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«Freitag. Nil^S8. 6. April 1855. ><t 7 Expeditionen angenommen. Erschefqt,. Dienstags »til Freitag«. Zu beziehen durch alle Postanstal ten. Preis pro Quart. 10 Ngr. A'' -We»ßerch-Zeüung.W Ein unterhaltendes Wochenblatt für deit Bürgeb unh 'KaWrÄNn. i l- Verantwortlicher Rcdacteur: Carl Jehne in Dippoldiswalde», ,j,j,> Die Griedensaussichten und der Aufruf der russischen Synode. Mehrere osficielle Organe blasen jetzt die süße FriedenS- flöte, seit die Konferenzen in Wien begonnen haben. Auch durch die englische und französische Presse haben die Frie denshoffnungen in der jüngsten Zeit einige Nahrung er halten. Namentlich gaben die officiösen Pariser Blätter sich wenigstens den Schein, als glaubten sie an die Mög lichkeit so bedeutender Zugeständnisse von Seiten Rußlands, daß England und Frankreich denselben ihrerseits in der friedlichsten Weise entgegenkommen könnten. Selbst der „Moniteur" steht in seinem jüngsten Artikel über Kaiser Nikolaus mit dem Tode dieses Monarchen das Haupt- hinderniß des Friedens als geschwunden an; sein Nach folger Kaiser Alexander H. vermöge dadurch, daß er eine Politik der Versöhnung in Aussicht stellt, Rußland den Frieden wieder zu geben und seine Weltstellung zu erhalten. Die Wiener Conferenzen find bis -jetzt für die ge- sammte nichtoffieielle Welt ein verschlossenes Buch, und selbst LuS der theoretischen Verständigung über die allgemeinen Prinzipien läßt sich durchaus noch nichts Sicheres über den Erfolg des Friedenswerkes folgern. Die eigentlichen Schwierigkeiten werden erst beginnen, wenn man vom Allgemeinen aufs Besondere, von den Prinzipien auf die einzelnen Friedensgarantien kommt, welche gewähren soll, um der Möglichkeit entrückt zu werden, ly einigen Jahren wieder den „kranken Mann" zu Überfällen,' rind Europa in Kriegsfurcht und in die Schrecknisse deS Krieges zu versetzen. Handelte es sich lediglich um Sebastopol, so wäre allerdings zuzugeben, daß die Westmächte nicht unter jeder Bedingung auf seine Vernichtung bestehen werden, schon aus dem einfachen Grunde, weil die Trauben sehr hoch hängen und daher — sayer find. Aber es fragt sich nur, ob die andern einzelnen und praktischen Bedingungen, welche man für die Sicherung deS Frieden- stellen wird, von Rußland nicht als eben so unannehmbar erachtet werden, da am Ende die Erhaltung Sebastopols für Rußland eben so wenig „letzter Zweck" ist, als für die Westmächte seine Zerstörung. Rußland hält Sebastopol nur für ein höchst zweckmäßiges Mittel, seiner Pontusflotte einen unangreifbaren Hafen zu ver schaffen und damit die Küstenländer des schwarzen Meeres zu beherrschen und sich eine feste Basis zu verschaffen, wenn eS gilt, nach dem reichen Erbe des kranken Mannes zu greifen. Was nun die russische Politik unter dem gegenwär- tigch Kaiser betrifft, so fiiidet der „Constitutione!" zwei Moment«, die ihr einen friedlichen Anstrich geben. Erstens hat Kaiser Alexander t>. das charakteristische Wort „Trans aktion" durch das Rundschreiben des Reichskanzlers Nessel- rode ausgesprochen, zweitens ist in dem nur ,bezeichneten Document durchaus nicht mehr von der orthodoxen Kirche und dem griechischen Glauben di« Rede. Der neue Kaiser Rußlands scheine also darauf verzichtet zu haben, seine Völker durch die Religion zu fanatistren, er wolle nicht mehr, wie sein Vater, der Papst deS Orients sein. , Die Hoffnungen, welche sich auf das letztere Argu ment gründen, werden aber gründlich vernichtet durch ein Manifest der „heiligen russischen Synode", die für die griechischen Christen dasselbe ist, was der Papst in der katholischen Kirche zu bedeuten hat. Dieses Manifest be- weist« daß der peue Kaiser Rußlands aych, .stuf ds« An- Wendung religiöser Hebel nicht nup, nicht verzichtet, son dern sie in einer viel energischer» Weiße, .als sein Vor gänger, in Wirksamkeit zu, fetzen. Ledens In diesem Aufruf der heiligen dirigirenden Synode an das rechtgläubig« Rußland wird die Religion in einer traurigen Art und Weise'rein zu weltlichen Zwecken auS- gebeutet und die Unwissenheit des russischen Volke» so arg benutzt, daß die Geschichte wenig ähnliche Beispiele auf zuweisen hat. „Kraft der Gnade, deS Geschenks und der Macht, die ihr vom obersten Seelenhirten, unserm Herr» und Gotte Jesu- Christus ertheilt worden ist, ruft di« aller heiligste dirigirende Synode allen Russen, allen rechtgläu bigen Kindern der orthodoxen russischen Kirch« zu," so beginnt daS Manifest, nachdem vorher der Narge, d»r W. Dreieinigkeit gemißbraucht ist. ' Wo und wann hat denn Christus, unser Herr, er laubt, seine erhabene Religion als Mittel und Deckmantel zu weltlicher Herrschsucht zu benutzen? Wo hat er der dirigirenden Synode erlaubt, seinen Namen zu mißbrauch»», um einen kriegerischen Einfall Rußlands in ein feindliches Nachbargebiet zu rechtfertigen? „Es ist euch bekannt," sagt der Aufruf w«it«r, „wie ungerecht dieser Krieg gegen nufer Vaterland von unfern Feinden begonnen ist, weil der große Herr und Kaiser Nikolaus gesegneten und ewig ruhmwürdigen Andenkens seiner heiligen Pflicht als Beschirmer des rechten Glauben gemäß von der ottomanischen Pforte die Wiederherstellung der von ihr verletzten Rechte der heiligen orthodoxen Kirch« verlangt hat; eben so bekannt ist, daß die Feinde des Kreuzes Christi zum allgemeinen Erstaunen eine Stütz« gefunden haben in zwei sich christlich nennenden westlichen Mächten." Von der großen Ungerechtigkeit, welch« Rußland be ging, als eS zwei friedliche Nqchharprovinzen kriegerisch besetzte, die Einwohner bis auf'S Blut auSsaugte, über 80,000 Mann hinopferte, sengte ustd brannte, davpn scheinen die , Verfasser des Aufrufs nicht- mehr zu Wissen. Und das Erstaunlichst« für Rußland ist, daß sich ander«