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IVr. 46 Weißerih-Zeitung. Verantwortlicher Ncdacteur: Carl Jehne in Dippoldiswalde. Freitag. Erscheint Dienstags und VrtltagS. Z« beziehen durch alle Postanfial ten. Preis pro Quart. IVNgr. 13 Zuni 1856. ' ^Inserate werden mit 8 Psg. für die Zeile berechnet und In allen Expeditionen angenommen. Ein unterhaltendes Wochenblatt für den Bürger und Landmann. Aeitbetrachtnng. Diele Zeitungsleser, welche den Ereignissen nicht aus den Grund sehen, meinen, jetzt nach dem Frieden halte die Weltgeschichte Rasttag, die großen Thaten seien vor über, eS gäbe nur langweilige Berichte über die Reisen der Diplomaten und Nachrichten, wo die Fürsten aus ihren Reisen geruht haben, einzukehren und zu essen. Allein in der Weltgeschichte giebt es eben so wenig Ferien, als in den Organismen der Natur. Oft gerade dann, wenn der Strom der Ereignisse matt und ruhig in seinem Bette dahinfließt, bereiten sich im Stillen, unbemerkt für das Auge des oberflächlich Blickenden, künftige große Thal sachen vor. ES ist wahr, die Diplomaten haben zum großen Theil Urlaub genommen, und ihre Sommerausflüge mit laut verkündigter Sorglosigkeit angetreten. Aber hinter dem officiellen Urlaub und den auf einmal bei den Großen lebhaft gewordenen Familiengefühlen, die angeblich zu Besuchen drängen, hinter dem Zuge der Diplomaten nach Italien, welche auf einmal in Masse so schwach geworden find, daß sie sich an der Sommerluft Italiens stärken müssen, lagert dei Sorge nach dem Frieden eben so groß, als während des Krieges. Die Diplomaten wissen im stillverschwiegenen Herzen gerade jetzt am allerwenigsten von einer politischen ,,Gurkenzeit;" sie hatten mehr Ge- schästsruhe, als dahinten weit in der Türkei die Völker auf einander schlugen. ES ist nur politische Unkunde, welche meint: eS steht nichts in den Zeitungen; welche wähnt, der Pariser Friedensschluß, die Pariser Protokolle, der Aprilvertrag hätten den Wagen der Weltgeschichte ge bremst. Wer die Dinge etwas tiefer betrachtet, sieht in dem „wunderschönen Lenz" lischt blos in Feld und Flur die Knospen zu neuen Erndten schwellen. Auch in der Weltgeschichte treibt und drängt eS überall mit einer Allgewalt nach wichtigen politischen Gestaltungen. Das alte historische Gesetz, daß nach großen Anstren gungen »erschlaffte Ruhepausen folgen, scheint diesmal sich nicht geltend zu machen. War der Pariser Friede vielleicht kein Abschluß, sondern bloS das durch die Umstände ge botene Abthun einer noch lange nicht beendigten Periode? Wenn der Friede ein „ewiger" und daher ein sicherer ist, warum trauten ihm die Westmächte so wenig Bestand zu, daß sie auf Oesterreichs Andringen schon nach 14 Tagen eine Coalition in Friedenszeiten bildeten? Selbst die osficiösen Friedensverkündiger, welche auf erhaltene Wei sung den vorschriftsmäßigen Friedensjubel anstimmten, wurden durch die Verkündigung der Tripelallianz nicht wenig überrascht, welche in den wenigen Maitagen rück- YaltsloS als eine Fortsetzung deS Vertrags vom 2. De- cember erschien, also als eine Fortsetzung der Rüstungen gegen dieselbe Politik, welche im Vertrage vom 30. März völlig abgeschworen sein sollte. Drei der Paciscenten fetzten ein Mißtrauen in ein Werk, das sie doch selbst geschaffen hatten. Da Rußland jede Bürgschaft für die Unverletz» lichkeit der Türkei beharrlich verweigert hatte, so wurde es zur Nothwendigkeit, daß man sich ohne Rußland zu jenem Zwecke verband. Auch die Freunde der russischen Politik konnten jene Nothwendigkeit nicht qbleugnen. Man klagte nur darüber, daß jener Vertrag hinter dem Rücken Preußens geschlossen sei, welches doch auch gern energische Schritte mitmache. In Preußen war man sicht lich durch den Aprilvertrag unangenehm überrascht. Die „Zeit," das politische Organ des Herrn v. Manteuffel, suchte ihre Verlegenheit mit der Phrase zu decken: Der Beitritt zum Aprilvertage sei dem königlichen Cabinet „nahe gelegt" worden, oberer muß doch noch so fern ge legen haben, daß man ihn ohne bewaffnete Augen nicht erkennen konnte. Den deutschen Bund, welcher in der orientatischen Verwickelung «in« so «influhreich« Stellung eingenommen hat, haben wir bedauert, daß er erst den 8. Mai durch Oesterreich und Preußen den Abschluß des Pariser Friedens erfuhr, nachdem ihn eine Woche vorher der kleinstes Bierbauspolitiker gelesen hatte. Giebt's denn in Frankfurt keine Telegraphen? Für ihre verspäteten Be mühungen erndteten die beiden deutschen Großmächte am l4. Mai den Dank des Bundestages, welcher von jenem weltgeschichtlichen Ereigniß nachträgliche Kenntniß genom men hatte. Noch weiß der deutsche Bund vom Aprilver- trage offiziell nichts. Am 14. Mai wnrde der BundeS- beschluß gefaßt, daß nun die Kriegsbereitschaft zu Ende sei, nachdem dieselbe in den meisten Staaten Deutschlands factisch aufgehört hatte. Von Berlin aus behauptet man mit derselben Ent schiedenheit, mit der man es von Wien aus ableugnete, daß Oesterreich sehr lebhafte aber erfolglose Anstrengungen gemacht habe, um den mit dem Friedensschluß allerdings abgelaufenen Aprilvertrag vom Jahre 1854 zu einem „ewigen" zu machen. Bekanntlich sicherten damals Oester reich und Preußen in einem Vertrage sich ihre gegenseitige Hilfeleistung in der Weise, daß jeder auf das Länderge biet deS Einen gerichtete Angriff, woher er auch kommen möge, auch von dem Andern als ein gegen das eigene Gebiet gerichtetes feindliches Unternehmen angesehen «erden solle. Der deutsche Bund trat am 24. Juli diesem Trac- täte bei. Nun war das gesammte Oesterreich durch Deutschland geschützt. Oesterreich war höchst „klug und weise," eS behielt sich selbst das Recht der selbstständigen Kriegserklärung vor, während die deutschen Staaten als Bundesglieder darauf verzichteten. Oesterreich hat sich durch das Bündniß mit Frankreich seine Flanke in Italien gesichert; eS ist leicht erklärlich, daß eS durch die Fort dauer jenes Tractates sich auch den Rücken gegen seinen russischen Nachbar decken möchte, dem es nicht viel Dank barkeit zutraut.