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Geistliche, Hausbesitzer, Advocaten, auch ein bereits seit vier Javren. verurtheilter Gefangener und — eine Klosterfrau. Es klingt in der That n»ehr als sonder bar, daß eine in der Zurückgezogenheit eines Klosters lebende Frau Theil genommen haben sollte an einer Staatsverschwörung, und nicht weniger auffallend ist eS^ wie ein bereits seit vier Jahren verurtheilter Ge fangener sich an einem Verbrechen hätte sollen be theiligen können, welches, angeblich oder wirklich, erst vor kurzem begangen worden sein soll. Die Anklage gründet sich auf eine revolutionäre Proclamation, die in dem Hute des Haisptangeklagten gesunden worden ist. Diese „Proclamation" ist aber, waS wohl zu merken, nicht gedruckt wie sonst eine Proclamation, die doch immer für Mehre bestimmt ist, sondern sie ist —. geschrieben! Der Hauptangeklagte betheuert nun, die Proclamation niemals besessen zu haben; sie sei von einem Kinde geschrieben und ihm von dem Polizeiageüten in den Hut gelebt worden. Es würde dies mit frühem Angaben über tue Zustände in Neapel so ziemlich übereinstimmen. Der Polizeiagent, welcher der einzige Ankläger gLgen die II Angeklagten ist, wird als ein verrufener und unglaubwürdiger Mensch geschildert. Indem die Angeklagten ihre Unschuld be- theuern, beklagen sie sich zugleich Witter über die Miß bandlungen, die sie erlitten. Mehr als einmal haben sie Alle die Bastonnabe erhalten, und nicht blos sie, die Gefangenen, sondern auch die — Zeugen! Soviel sich im Allgemeinen übersehen läßt, scheinc das Ver fahren der Polizei rc. in dem vorliegenden Falle ein wahrhaft empörendes gewesen zu sein. Die ganze fremde Diplomatie hatte Vertreter in den Gerichtssaal gesandt, um nach schließlichen Befund der Sache über den Fall an ihre resp. Regierungen zu berichten, waS von den neapolitanischen Behörden höchst unlieb ver merkt worden sein soll. Der betreffende Proceß ge winnt dadurch ein Interesse, welches über seine ur sprüngliche Tragweite leicht weit hinausgehen könnte, und man sieht darum dem schließlichen Ausgange mit Spannung entgegen. Wien, 25. Juni. Die Stimmung gegen das Eoncordat und noch mehr gegen die bischöfliche Aus beulung desselben wird jetzt immer oppositioneller, na mentlich auch in militärischen Kreisen, wo man mit Recht darauf hinweist, daß bas Eoncordat in seinen strengen Consequenzen schließlich alle Disciplin der, aus allen Confessionen zusammengesetzten Armee unter graben müsse. Sie können versichert sein, daß nicht «ine auSdehnende, sondern nur eine einschränkende Erklärung des Concordats bei uns Platz greifen wird. — König Otto von Griechenland ist hier angekommen und wird einige Tage verweilen, ehe er nach Carls- bad geht; seine Gemahlin führt inmiuelst die Regent schaft. — Ein neues Volkszählungsgesetz wird gegen wärtig von einer besonder!, Commission bearbeitet; eS soll dabei die sächsische Norm, als die vorzüglichste, zu Grunde gelegt werben. — Die persönliche Anwesenheit des Königs von Griechenland dürfte hauptsächlich die Frage wegen der präsumtiven Thronfolge in den Vordergrund rücken. Der griechische Minister des Auswärtigen, der zu dem Ende binnen kurzem ebenfalls einlreffen UNd eine Rundreise an die Höfe der europäischen Groß mächte machen wird, hat schon jetzt und um eine Basis der persönlichen Besprechung zu gewinnen, eine Denk schrift den Höfen der drei Schutzmächte Griechenlands