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Erscheint Dienstag« und Freitag«. Zu beziehen durch alle Postanstal- tru. Preis pro Quart lONgr Weißerih-Zeitrmg ' 9nser»t. ' Reichen mit 8, Pf. fSr die Zeile berechnet ln allen Er- peditlonen aNe genommen. Ein unterhaltendes Wochenblatt für den Bürger und Landmann. Berantwortlichrr Redactenr: Earl'Jehne iu Dippoldiswalde. > > . Die Mission des Fürsten Gortschakoff in Wien. Der Fürst Gortschakoff hat von seinem kaiserlichen Gebieter den Auftrag, am Wiener Hofe dahin zu wirken, daß Oesterreich von einem Bündnisse mit den Westmäch ten absteht und nicht feindlich gegen Rußland austritt. Nun läßt sich nicht läugnen, daß diese Mission einigen Schein des Gelingens für sich hat. Die russische Diplo matie hat nämlich zwei Höfe, an denen sie operiren kann; verliert sie auch an einem derselben ihr Spiel, so ist sie deshalb noch nicht geschlagen, sobald sie an dem andern Hofe siegt, da beide Höfe durch Vertrag und geographi sche Lage so verbunden sind, daß sie nur gemeinsam, aber nicht gegen einander handeln können. Aber bei alledem glauben wir doch, daß die gegen wärtige Mission des vielgewandten Fürsten Gortschakoff eine verfehlte sein werde; denn es ist seit der Enthüllung d«S englischen „BlaubüchS^ zu viel Tag Hinte? die Coulis- sen der russischen Politik gefallen. Das Licht der Oeffent- lichkeit ist bis in die geheimsten Krümmungen und Win dungen der russischen Schleichwege und Laufgräben gedrun gen, seitdem die Enthüllungen dieses Frühjahrs dem er staunten Europa ein ganz ausgebildete- Minensystem, das den 8ialu8 Pw der Weltordnung unterhöhlte, bloSgelegt haben; und doch giebt sich die russische Diplomatie im Vertrauen auf ihre früheren Erfolge der Hoffnung hin, sie könne, nach den Vorgängen der letzten IL Monate, eine Regierung, welche von Muth und dem Ernste der Situation durchdrungen ist, durch die sammetweichen Phra sen ihrer Hofleute von der Bahn ablenken, welche Ehre, Pflicht und Interesse mit gleichem Nachdrucke vvrzcichnen; die russische Diplomatie glaubt, feste und lange erwogene Entschließungen der österreichischen Regierung durch allge meine Versicherung friedfertiger Gesinnungen und unbe stimmte Vergleichsaussichten wankend zu machen. Der Erfolg muß jedes Werk krönen. Wir müssen erst abwar ten, ob und welchen Erfolg die Sendung des Fürste» Gortschakoff hat, ehe wir ein Urtheil darüber fällen kön nen. Siegt die russische Diplomatie diesmal, so zeigt sie eine Ueberlegenheit und Meisterschaft, wie sie die neuste Geschichte weiter nicht kennt; unterliegt sie, so beweist sie einen Mangel an Erkenntntß der tatsächlichen Verhält nisse und eine Verblendung über die» Lage der Dinge, daß sie ihre abergläubische Verehrung, die sie seither im Auslande genossen, in Gefahr ist, zu verlieren. Vor einem Jahre, vor 6 Monaten vielleicht noch, würden die Karten, welche man jetzt auSspielt, die Wir kung von Trümpfen gehabt haben; im gegenwärtigen Augenblicke dienen sie aber nur dazu, die Schwäche de- Spielers zu verrathen. Rußland scheint ganz vergessen zn haben, daß jetzt eine andere Farbe Trumpf ist, als zur Zeit seiner frührrn diplomatischen Erfolg«. Rußland übersieht nämlich den kleinen, aber bedeutung-vollen Um stand, daß alle Welt genau di» Absichten kennt, welche man in Petersburg Verfolgt, und daß alle Welt es für gebieterische Nothwendtgkeit hält, diese Absichten zu ver eiteln. Rußland bedenkt nicht, daß der Wiener Hof ge genwärtig nicht mehr von einem Anschlüsse an die West mächte abzuhalten ist, wie zur Zeit der Orloffsschen Sen dung, sondern daß man sich in Wien jetzt aiischickt, gegen Rußland aufzutreten, und daß nur die Haltung Preu- ßenS die Politik Oesterreichs unsicher macht. Ein Friedensschluß auf Grundlage der Zustände vor dem Kriege wäre nach dem, was vorgrfallcn ist,, für Oester- reich noch weit bedenklicher, als für die andern betheilig- ten Staaten, da Oesterreich an die Donauprovinzen grenzt und die Donau sein Hauptstrom ist. Die russischen Zu sagen sind sehr gering. Da- Höchste, was man al-mbg- ltche Concesflon durchblicken läßt, ist die Räumung der Wallachei; die Stromlinie, welch»-dir Moldau, Walla che! und die nordöstlichen Provinzen der Türkei beherrscht, soll nach wie vor von dem Invasion-Heere behaupktt, da- Donaugebiet nach wie vor in russische Fesseln geschlagen bleiben. Nach den neuesten Nachrichten räumt Rußland nicht einmal die Wallachei. Durch Vermittelung der deut schen Großmächte will Rußland nur kostbare Zeit ge winnen; e- will seine strategischen Stellungen verbessern und eine Di-Harmonie unter die vier Großmächte brin gen, die um so leichter wird je längre Zeit sich hinzirht. Das ist sehr wohl ersonnen. ,,Wär' der Gedanke nicht so gar gescheidt, man wär' versucht, ihn herzlich dumm zu nennen!" Aber Schlauheit ist dem natürlichen, geraden Ver stand gegenüber ohnmächtig. Und der gesunde Menschen verstand sagt uns, daß eine Macht wie Rußland, die solche Pläne seit einem Menschenalter gegen die Türkei hegt und mit unermüdlicher Consequenz verfolgt hat, nicht um ei ne- mißglückten FrühjahrSfeldzugS willen aufgiebt, nicht um einer verunglückten Belagerung willen ihren nationa len Ehrgeiz aufopfekt, sondern daß sie, wenn heute der Moment ungünstig sich erweist, nur den Augenblick ab warten wird, wo da- Werk der Erobening mit mehr Aus sicht auf Erfolg wieder ausgenommen werden kann. Was Europa mit dem jetzigen Kampfe bezweckt, das ist nicht eine augenblickliche Herstellung der Ruhe, wobei eS fortwährend die Sorge haben müßte, daß der Friede über Kurz oder Lang doch wieder von Rußland gestört werden könnte, sondern Europa verlangt solche Garantien, welche es Rußland unmöglich machen, morgen so gut wie heut» seine gemeinfährlichen Anschläge zur Ausführung zu bringen. Damit ist Nichts gewonnen, wen» auch der Czaar, wozu er eben noch nicht Lust hat, seine Truppen über den Pruth zurü^zög«, um ein andermal besser vor-