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ölr. 15 Weißerih-Zeitrmg Dcrantwortlichcr Rcdactenr: Carl Jehne in Dippoldiswalde. 19. Februar 1856. Inserate-' werden tttlt 8 Pfg. für die Zeile berechnet und in allen Expeditionen angenommen. Dienstag. Erscheint Dienstags und Freitags. Zu beziehen durch alles Postanstal ten. Preis pro Quart. 10 Ngr. Ein unterhaltendes Wochenblatt für den Bürger und Landmann. Der Friedensschlnß und die Türkei. Die Seemächte haben den gegenwärtigen Krieg vor geblich zum Schuhe der bedrohten Türkei begonnen, in Wahrheit aber nur deshalb, um Rußland seine Eroberungs lust nach dem Süden hin zu verleiten und die Ausdeh nung deS russischen Reichs nach der Türkei hin zu ver hindern. Wenn der Grund, welchen die Westmächte Vorgaben, die Türkei zu schützen, richtig gewesen wäre, so müßten sie bei den beginnenden Friedensconserenzen der Türkei die erste Stimme mit überlassen; denn wenn man Jemanden schützen will, so darf dieser Schutz nicht bis dahin fort gesetzt werden, wo er in völlige Bevormundung übergeht. In letzter»! Falle scheint sich die Türke inach den Ungeheuern Opfern, die sie gebracht, zu befinden; denn ihre guten Freunde und Beschützer fragen ihren Schützling gar nicht um seine Meinung, st« senden Rußland ein Ultimatum durch Oesterreich, ohne sich nur die Mühe zu nehmen, zu fragen, welches in diesem Falle die Wünsche der Türkei seien. Man glaubt, die Türkei müsse sich um so mehr dem Willen der Westmächte fügen, weil sie außer Stande sei, allein Widerstand gegen Rußland zu leisten. Daß hierin volle Wahrheit liegt, wollen wir gar nicht verkennen, aber so viel ist sicher: die Westmächte sind nicht um ein Haar breit bessre Freunde der Türkei, als Rußland; sie betrachten die Türket ebenfalls nur als Mittel für ihren Zweck. Die Türket wäre überhaupt längst gelhcilt wie Polen, wenn die Thetlenden über die Beute einig werden könnten. Die Türkei besteht nur deshalb noch, weil keiner der Großstaaten dem andern den Beute- antheil gönnt. Die Schwierigkeit der Theilung der Türkei ruht darin, daß zwei Großstaaten, England und Frank reich, zu entfernt von der Türkei liegen. Wollten sie auch eine oder einige Provinzen derselben in Besitz nehmen, ko müßte» sie auf so einem entfernten Punkte fortwährend eine starke, kostspielige Besatzung halten, um nicht nur den dortigen Einwohnern, sondern auch den Grenznachbarn Respect einzuflößen. Der Aufwand für Verwaltung und Behauptung würde größer sein, als der Gewinn; die Brühe käme höher zu stehen, als das Fleisch. Die Haupt schwierigkeit einer Theilung besteht darin, daß die Türkei eine Perle besitzt, für welche eS keinen gleichen Ersatz gibt, und diese ist Konstantinopel. Ein Staat, welcher Konstantinopel mit der daran stoßenden Meerenge nnd den Dardanellen besitzt, hat den Schlüssel der Herrschaft im Orient; er kann durch gute Befestigung dieser schmalen Meerenge jedem fremden Kriegsschiffe den Durchgang ver bieten. Weil ma». keinem Staate Konstantinopel gönnt, darum können sich die Großmächte über die Theilung der Türkei nicht einigen. Wenn der jetzige Krieg durch de» Pariser Frieden beendigt sein wird, so bleiben die unhalt ¬ baren Zustände der Türkei noch dieselben; der „kranke Mann" ist durch die Kriegsanstrengungen und Verschul dung in finanzieller Hinsicht nur noch kränker geworden, er hat nicht mehr Lebensfähigkeit erhalten, als er früher besaß, nnd wenn man auch einige westeuropäische Einrich - tungen durch Zwang in der Türkei einsührt, so bleibest doch die Bestimmungen deS Korans, welche mit dem Christenthume nicht harmoniren, so bleibt doch der Hoch muth und Stolz der Alttürkcn, die ungeheure Bestechlich keit und Betrügerei der Beamten, so bleibt rin sittlich herunter gekommenes, träges Volk, so bleiben die Bedrü ckungen der Christen durch wucherische Beamte. Da nun Niemand im Stande ist, die sittlichen Zustände der Türkei zu ändern, so sind alle europäischen Verbesserungen nur neue Lappen auf ein altes Kleid, so bringt der Friede nicht eine Beseitigung der alten Gefahr; er schiebt sie nur auf ein oder einige Jahrzehnte hinaus. Die Türket wird immer einem Vulkane gleichen, der die Nachbarschaft jeden Augenblick in Unruhe versetzen kann. Rußland soll, wie es jetzt heißt, keinen Pfennig Kriegs kosten für seinen Uebermuth zahlen, mit dem es Europa in einen furchtbaren Krieg stürzte und den? deutsche» Handel und viele gewerbliche Unternehmungen hemmte. Es wird hier gehen wie 1815, wo man Frankreich au« übergroßer Humanität äußerst wenig Kriegskosten zahlen ließ. Dagegen mußte aber das unschuldige Sachsen bluten und die Hälfte seines Landes abtreten. Aehnlich wird e- der Türkei ergehen. ES ist jetzt im Plane, die Donaufürstenthümrr, dit Moldau und Walachei zu einem „unabhängigen Reich« mit einer europäischen Dynastie" zu machen. Kommt dieser Plan zur Ausführung, so ist eS keinem Zweifel unterworfen, daß die beiden großen Provinzen von der Türkei loSge- rissen werden. Die Türkei hat dann also eben so viel verloren, als wenn ibre guten Freunde nicht zu Hülfe ge kommen wären, wenn Rußland die Donaufürstenthümer als „Pfand" auf ewige Zeiten inne behalten hätte. Höch stens kann cs sein, daß die Türkei einen kleinen Tribut erhält, den man ablösen könnte. Vielleicht verweist mau sie mit dieser ihres gerechten Forderung an die KriegShslfr, die man ihr angeblich in ihrem Interesse geleistet hat. Die Hauptschwierigkeit für die Bildung dies«-. ne»ep ^liu- abhängigen Reichs," welches eine sehr schwache Dor mauer gegen Rußland bilden wird, liegt darin, daß My sich nicht wird darüber einigen könnens rvem.man d«is neue» Thron wird schenken wollen, und jedenfalls wird die Wahl des neuen Herrschers viel Gelegenheit zum Zwist auf den FricdenSconferenzcn geben. , . Die Türkei wird nothgedrungen in diese Gebiet« abtretung einwilligen müssen, aber das neue Königreich, wird der Türkei und Europa «ben so viel Verlegenheiten