worden. Wir haben mit so viel Mühe und Kosten den Graben, der um das Dorf führt, ausgefüllt, die Anlagen gemacht, um für Alle einen schönen erfreulichen Spaziergang zu schaffen, und aus abscheulichem Muthwillen zerstört man das." „Freilich, Aufsicht ist da schwer," sagt die Frau. „ES kann hier gar keine Aufsicht geben," entgegnete der Bürgermeister, „die Sache ist zu weitläufig. Und dann, soll man einen Büttel hinstellen, um die Leute davon abzuhalten und zu strafen, daß sie nicht zerstören, was zu ihrer eigenen Freude ist? Ist das nicht erbärm lich ? Wir haben überall Tafeln angeschlagen, worauf es heißt, daß die Anlagen unter den Schutz deS Publikums gestellt sind. Sie wurden doch beschädigt. Wir haben daS Wort Publikum wieder weggethan, weil Jeder glaubt, er sei nicht damit gemeint, und haben daS Wort Bürgerschaft dafür gesetzt. Und jetzt werden die Pflanzungen wieder in gleicher Weise beschädigt. ES ist kein Gemeinsinn unter den Menschen. Sie fühlen und erkennen cS nicht, daß es ihre eigene Sache ist, die sie hier beschützen und in Obhut nehmen." „Gewiß," sagte die Frau, „der Gemeinsinn fehlt leider noch sehr. Der Sinn für daö Allgemeine, Gemeinsame, Gemeinnützige, das Niemand allein, sondern Allen angehört, ist nur in Wenigen wach und lebendig. Ich habe daS auch schon bei den Schulen und bei der Suppenanflalt erfahren. ES ist aber nicht lediglich Schuld der Leute, wie Du ja auch schon oft gesagt hast, daß ihnen der Gemeinsinn fehlt. Man überläßt ihnen ja nichts Allgemeines, an dem sie sich freiwillig betheiligen sollen; Alles soll von besonders dazu Angestellten und Besoldeten besorgt werden. Der Gemeinstnn wird nicht recht gebildet und er hat auch oft nichts, woran er sich ausbilden kann. Ich meine, man sollte mit der Jugend anfangen, den Gemeinsinn zu wecken, damit eS jedem Kinde von frühester Zeit an klar wird, wie durch die Bewahrung und Pflege dessen, was Alle angeht, jedem Einzelnen daS Gute und Rechte geschieht." „Die Jugend, die Jugend!" antwortete der Bürgermeister fast zornig. „Soll man denn immer auf daS kommende Geschlecht harren? Immer glauben, die Zukunft, die Nachkommen, die werden alle Schulden einlösen und Alles in die Reihe bringen? So haben gewiß unsere Äorfahren auch gedacht, und ich meine, wir dürften einmal selber etwas sein und uns selber als die Nachkommen betrachten, auf die man die Hoffnung setzt. Einmal müssen wir großjährig sein und daS Erbe unserer Vorfahren antreten." „Gewiß! und Du bist ja selber ein Beispiel davon," sagte die Frau lächelnd, „aber mir fällt eben ein; wie man die Jugend jetzt in einem kleinen Stücke zum Gemeinsinn erziehen könnte." „DaS wird wieder einer vpn Deinen,Vorschlägen sein, die so in'S Blaue hineingehen, weil Du die Welt nicht kennst." „Warte, warte!" sagte die Frau schelmisch, „Du hast mir ja versprochen, diesen Männerübermulh nie mehr gegen mich zu gebrauchen. Wir Frauen kennen die Welt auch, wenn wir schon nicht so viel draußen herum fahren. DaS will ich Dir jetzt zeigen." „Nun, so zeig' eS." „Ich würde an Eurer Stelle die neuen Anlagen unter den Schutz der Schulkinder stellen. Ja, lache nur, ich habe doch Recht. Ich berufe mich auf den Erfolg, den die Sache haben wird. Die Kinder werden sich frühe daran gewöhnen, für etwa» zu sorgen, was der Gemeinde angehört, und das wird ihnen als Männer zu Gute kommen. Und wie werden sie sich freuen, etwas thun zu können, nicht immer bloS Verbote vor sich zu haben. Wer Jemanden gut erziehen will, muß ihm sagen können: daS thue! und nicht immer sagen: daö thue nicht! DaS finde ich schon bei den kleinsten Kindern. Wie freuen sie sich, wenn ich ihnen einen Auf trag gebe, daS und jenes zu vollbringen. Die Erwach senen werden aber — wenn Du meinem Rathe Mit der neuen Anlage folgst — zuerst dieselbe unverletzt lassen aus Rücksicht für die Kinder, und dann wird nach und nach der Gedanke: daß ein Gemeingut hier in die Hand eines Jeden gegeben ist, erwachen und Schutz und Schirm genug bieten." Und so geschah eö auch nach dem weisen Rathe der Frau Bürgermeisterin. Jetzt ist die Anlage im üppigsten Wüchse. Manche Männer, die hier einst als Kinder die Bäume, Hecken und Blumenbeete warteten und pflanzten, sehen mit Wohlgefallen auf daS schöne Gedeihen derselben.und sind die unbezahlten, aber eifrigsten Beschützer davon. Sie erinnern sich bei dem Anblick der schönsten Stunden ihrer Kinderzeit, die sie hier verbracht, und jeheS nachfolgende Kinder- geschlecht tritt mit neuer Freude in diesen Wirkungskreis. Man kann wohl sagen, mit diesen Anlagen wächst auch der Gemeinsinn. Der Gemeindehaushalt von Thalheim gehört zu den geordnetsten, und wo eS etwas Gemeinnütziges zu schaffen und zu wirken gibt, tritt Alles mit frischem, frohem Muthe zusammen. Die Frau Bürgermeisterin mit ihren Freundinnen hatten dabei nicht wenig mitgewirkt. DenN das ist und bleibt wahr: wenn die Frauen das Edle und Uneigennützige erfassen, so beharren sie darin mit einer bewundernS- werthen Ausdauer und Selbstaufopferung. Man würde indeß sehr irren, wenn man glauben wollte, die Frau Bürgermeisterin sei eine von jenen Unausstehlichen, die Alles lieber sein wollen, als waö sie von Gottes und Rechts wegen sein sollen, nämlich — Frauen. Im Gegentheil, trotzdem daß sie ein großes Hauswesen, Landwirlhschaft und Knechte und Mägde hat, weiß sie das doch Alles so zu ordnen, daß die Geschäfte fortgehen wie am Schnürcherf. Alle- ist immer nett und bei der Hand, wenn sie auch nicht immerfort von ihrer Haushaltung redet. Ihr Mann hat daS Sprüch- wort: Bei mir hört man die Mühle nicht klappern, VaS heißt: die Haushaltung ist ohne Lärm. Wer die Frau Bürgermeisterin so im gewöhnlichen Leben handiren sieht, der könnte glauben: die denkt auch nicht weiter, als bis an den Zaun ihres Küchen gartens. Das ist aber nicht wahr, wie wir schon gesehen haben. Der Bürgermeister hat schon schwere Opfer bringen müssen; aber waö auch kommen mag, die Frau Bürgermeisterin trägt Alles mit, und daS so heiter und froh, daß eS Jedem und vor Allem ihrem Mann das Herz erquickt und ermuthigt: Die Frau Bürgermeisterin ist eine wackere Frau. (Aus der Jllustr. landwirthschaftl. Dorfzeitung.)