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drnSeonferenzen vom IS. März bis 23. April auf geführt. Allein Rußland benutzte fit blos, um Zeit zu neuen Truppensendungen nach der Krim zu gewinnen und wo möglich auf diplomatischem Wege die Allianz der West mächte zu sprengen. Oesterreich, weiches vor Beginn der Unterhandlungen hatte durchblicken lassen, eS werde wer weiß welchen verzweifelten Beschluß fassen, wenn Rußland nicht nachgäbr, zog sich wohlweislich von aller kriegerischen Betheiligung zurück, und während eS in Deutschland An träge auf Kriegsbereitschaft stellte, hatte es selbst am we nigsten Lust, Rüßland in die Schranken weisen zu Helsen. Die Westmächte mußten endlich die Einsicht gewinnen, daß von Oesterreich keine Mitwirkung zu erlangen sei, und so schwand die Aussicht, Rußland zum Frieden auf raschem Wege zu zwingen. Hätte Oesterreich und Preußen etwas mehr als leere Worte gehabt, Rußland hätte vor den ver einigten Waffen der vier Großmächte nachgeben müssen, und Europa stände nicht vor einer noch ungelösten Kriegs frage, welche das alte Jahr dem neuen als ein schlimmes Erbe überbringt. — Wie ein Blitz aus heitrem Himmel traf durch den Telegraphen die Nachricht ein, Kaiser NtcolauSsei gestorben. So war der Mann vom Schau platze seiner irdischen Thätigkeit abgerufen, unter dessen beherrschenden Einflüsse ziemlich ganz Europa gestanden und der den Erdtheil in Krieg gestürzt hatte, um „den kranken Mann" zu beerben. Sein Nachfolger, Kaiser Alexander II., konnte nicht plötzlich eine andre Politik einschlagen, und so wurden die Kriegsrüstungen und Trup pensendungen von beiden Seiten nur noch energischer be trieben. Den Westmächten schloß sich ein Hilfskorps der 'Piemontesen von iS,000 Mann an. Dieser Staat hatte erkannt, daß eine allgemeine Gefahr, welche von Rußlands Eroberungspolitik aus dem Erdtheil droht, auch eine be sondere sei, die jedes einzelne Land berührt. Für die Kulturgeschichte ist das verflossene Jahr wich tig. Am 28. Jan. wurde die Eisenbahn über die Land enge von Panama in Mittelamerika zum ersten Male befahren und so das atlantische Meer mit dem stillen Ocean verbunden. Die Fahrt auf dieser Bahn dauert etwa 5 Stunden. — In Paris wurde am IS. Mai, während Frankreichs Truppen in der Krim kämpften, die Industrieausstellung aller Nationen eröffnet und die Künste des Friedens feierten einen segensreichen Triumph, und die Völker lernten einsehen, daß sie alle zusammen eine Familie bilden, deren Interessen sich tausendfach verschlingen, und daß ein Staat von asiati scher Cultur, wie Rußland, mit seinen EroberungSplänen gar nicht in die europäische Völkerfamilie paßt. — Die Türkei wurde durch mehrjährige Anwesenheit der Englän der und Franzosen, welche hier durchweg herrschten, in Reformen gedrängt, die sie nimmer wieder los werden können; Mißbräuche wurden abgeschafft, die seit 400 Jah ren bestanden hatten. So erfüllt sich der Plan der Vor sehung mit der Türkei, wenngleich die Westmächte dies mal mit Recht zu ihrem Schutze ausgetreten sind. — Am 28. Juni wurde die Alberts bahn eröffnet, welche den Kohlenreichthum des Plaucn'schen Grundes der Elbe näher bringt. — Im August erschienen die tiefeingreifenden Ge setze in Sachsen, welche eine bessere Organisation der Gerichtspflege bezwecken. — Der sächsische Landtag bewilligte die sehr gesteigerte Staatsausgabe Sachsens. — Unser hochverehrter König bereiste mehrere Striche seines Gebietes und wurde überall mit größten Festlichkeiten aus genommen. — Am 23. Septbr. wurde das Säcnlarfcst des Augsburger RcliglonsfriedenS