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Mr. 46 Weißenh-Zertung Verantwortlicher Rcdacteur: Carl Ich ne in Dippoldiswalde. Freitag. Erscheint Dienstag» und < Freitag». Zu beziehen durch alle Postanstal ten. Prei» pro Quart. I V Ngr. Ein unterhaltendes Wochenblatt für den Bürger und Landmann. 15 Juni 1855. Zichiak werden mit 8 Pf. für die Zeile berechnet ^und in allen Expeditionen angenommen. Oesterreich und Preußen. Die Wiener Friedenskonferenzen sind nach einem siechen Leben, von allen Leiden der Langeweile erlöst, selig entschlafen. Ihr ist wohl und uns ist besser, denn es hört damit eine Täuschung auf, womit die Welt jetzt bis zum Ueberdruß geplagt wird. Die iS. Sitzung der Wiener Konferenz ist zugleich ihre letzte gewesen, und die Unter handlungen zwischen Rußland und den Westmächten sind definitiv geschloffen. Oesterreich kann nun von der todes müden Dame, von Her man behauptete, sie werde der Welt den Frieden gebären, nicht mehr sagen, sie lebe noch, sie liege nur im Starrkrampfe; — sie ist wirklich todt. Da hat man sich nun Monate lang geplagt, dis- putirt, überlistet, conferenzt, gegessen und gesunken, und was hat der kreisende Berg zur Welt gebracht? Auch nicht einmal ein winzige» MäuSlein, auch nicht einmal „schätzbares Material", welches man den weiland Dresdner Konferenzen nachrühmte. Das Resultat dieser mühsam zu Stande gekommenen Konferenzen liegt der Welt als großes aufsummirteS Facit vor und diese» Facit ist gleich Null, wie wir dies beim Beginn derselben vorausgesehen haben. Die Weltgeschichte hat sich durch jene Konferenzen nicht verändert. Zwischen den kriegführenden Mächten ist Alles beim Alten geblieben und von den bisher neutralen Staaten hat noch kein einziger den Degen gezogen. Oester reich bat die Konferenzen benutzt, um sich auf die Linie deS ZuwartenS, Zusehens und der Neutralität zurückzu ziehen, und diese Linie des süßen Zuschauen» haben seit AuSbruch deS Krieges alle warmen Freunde Rußlands in Deutschland empfohlen.- Wemi alle Welt annahm, Oester reich werde nach dem Scheitern der Friedenskonferenz gegen Rußland kriegerisch vorgehen, so sind diese guten Leute einmal tüchtig hinter'S Licht geführt worden. Oesterreich hatte einen VermittelungSvorschlag nach London, Paris und St. Petersburg geschickt, dessen Kern von den west lichen Höfen erkannt und abgelehnt worden ist. In dem heiligen Petersburg dagegen hat man den Vorschlag des Wiener CabinetS „gewürdigt", wenn die Depesche richtig instruirt ist. Er muß also für den russischen Hof gar nicht so unannehmbar gewesen sein. Der Sache nach ist nun das österreichische kabinet auf den Standpunkt zurückgegangrn, welchen Preußen während der ganzen Krisis innegehabt hat. Oesterreich hätte also nicht nöthig gehabt, das Decemberbündniß tn Paris abzuschließen und in Frankfurt die Mobilmachung der deutschen Heere zu beantragen, und Preußen hätte sich ersparen können, die Zulassung zum Decemberbündniß unter einer noch bindung-losen Form in Paris und London zu suchen. Nun läßt sich nicht leugnen, daß die Mißstimmung des Publikums in London und Paris gegen daS öster reichische kabinet sehr erklärlich und zu entschuldigen ist. Man hatte sich dort mit gerechtem Vertrauet» der Hoff nung hingegeben, Oesterreich werde, nachdem di« Friedens verhandlungen geschloffen sein würden, seine Armeen in Polen und Bessarabien vorrücken lassen, und man hatte sogar den Glauben genährt, daß diese Bewegung durch den Decembervertrag zu einer Pflicht für Oesterreich ge worden sei. Jetzt, urplötzlich erfährt man aber, daß das Wiener kabinet diese Auslegung deS Vertrags auch nicht im Entferntesten anerkennt und daß es den dritten Punkt, welchen eS angenommen und Rußland zum Kosten vor gesetzt hatte, der Friedensgarantien ganz anders auffaßt, als seine seitherigen BundSgenoffen, und daß e» den West mächten nun ganz trockek erklärt: Seht selbst zu, wie Ihr Eurer Auffassung Geltung verschafft; eS thut uns leid, Euch nicht Helsen zu können. Rußland hat jetzt zunächst den Vortheil, zu wissen: ich bin an der preußischen und österreichischen Grenze sicher. Im Ziele, „nicht mitzuthun", sind die österreichische und preußische Politik völlig gleich; nur versteht man in Wien seiner Politik andre Bewegungsgründe unterzuschieben, al» in Preußen. Oesterreich spricht: ich muß neutral bleiben, weil Preußen nicht mit mir gehen will; allein kann ich unmöglich gegen den großen Riesen kämpfen; Preußen will aus Grundsatz neutral bleiben, und eS hat dies nie ver hehlt. Preußen will Oesterreich von der Offensive ab halten, Oesterreich stellt sich so, als wolle eS Preußen zum Angriff gegen Rußland bewegen, und als habe eS unge heuer», fast unzähmbaren KriegSmuth in der Brust, wenn nur die spröde preußische Neutralität nicht wäre und wenn der Kreuzweg nicht gekommen wäre. Wir müssen die jüngste Wendung der österreichischen Politik im deutschen Interesse für eine unheilvolle an- sehen; denn Deutschland wird dadurch isolirt und Oester reich selbst kann in die größten Verlegenheiten kommen, wenn- die Westmächte einen Feldzug in däS russische Bessarabien eröffnen, der itur früher auS Rücksicht gegen Oesterreich unterblieben ist. Dort sind zwei Fälle möglich, entweder di« Westmächte oder Rußland siegen. Im ersten Falle werden , die siegreichen Engländer und Franzosen auch die Räumung der Donaufürstenthümer von österreichischen Truppen fordern; will sich Oesterreich dem widersetzen, so geht der Krieg los; wejcht «S, so darf eS bei einem künftigen Friedensschlüsse nicht etwa glauben, daß die Westmächt« ihm seine Vortheile auf einem Prä- sentirteller bringen. Tiegen die Russen, so werden sie den fliehenden Feind durch die Moldau verfolgen uyd sie werden suchen, sofort die Donauprovinzen wieder zu er langen. Auch Rußland wird bei einem Friedensschlüsse es Oesterreich gewiß nicht im Guten gedenken, daß es