Volltext Seite (XML)
-SWM- Nr S2 ist!--. . .il Weißeritz-Zeitung. Freitag. Erscheint Dienstags und Freitags. Zu beziehen durch alle Postanstal- ten. Preis pi-a Quart. lO Ngr. 23. November 1855^ Inserate werden mit 8 Pf. : für die Zeile' berechnet und ik allen Expeditionen' angenommen. Ein unterhaltendes Wochenblatt für den Bürger und Landmann. Verantwortlicher Ncdactcur: Carl Ich ne in Dippoldiswalde. Ist ein Krieg zwischen Amerika und Eng land zu erwarten? Während dieses Sommers waren die Blicke der Di plomaten Und der übrigen politistrenden Köpfe fast aus schließlich nach Osten gerichtet und die amerikanischen Zei tungen waren für Europa nur deshalb noch interessant, weil sie Berichte über die Baumwollenerndte und über die Erträgnisse des Mais-, Weizen- und Tabakbaues, über Eisenbahnactien und Anleihecourse brachten. Seit einigen Wochen fängt Amerika an, in nähere Beziehung zu den weltgeschichtlichen Ereignissen Europas zu treten. Das kommt theils von der diplomatischen Lhätigkeit Rußlands, theils von der Politik Nordamerika's, welche die günstige Zeit, wo England im Osten kriegerisch beschäftigt ist, benützen möchte, und endlich von dem Par teitreiben der amerikanischen Union. Rußland hat alle Segel gespannt, um Hilfe von den Vereinigten Staaten zu erlangen, und wir sehen den absolutesten Staat in seltener Einmüthigkeit zu den stolzen Republikanern der Union stehen. Wenn auch die Amerikaner viel zu praclische und eigennützige Leute sind, als daß sie sich ohne Aussicht auf reellen Gewinn in europäische Händel mengen sollten, so hat doch schon die Nachricht Sensation in Europa ge macht, der Kaiser von Rußland habe der Union freien Handel mit seinem Staate zugesichert. Hätte Amerika Lust, in Europa den Krakehl mit vermehren zu helfen, und seine Stimme im Rathe der Großmächte geltend zu machen, so hätte cs durch die Zusage der freien Schiff fahrt eine bequeme Handhabe; es könnte die freie Passage seiner Schiffe durch das Blokadegcschwader der Westmächte in der Ostsee und im schwarzen Meere fordern. Da man ihm diese wohl kaum zngestehen dürfte, so könnte sofort der Conflict mit der bedeutenden transatlandischen See macht beginnen. Dahin wird es aber nächsten Sommer jedenfalls noch nicht kommen. Gegenwärtig ist cs aber ein anderer Lärm, welcher die Aufmerksamkeit Europas auf'Amerika zieht. In der Union wird jetzt in Journalen und Volksversammlungen das alte Thema: „Bruch mit England!' mit größter Leidenschaft abgedroschen. Wer nicht den amerikanischen Erscheinungen, auf den Grund schauen kann, müßte nach solcher leidenschaftlichen Aufregung glauben, der Bruch mit England werde in der nächsten Zeit schon losgehen. So schlimm ist's aber nicht. Allerdings kann ein solcher Lärm in Europa nicht ganz unbeachtet verhallen. Die Vereinigten Staaten sind eine sehr respektable Macht, mit welcher man nicht gern Händel anfängt, zumal dann nicht, wenn man gerade einen unabsehbaren Krieg mit Rußland auf dem Halse hat. Man überlegt sich vielmehr in England sehr bedenklich, daß durch einen Bruch mit Nordamerika Rußland am einfachsten Luft bekäme; man erwägt die Folgen, welche ein ernst haftes Zerwürfniß zwischen England und der großen Union nach sich ziehen würde. Man kann sich nicht verhehlen, daß selbst in gewöhnlichen Zeiten ein solches Ereigniß zu den folgenschwersten gehören würden, die Europa treffen könnten. Im gegenwärtigen Augenblicke würde aber ein solcher Krieg ein ganz unübersehbares Unheil anrichten. Um es kurz zu bezeichnen: der Welthandel, die Industrie Europas würde still stehen. Fregatten und Linienschiffe würden den Ocean mit Pulverdamps und Blut erfüllen; räuberische Kaperschiffe würden die feindlichen 'Flotten der Kaufleute von den Pfaden des Meeres verscheuchen; die Kriegslasten und die Preise der Lebensmittel würden in's Unerschwingliche steigen. Eine große Zahl von Han delshäusern würde bankerott werden und dieser Ruin würde seine verderblichen Folgen wie die Nebel der jüng sten Tage in weiterem Kreise verbreiten. Das Unheil würde sich zum Glück für uns nicht allein auf Europa beschränken. Die Amerikaner würden bald genug die Folgen eines unklugen, gewissenlosen Ueber- muthes empfinden, welcher aus einer unerheblichen Diffe renz die verheerenden Flammen eines großen Kriegs an zublasen versucht. Amerika befindet sich nämlich nicht mehr in den Zu ständen von 18 l 2. Amerika kann nicht wohl bestehen, wenn seine Ausfuhre an Baumwolle, Tabak und Lebens mitteln, wenn sein Handel mit Europa und Asien plötzlich unterbrochen würde. Auch die moderne Kriegsentwickelung Englands und Frankreichs sind in Anschlag zu bringen, und die Kriegs erfahrung dieser beiden Länder. Die Kriegführung hat sich seit einigen Jahren in Europa gewaltig geändert, seit dem man mit Erfolg versucht hat, Landarmeen von einigen Hunderttausend Mann auf weite Entfernungen über See zu transportiren. Hierzu kommt, daß Amerika bei einem Bruche mit England cs mit zwei Feinden zu thun bekäme; England und Frankreich würden unter allen Umständen im Westen eben so vereint kämpfen, wie im Osten, weil Frankreich nicht leiden würde, daß die Kräfte seines Bundesgenossen, welche gegen Rußland höchst un entbehrlich sind, in Amerika verwendet werden müßten. Frankreich würde durch energische Schläge die Union zu einem Frieden zu zwingen suchen. So gute und tapfre Schützen auch die amerikanische Miliz zählen mag, so würde sie doch kaum im Stande sein, vor den kriegsge übten Armeen Frankreichs und Englands Stand zu halten. Nun könnte man einhalten: während des Sommers wür den England und Frankreich alle disponiblen Armeen im Osten brauchen. Das niag zum großen Theile wahr sein. Aber während des Winters würden beide Staaten eine Seemacht in den Gewässern der Union aufstellen kön-