in allen Städten und Dörfern auf das Festlichste begangen, und wir denken noch mit Erhebung der herrlichen Feier unsrer Stadt. DaS verflossene Jahr sah großartig« fürstlich« Besuche. Jin April reiste Kaiser Napoleon mit seiner Gemahlin nach England und er wurde hier mit einer Auszeichnung ausgenommen, die nur noch übertroffen wurdet als am 20. Aug. die Königin Victoria mit ihrem mahl in Paris eintraf. Parts schwamm in einem Meere von Festlichkeiten. Im Spätherbst besuchte der König von Sardinien Paris und London. Die Erndte dieses Jahre- erwie- fich als unzu reichend und der Scheffel Korn stieg sogar bis auf 8 Thlr. im Preise, Eine nicht genug zu schätzende Wohl thal war eS daher, daß die Kartoffeln und das Obst treff lich gerathen waren und daß der ausgezeichnet warme und trockne Herbst eine treffliche Bestellung der Wintersaat be günstigte, wodurch Aussicht auf eine bessere Erndte ge wonnen ist. Zu den weniger erfreulichen Ereignissen gehört das mehr als eiserne Polizeiregiment in Neapel, was selbst Napoleon zu bunt wurde; die Aufhebung der hannöver schen Verfassung, wobei fich dieses Land sehr wohl befun den hatte; der Abschluß des ConcordatS zwischen Oester reich und Rom, wodurch die katholische'Kirch« eine füst mittelalterliche Gewalt in diesem Staate erhält. Der Krieg hat dieses Jahr mit furchtbarer Wuth getobt. Tausende und aber Tausende haben Rußlands Eroberungssucht mit dem Leben bezahlt. Vom 5. bis 7. Septbr. wurde auf Sebastopol ein Artilleriefeuer eröffnet, wovon die Weltgeschichte weiter kein Beispiel hat. In der Nacht vom 8. zum 9. Septbr. räumten die Russen die ganze Süd- und Hauptseite der Stadt und Festungswerke. Die Verbündeten zogen nun als Sieger ein. Neber 2l,ÜÜ0 Mann waren an jenen Schlachttagen gefallen. Durch die Expedition nach dem asow'sch en Meere wurde von dieser Seite her den Russen der Zuzug von Lebensmitteln abgeschnitten. Von entgegengesetzter Seite wurde von den Flotten der Alliirten Kienburn weg genommen. Die vorgeschrittene Jahreszeit verhinderte aber ein weiteres Vordringen. In der Ostsee wurden den ganzen Sommer hindurch die russischen Küsten blokirt, der russische Handel abge sperrt und am 9. August die Festung Sweaborg bom- bardirt. In Kleinasien waren die Russen siegreich, und zwar deshalb, weil die verbündeten Generale den ganzen Som mer hindurch den tüchtigen Omer Pascha aus kleinlicher Eifersucht abhielten, mit seinen Truppen nach Kleinasien überzuschiffen. Am 28. Novbr. mußte sich, endlich die tapfre Besatzung von KarS den Russen ergeben, weil sie seit sechs Monaten vergeblich Proviant erwartet hatten. Der Hunger, nicht das Schwert der Russen, hatte die Festung besiegt. Die Nachtheile dieses den alliirten Ge neralen zur Last fallenden Fehlers werden fich mehr fühl bar machen, als man gegenwärtig noch glaubt. So hat das Jahr mit einem Siege Rußlands geendet. Die Diplomatie entfaltet nun alle ihre Thätigkeit, und Oesterreich an der Spitze, um nur Grundlagen zu einem Frieden zu gewinnen. Daß der Friede ein allge meines Bedürsniß und für Rußland mehr, wie für einen andern Staat, ist, läßt sich nicht leugnen. Aber wenn man Grundlagen dcs Friedens gewonnen hat, ist noch die Frage, ob nicht die Verhandlungen das Schicksal der Wie ner Conserenzcn haben. Kommt aber diesen Winter der Friede nicht zu Stande, so wird im nächsten Jahre der Krieg noch ganz andre Ausdehnungen nehmen. Vielleicht wird Finnland der Kampfplatz, von wo aus man direct nach Petersburg marschircn könnte. Hierauf scheint uns das sonderbare Bünduiß mit Schweden zu deuten.