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Wittgen's Raubschloß. (Fortsetzung.) Nachdem dieses fröhliche Mahl vorüber war, ver strich der Rest des Abends unter Scherz und Tanz, und Marie fühlte einen gewissen Stolz, als sie wahr- nahm, wie wohlgefällig die Damen Güldenstern'S Artigkeit annahmen und sich darum bewarben, so lange er sie Allen mit anmuthiger Gleichgültigkeit spendete. Doch währte diese Freude nur bis zu dem Augenblick, wo sie wahrzunehmen glaubte, daß er eine vorzüglich auözcichnete. DaS Mädchen war schön, voll Witz und Leben, und Güldenstern schien in ihrer Unterhal tung Alles um sich her zu vergessen. Eine ihr noch fremde Unruhe bemächtigte sich ihrer. Ihr Herz schlug bald vor Zorn, bald vor Wehmuth. Sie hatte keinen Namen für diesen Zustand; sie fühlte sich vernachlässigt. Zum Heil für die Geängstete erhob sich jetzt in der Thüre des Saales ein gewaltiger Lärm. Einige Gäste wollten fort; der Wirth verwehrte ihnen mit komischen Eifer den AuSgang. Doch sein Streiten half nichts, und der Aufbruch war allgemein. Güldenstern ritt mißmuthig neben dem Wagen. Marien's kühles Benehmen war ihm unbegreiflich, da er nicht die leiseste Ahndung hatte von dem, was ihre Seele verstimmte. Er hielt dieß Benehmen für Laune, war nichts weniger als scherzhaft gestimmt; doch versuchte er, um seinen Unmuth zu verscheuchen, ein Gespräch mit KaSpar, der ihm, wie er meinte, zur Seite ritt, anzuknüpfen. „Ich fürchte, Marie ist krank," redete er den selben an. Ein roheS Gelächter war die Antwort. Aufgebracht bemühte er sich, den Grund dieser Unhöflichkeit im Gesicht seines Nachbars zU lesen; die Dunkelheit aber machte dieß unmöglich; doch sah er, daß Roß und Reiter der Gesellschaft nicht zuge hörten. Die schwarze Farbe VeS Pferdes, die Größe Beider gaben der Erscheinung etwas Unheimliches, Geisterhaftes. „Wer seid Ihr?" fragte Güldenstern heftig und gespannt. „Dein Diener und Gönner!" antwortete die Ge stalt mit tiefer Baßstimme. „Euern Namen begehre ich zu wissen!" „Der hat einen gar Übeln Klang!" antwortete der Fremde. „Zum letzten Male: wer seidJhr?" rief Gülden stern, heftig erzürnt. „Satan!" erscholl die Antwort, und ihr folgte noch wilderes Gelächter als vorher, indem der Ge^ heimnißvolle zugleich in die Finsterniß hineinsprengte, daß die Funken sprühten. Güldenster» setzte ihm nach, alle Gefahr des Ritteö vergessend. Der ganze Vorfall war das Werk eines Augenblicks, und ehe die beiden Schönberge das Gespräch beobachtet hatten, waren die beiden Sprecher auch schon verschwunden, und ein gellender Schrei Marien's verhinderte sie, ihnen zu folgen; auch machte die sternlose Nacht dieß unmöglich. Marie hatte die Stimme erkannt! eS war die selbe, welche sie an jenem Abend mit Grauen erfüllte, und ,der letzte Ausruf schien ihr so wahr, daß des Ge liebten Verfolgung ihr Entsetzen auf'S Aeußerste trieb. Alle horchten des Erfolgs. „Halt!" hörten sie jetzt Güldenster» rufen; gleich darauf einen Schuß, und dann nur noch einen eiligen Hufschlag eines Pferdes durch die nächtliche Stille. Marien hatte die Angst allen Groll vergessen gemacht. Mit lauter Freude empfing sie Güldenstern, da er unverletzt zurückkehrte, und Alle waren begierig, den Hergang zu vernehmen. Zm Begriff, den Fliehenden zu erfassen, löste dieser ein Pistol; die Blendung des Blitzes entzog den Ver folgten seinen Augen. Man erschöpfte sich in Muth, maßungen, denn Niemand vermochte das Näthsel zu lösen. Marie erzählte auch ihr Abenteuer, und man fühlte, eS liege etwas Verborgenes darin. Bald ging die Erinnerung daran in den heitern Tagen unter. Gülden st ern war fast ganz einheimisch in Maren geworden, und Frau v. Schönberg sah e- gern. Ihr war es klar geworden, was in der Brust der drei jungen Leute vorging. Sie hoffte ihren Sohn zu heilen bei der gegenseitigen Zuneigung der Lieben den. Auch erleichterten Stolz und Eoelmuth Kas par'S Kampf, und nur eine wohlwollende Höflichkeit gegen Güldenster» nahm Platz in ihm statt früherer Freundschaft. Dem Herrn von Schönberg ward Gülden stern immer lieber und unentbehrlicher. So lebte Jeder in eigner Heiterkeit; nur der alte Jobst versprach kein gutes Ende, denn ein Schwede konnte seiner Meinung nach nichts Gutes bringen. Jndeß ging Alles seinen fröhlichen Gang; nur daß das färbende Laub den nahen, Spätherbst ver kündete und an den Winter mahnte. Zu dieser Zeit ereignete sich eine Begebenheit, welche Güldenstern'S Frohsinn sehr beeinträchtigte und den folgenreichsten Einfluß auf seine Zukunft hatte. ES war ein stürmischer Tag, als er gegen Abend die Büchse ergriff, um noch in den Schlottwitz- grund auf den Anstand zu gehen. Pfeifend schritt er unter den Bäumen hinweg, versunken in die Ver gessenheit der Außenwelt. Als er sein Ziel erreicht hatte, lehnte er sich beim Untergang der Sonne an eine Eiche des HolzrandeS und mühte sich vergeblich, den Umgebungen jenen freundlichen Anblick abzuge winnen, den sie sonst so willig ihm boten. Jetzt that eS ihm leid, Marien's Bitten, womit sie ihn von diesem Gange abzuhalten gesucht, nicht nachgegeben zu haben; denn nicht ein Augenblick der erhofften Freude war ihm zu Theil worden und düster blickte er auf das Gehau, über dessen blühende Haide dünne Nebclstreisen zogen. Plötzlich schritten sechs verdächtige Männer auf ihn los, denen er ein kräftiges „Wer da?" zurief. .Der Anruf fesselte ihren Gang, und während sie ihn mißtrauisch betrachteten, gewann er Zeit, sich mit ihrem Aeußeren bekannt zu machen. Freilich lag für ihn wenig Beruhigendes darin. Gut bewaffnet, in Kleidern, die jeder Witterung be reits Trotz geboten, Vie Gesichter sonnenverbrannt, in deren Zügen Zeit und Gewohnheit den Nameu ihres Gewerbes mit leserlicher Schrift gezeichnet hatten, daß einem minder Beherzten ein Grauen befallen haben würde, — so standen sie vor ihm, wechselsweise ihn und sich unter einander mit argen, fragenden Blicken anschauend. Nur Einer derselben lehnte sich ruhig auf seine Büchse, ohne den geriesten Antheil weder an ihrer Unentschlossenheit, noch ihrem herathenden Geflüster zu nehmen, — still harrend, waS da kommen würps. (Fortsetzung folgt)