Volltext Seite (XML)
Der liebe Leser erflehet schon aus dieser Runo- schau verdächtiger Sprüchwörter, wie bedenklich ihre Anwendung ist, wie gefährlich sie ost irre leiten, wenn man sie als Wegweiser gebraucht. Jedoch nicht bloS im Allgemeinen, auch für besondere Fälle und einzelne Pflichten gibt eS dergleichen Jrreleiter nicht wenige. Wir wollen auch davon hier nur einige der gangbarsten anführen. Die thätige Liebe zum Nächsten, der gemeinnützige Brudersinn, den der Apostel meint, wenn er mahnt, ein Jeglicher soll nicht auf das Seine sehen, son dern auf das, das den Andern ist, (Philipp. 2, 4) — diese christliche Pflicht ist allerdings gar ost nicht weniger als leicht; sie hat an der natürlichen Selbst sucht bcS Meitschen ein mächtiges Hinderniß. Siehe, da sind eben ein Häuflein Wegweiser so Manchem gar willkommen, die ihn um diese Pflicht hinum wei sen. „Jeder für sich, heißt eS, Golt für uns Alle!" Kein Mensch kann für Alle sorgen, so viel ist wahr; das kann nur Gott, und billig überlassen wir daher auch die Sorge für'S Ganze nur ihm. Aber der Eigennutz, die Lieblosigkeit und Undienst fertigkeit versteckt sich nur gar zu gern hinter das Wort: „Jeder für sich!" auch wechselt man wohl zur Veränderung mit den Worten ab: „Jeder ist sich selbst der Nächste" und erstickt durch diesen Grund satz allen Gcmeingeist in sich und will nichts von der Forderung wissen: „Einer trage des Andern Last, so werdet Ihr das Gesetz Christi erfüllen." (Galat. 6, 2.) — Ja, die schnöde Selbstsucht wird selbst wi tzig und spricht: „Das Hemde ist mir näher, als der Rock," wenn es gilt, einen Beitrag zu geben, um einen Armen und Nothleidenden zu erquicken oder beß etwas. Wir haben schon, wollen solche Herzlose sagen, so viel für uns und unsere Familie zu sorgen, daß wir uns nicht auch noch um Andere kümmern und für diese sorgen können. Wie hart, wie lieblos! Ja, wenn sie für ihre Leistungen eine Vergeltung mit Zinsen in Aussicht hätten, da wären sie wohl eher zu gewinnen; aber: — „Umsonst ist der Tod! — Man hat wohl auch das Ungereimte in Verse ge bracht und spricht: „Wer dem Publicum dient, ist ein armes Thier; er quält sich ab, Nie mand bedankt sich dafür." Wahrlich, schwache Seelen sind das, die eS nur auf Lohn und Dank ab gesehen haben, und die keine Befriedigung, ja volle Gnüge finden an dem schönen Bewußtsein, für bas allgemeine Menschenwohl etwas gethan zu haben! Kehrten sich alle an diesen Wegweiser, wie übel müßte eS bann um's Gemeinwohl stehen! Darf man sich wundern, wenn solche kleinliche Seelen sich zum Maß stab ihrer Leistungen daS Wort nehmen: Klein Geld, kleine Arbeit!" — so daß sie das gewöhnliche Sprüchwort: „Wie die Arbeit, so der Lohn" umkehrcn und sagen: „Wie der Lohn so die Arbeit" — oder wenn sie in ihrer Gleichgiltigkeit und Engherzigkeit den Grundsatz befolgen: „Was mich nicht brennt, lösch' ich nicht!" und damit ihre Härte und Fühl losigkeit bei Andrer Unglück zu entschuldigen gedenken, — oder wenn sie dtk, wo ein edelmüthiges Wagniß, das Pflicht, Amt und Beruf gebieten, mit Gefahr bedroht ist, mit falscher Zunge zu unrechter Stunde daSWort herbeiführen: „Wer sich in Gefahr be. gibt, kommt darin um!" daher sie zu sich sagen: „Weit davon ist gut für den Schuß." —? Ihre Feigheit und Trägheit zu beschönigen, berufen sie sich wohl auch auf