überreichen lassen. Die Nachfolge des Prinzen Aval- bert auf den griechischen Thron findet nämlich ihre wesentliche Schwierigkeit in der Abneigung desselben, zur griechischen Kirche überzutreten, ein Uebertritt, der in den Ansichten der Verlobten VeS Prinzen, der Infantin Amelia, sowie deS spanischen Hofes überhaupt, ein neues Moment deS Hindernisses findet. Nach der Verfassung des Königreichs Griechenland ist aber ein grundgesetzliches Erforderniß, daß der Regent deS Landes sich zur griechisch-nichiunirten Kirche bekenne. ES würde somit zur Hebung dieser Schwierigkeit und insofern die persönliche Ansicht beö präsumtiven Thron folgers nichts zu ändern wäre, nichts erübrigen, als die betreffende Verfassungsbestimmung auszuheben. - Paris. ES ist ein Bericht deS Generalgouver neurs von Algerien veröffentlicht worden über die zu Tamerna in der Wüste Sahara angestellten Brunnenbohrungsarbeiten. Das Wasser eines neuen Brunnens sprang zum ersten Male, am 9. Juni, als man bei 60 Meter Tiefe angclangt war. Die Bohrarbeiten dauerten 39 Tage und 39 Nächte ununterbrochen, obgleich die Hitze bis aus 46 Grad stieg. Die Hingebung der Techniker, Arbeiter nnd Soldaten bei der Arbeit wird sehr gerühmt. Die Freude der zur Einweihung eingeladenen Eingebore nen soll nicht zu schildern gewesen sein beim Anblick des reichlich strömenden Elements (3600 LitreS in der Minute) von klarster Beschaffenheit. Das Ereig- niß verspricht die wunderbarsten Umgestaltungen der Gegend, und ganze Bevölkerungen sehen ihre Zukunft gesichert. In Folge deS Einflusses der neuen Quelle auf Sässigmachung der Stämme hofft man, man werde Handelsbeziehungen und Märsche bald bis in das artesische Bassin von Tuat, jedenfalls aber bis Waragla auSdehncn können. — Der Tabaks bau in Algerien nimmt von Jahr zu Jähr mehr Auf schwung; die Production im verflossenen Jahre wird bis zu 87,911 Ctr. angenommen. Vermischtes. AnS Verona wird folgender kaum glaubliche Vorfall mitgetheilt: Ein reicher Israeli t dieser Stadt, Hr.Pincherle, erhielt in diesen Tagen einen Brief von dem katholischen Geistli chen seiner Parochie, in welchem er aufgefordert wird, seine sieben jährige Tochter zu entlassen und in einen katholischen Convent zu geben. In dem Briefe heißt es: „ Als Ihre Tochter noch nicht zwei Jahr alt war, war sic sehr krank; da hatte ihre Amme, eine Katholikin, um die Seele deS Kindes zu retten, dasselbe getauft; sic befand sich allein, ohne Zeugen, im Zimmer. Nach den Vorschriften der katholischen Religion und nach de» österreichischen Gesetzen ist eine solche Taufe unverletzlich, und, Sie haben demnach nicht das Recht, als Israelit, ein katholische« Kind bei sich zu behalten." Der verzweiflungsvolle Vater ent schloß sich, seine liegenden Güter zu veräußern und mit seiner Familie nach Turin zu ziehen. Kaum ward diese» ruchbar, s» petttionirten eine Anzahl Vcronaer Bürger und eine große An zahl Arbeiter, lauter Katholiken, bei dem Bischof von Verona, dem Hrn. Pincherle zu gestatten, die Töchter bei sich behalte» zu dürfen, und" der Bischof gab in soweit nach, daß cs dem Vater freisteht, da» Kind bis zu seinem vierzehnten Jahre in seinem Hause zu behalten; bis dahin habe ein katholischer Geistlicher alltäglich das Kind in der katholischen Religion zu unterrichten, und daö Mädchen soll nach zurückgelegtem vierzehnten Jahre sich bestimmen, der jüdischen oder der katholischen Religion an gehören zu wollen.