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dessen hatte die Wirthin nach Leuten gerufen, und die Stube füllte sich. Auch der Schuldheiß und Hans jörg S Weib kamen hinzu. Der Erste war todtenblaß, als er das Unglück sah, nur jeine Hand legte er schwer auf H ansjö rgs Schulter, und sagte in dumpfem Tone zum Büttel: „Greifet den!" Annele preßte die Hände vor'S Gesicht, und rief in herzzerreißender Wehmulh aus: „O Hans jörg! Hansjörg! Was hast du gethan! Gott, Gott erbarme dich deiner! „Waö wollt ihr denn?" sagte Hansjörg im Traume; „ich hab'ö ja nicht gethan; der Commiffär!" „Freund, das träumt Euch," antwortete mit küh ler Gelassenheit der Commiffär; „ich hab' mich gar nicht in den Streit gemischt, wie die Frau Wirthin bezeugen kann! Auch ist'S Euer Messer, das dort blu tig liegt. Ich glaub'S wohl, daß Ihr selbst eS kaum mehr wisset, denn Ihr wäret nicht bei Besinnung!" Hansjörg starrte den Läugner an, wie ein Gespenst; er wußte nicht, wie ihm geschah! „Kätherle!" rief er endlich noch einmal auffahrend, bezeug' du mir's, du hast'S gesehen!" Aller Augen richteten sich nach dem Kätherle. Sie aber schlug die ihrigen nieder. Sie könne nichts bezeugen, sagte sie mit unsicherer Stimme, sie sei viel zu erschrocken gewesen, um etwas Genaues zu sehen. Da traf's Hansjörg wie ein Blitzschlag; das falsche Weib hatte den Hergang nur zu gut gesehen, denn ihre Blicke hatten ihn ja immer noch angefeuert; aber eS war klar, daß sie den Commiffär nicht verrathen wollte, wenn sie schon noch nicht so tief in Gewissen losigkeit verkallen war, um, wie der Commiffär sie aufforderte, geradezu Hansjörg fälschlich anzukla gen. Der Schlag von Vieser Seile war für den jun gen Mann so gänzlich überwältigend, daß er kein weiteres Wort mehr versuchte. Er ließ eS ohne Wie- derrede geschehen, daß der Schultheiß, da ein Land jäger sich zufällig im Dorfe eingefunden hatte, so gleich ihn sammt den Commiffär nach der Oberamts- stabt transportiren ließ. Er riß sich gleichgültig los, als Annele sich ihm um den Hals warf und dem Schultheiß zurief: „Er ist ja unschuldig, er sagl's ja, und wenn's kein Mensch glaubt, so will ich'S ihm glauben, gelt, Hanöjörg? Sag's noch einmal!" H a n s- jörg sprach kein Wort mehr; mit betäubten Sinnen ließ er sich durch die Gassen des Dorfes führen, wo er sonst als angesehener Bauer stolz durchgeschritten >var. Stumpf schritt er durch die Straßen der Stadt, wo die Kinder ihm nachliefen, und beim vorläufigen Verhöre vor dem Actuar, wo der Commiffär sich mit aller Suada vertheidigle, redete er kaum ein Wort. Erst als er in's Gefängniß geführt worden war; als der Schließer den Schlüssel umdrehte, und er sich al lein sah, zwischen den vier Wänden mit dem vergitter ten Feilster und dem Strohlager — da schauderte ihn. Er im Gefängniß, des Todschlagö angeklagt, vor sich jahrelange, entehrende Strafe! Dieß für einen Bauernsohn, bei dem bas Ehrgefühl noch stärker und ausgebildeter zu sein pflegt, als bei dem Pöbel der Stadt! ES wurde Nacht; er konnte nicht schlafen; als der Mond durch daS Gitter blickte, meinte er daö blasse Gesicht des erschlagenen Schulfreundes vor sich zu sehen. Es widerfuhr ihm nur Recht, wenn er um Ehre, Freiheit und Jugend kam; er