daS Wort: „Eine Schwalbe macht keinen Sommer," ich allein kann'- nicht zwingen , drum will ich - gar sein kaffen. Denn ihr Leibspruch ist: „Wer will haben gute Ruh, der höre, seh', und — schweig' dazu!" — O, über die Menge der falschen Wegweiser, denen «an sich nur gar zu gern überläßt, und die man, wenn sie zweideutig sind, geflissentlich zu falschen macht! i->- Wer aber nicht thut, was er thun soll der ist nicht weit davon, daß er das thut, was er nicht soll und nicht darf. Und auch hierzu fehlt eS nicht an dienstbaren Wegweisern. Man hat'S gesehen zu allen Zeiten, wie schlau unredliche Menschen Un ruhen stiften, um daraus Gewinn für sich ziehen zu können, auch wie sie bereits vorhandene Unordnungen in einem Hause, in einer Stadt, in einem Staate dazu benutzen, um unbemerkt Vorkheile dadurch zu er halten. Ihr Wegweiser lautet: „Im Trüben i.st gut fischen!" Ihr Grundsatz, den sie freilich in ver derbten Herzen wirken lassen, heißt: „Viel Fleiß und wenig Gewissen macht den Beutel voll!" Sie wissen sich auf allerlei Schleichwegen der gerech ten Ahndung zu entziehen und rechnen sich ihre schand bare List noch zur Ehre der Klugheit an, indem sie meinen: „Es ist ein armer Fuchs, der nicht mehr als ein Loch we.iß!" Auf ihr Wort ist nie zu bauen, denn sie leben ja des Glaubens: „Gelo ben ist ehrlich, halten beschwerlich!" — und wo ihre List nicht ausreicht, da winkt ihnen ein Weg- weisermit der Inschrift: „Gewalt geht vor Recht!" An ein ebelmüchigeS Verzeihen und großmüthigeS Ue- berwinden deö Bösen mit Gutem ist bei Solchen nicht zu denken; die Mahnung der heiligen Schrift: „Ver gelte nicht Böses mit Bösem, nicht Scheltwort mit Scheltwort" (1. Petr. 3, 9) übersetzen sie sich in ihre Sprache, und da lautet sie: „Wie Du mir, so ich Dir!" oder noch gemeiner: „Wurst wider Wurst!" Und werden sie über ihr unziemliches Gebühren zur Rede gestellt, so haben sie die Entschuldigung in Be reitschaft: „Wie es in den Wald schallt, schallt es wieder heraus!" oder: Auf ein grobes Klotz gehört sich ein grober Keil!" und machen sich selbst durch letzteren Ehrentitel wahrlich kein allzujeines Kompliment! Ja, sie sind stark genug, sich über das Urtheil der Well hinwegzusetzen, und, weil ihnen Ehre und Schande gleich gilt, so sagen sie: „Laß die Leute reden und die Hunde bellen!" An Folgerichtigkeit ist bei solchen Leuten freilich nicht zu denken; darum, wo es in ihren Kram paßt, rufen sie auch wieverfeierlich aus: „DeS Volkes Stimme ist Gottes Stimme!" Diese Gotteslästerung ist leider nur zu oft, auch in der neuesten Zeit, auS- gcstoßen worden. Ich sage Gotteslästerung; denn es kommt ja Alles darauf an, wie die Stimme des Volkes lautet. Als die Franzosen Anno 1792 den lieben Herrgott für abgeseyt erklärten und das Chri- stenthum in ihrem Lande abschafften, da tönte auch eine „Stimme des Volkes" durch das Land, die da rief: ES ist kein Gott!! — Wenn freilich aus allen Theilen des Landes laute Stimmen über Willkür, Rechtslosigkeit und Beamtendruck einhellig sich erhe ben, da wird ein wahrhaft edler Fürst in solcher Stimme den Ruf Gottes zur Untersuchung und zur Abhilfe nie verkennen. . Das Wort: „Kleider machen Leute" har schon Manchen zum Kleidernarren gemacht- Um nun „Leute" zu werden, leiden Manche lieber Hunger und Kummer, wenn sie nur äußerlich prangen können.