hatte ja den Streit herbeigezogen, der diesem das Leben kostete. Er konnte auch deS Lebens und der Freiheit nimmer froh wer den; denn das Bild des Erschlagenen verließ ihn nicht mehr. „Oh!" dachte er, ich hab'S ja so gewollt; ich hätt' glücklicher zu HauS sein können, und in Freud' mit dem Annele leben; — aber das Kätherle — er lachte laut auf, daß es an den nackten Wänden hallte; dann schrak er plötzlich zusammen, hielt die Hände vor'S Gesicht und brach in Weinen aus. So ging ihm die Nacht hin. Mehr Schmerz, Grauen, und mehr Einkehr in daS eigene Herz, als ihm sonst Jahre gebracht hatten, drängte sich in ihre wenigen Stunden zusammen. Endlich tagte ein stürmischer, nasser Wintermor gen. So wie draußen, sah es in HanSjörgS Herz auS; als ob nimmermehr eine Sonne erscheinen, ein Frühling mit Blüthen und Vogelgesang herein kom men könnte. Matt und erschöpft nach schlafloser Nacht lag er Morgens auf dem Strohlager, als Tritte sich der Thüre nahten. Hanöjörg erwartete den Schließer, der daS Morgenbrod bringen würde; er kehrte das Gesicht nach der Wand, denn er schämte sich in eines Men schen Auge zu blicken, Der Schließer aber wandte sich zu ihm, und redete ihn an. Es wäre ein Weib draußen, sagte er, die Erlaubniß vom Herrn Ober amtmann hätte, ihn zu sprechen. Heftig klopfte das Herz des Gefangenen. Sollte Kätherle ihre Falsch heit bereut, und ein Zeugniß abgegeben haben? — Mit zitterndem Schritte trat eine leichte Gestalt ein; das war nicht Kät her les Tritt; sie erhob daS blasse Gesicht, worin Freude und Schmerz kämpften: ES war Annele. Augenscheinlich überwältigte sie eS, Hansjörg an diesem Orte und in diesem Zu stande zu sehen. „Annele!" rief er in schmerzlicher Bewegung; „daS ertrag' ich nicht! Laß mich meinem Elende. Ich hab' nicht deine Liebe verdient!" Da fiel sie ihm um den Hals, alle Scheu über windend. „Hansjörg," schluchzte sie; „du wirst frei! der Schulzensohn ist nicht todt; der Bader (Chirurg) meint, er würde gut davon kommen, und er selbst hat schon gesagt, daß du unschuldig seiest!" In HanöjörgS umnachteteö Gemüth fiel's wie ein Strahl himmlischen Lichtes. „Unschuldig er klärt, des Schulzen Sohn nicht tobt! Annele du kommst mir wie ein Engel vom Himmel!" jauchzte er. „Ja, das dacht' ich auch," fuhr sie fort, lächelnd und wei nend! „darum hat'S mich auch zu Hause nicht mehr gelitten, sobald ich'S wußte; und ich ging noch vor Tag weg, mit einem Schreiben vom Schultheißen an'S Ob'eramt!" Jetzt erst betrachtete sieHanöjörg aufmerksamer. Ihre Kleider waren durchnäßt! ihre Hände kalt, und draußen vor dem Fenstergitter sah und hörte er das Unwetter stürmen. „Und meinetwegen kommst du herein! O Annele, wie taget mir'S im Herzen!" rief er, überwältigt von innerer Bewegung, auS; „hast mich denn noch lieb? Kannst vergessen?" „Hanöjörg!" betheuene sie stockend und erröthend, und er, von Wonne und Wehmuth trunken, zog sie wieder an sich. Hier im Gefängniß erst ging dem treuen WeibeSherzen die Stunde der Liebe auf; sie fühlte, was in Han-jörgS Blicken lag, was in seinem Herzen vorging; nie im blühen den Felde, ober im warmen, heimlichen Etüblein war sie so glücklich gewesen, wie jetzt in dieser Stunde! Hanöjörg aber bliche immer fort und fort in