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mal sagen, sondern verließ eiligst den Palast. Zu gleicher Zeit machte sich der Großvezier auf, um seine Nachforschungen zu beginnen. Ein vertrauensvolles Lächeln schwebte auf seinem Angesichte, denn um einen glücklichen Menschen zu finden, dazu meinte er nicht ein Jahr, sondern höchstens einer Woche zu bedürfen. Und so war er der zugesagten Belohnung im Voraus gewiß. Unser Vezier begann seine Nachforschungen un. ter den reichen und mächtigen Leuten. Denn diese zählt daö Vorurtheil in der Regel unbedingt unter die Glücklichen der Erde. Damals lebte in Bagdad ein Herr von fabelhqftem Reichthum, dessen Paläste, Gastmähler und sonstigen Freudengenüsse die Bewun derung der ganzen Stadt erregten, so daß er von den Armen neidisch als der Glücklichste der Sterblichen ge priesen wurde. Dort klopfte der Vezier zuerst an. Von Skla ven durch reiche Gemächer bis in den entlegenen Saal geführt, wo ihr Herr ruhete, fand er diesen in tiefe Traurigkeit versunken. Was konnte die Ursache seiner Thränen sein? Hatte er irgend einen besonders lieben Sclaven verloren, das folgsame Werkzeug seiner Ver gnügungen, oder einen Sohn, der Gegenstand seiner Hoffnungen und seiner Zärtlichkeit? Vielleicht; denn Reichthum befreiet nicht von Schmerzen und mensch- lichen Leiden. Vielleicht weinte auch dieser Glückliche der Erde ohne Grund; denn ach! es sind die Thrä nen dem Menschen so natürlich; sobald er keinen wirk lichen Kummer hat, schafft er sich eingebildeten, bloß um weinen zu können! Unser reicher Herr weinte also. Doch abgesehen von diesem vorübergehenden Schmerze, fand der Vezier ihn abgestumpft, lebenSüberdrüffig, abgemattet, gleich dem Khalifen, fortwährend zit ternd vor Furcht, es möchte ein Befehl deS Herrschers ihm seine Güter und sein Leben rauben, und schwan kend zwischen dem Ueberdruß des Lebens und der Furcht vor dem Tode. Nach einigen Minuten der Unterhaltung über zeugte sich der Vezier, daß dies offenbar nicht der Mann sei, den er brauche, daß das Glück sicherlich in diesem Palaste nicht wohne, daß er es also anderwo zu suchen habe, als bei den Reichen, die man so sehr beneidet, ja haßt, und die doch oft noch weniger glück lich sind als ihre Neider und Hasser, zumal wenn sie sich zu dem Uebermaße von Genüssen und Freuden verführen lassen, die in der Ferne so süß und anzie hend, in der Nähe so bitter und schaal sind. Nicht weit von da wohnte ein General, der Ober befehlshaber aller Truppen deS Khalifen, berühmt durch zehn gewonnene Schlachten; sein Ruhm erfüllte das ganze Reich. „Ja dorthin," sagte der Vezier zu sich selbst, dorthin hätte ich zu allererst gehen sollen. Bei näherer Ueberlegung finde ich's ja begreiflich, daß Reichthum allein nicht glücklich macht. Denn er schützt ja nicht vor der Schwäche, die der menschlichen Natur anklebt, und vor Traurigkeit; die Freuden aber, die er ver schafft, führen sehr schnell die Erschöpfung deS Leibes und der Seele herbei, so daß es unmöglich wird, sich des Lebens wahrhaft zu freuen. Aber der Ruhm, der schmeichelnde Beifall des Volkes, die Macht, durch ein Zeichen Tausende von Menschen in Bewegung zu setzen, diese ruhmvolle Thätigkeit eines Generals — ist das nicht Alles das wahre Glück des Lebens: Wo wäre eS zu finden, wenn nicht dort? Der Vezier fand den General finster, mürrisch, beschäftigt mit dem Plan eines beabsichtigten Ffldzu- geS, alle Augenblicke durch Courkere gestört, welche Nachrichten brachten und Befehle einholten. Dazu kam, daß er sehr leiv'esid war an den Folgen der zahl reichen im Krieg« erhaltenen Verwundungen. Nachdem einige' Worte gewechselt wckren, sagte der Vezier, der sich dessenungeachtet noch nicht für geschlagen hielt, zum General: „Wer sollte Euer LooS nicht beneiden? Von Allen als Vertheidiger deS Va terlandes bewundert und gepriesen, siegreich in zehn Schlachten, aller . Orten und jederzeit triumphirend, was fehlt Eurem Glück? „Ihr redet von meinem. Glücke!" antwortete der 'General mit einem bittern Lächeln. DaS ist eine Sprache, die ich nicht verstehe. Ich glaube nicht, daß ich einen einzigen Tag glücklich gewesen bin, seit ich diese Stelle bekleide, um die man mich gleichwohl so sehr beneidet. Ich gehöre mir selbst nicht mehr an, ich habe keinen freien Augenblick! Die Sorge deS Commando'S, die Unterhaltung, die Verpflegung, die Bewegung der Truppen, die Vorbereitung zUM Kriege, Beschwerlichkeiten aller Art, Wunden und Gicht: Al les dies quäkt und verfolgt mich Tag und Nacht, raubt mir den Schlaf und zerstört mir mein Leben! Wenn Ihr das Gluck suchen wollt, so sucht eS lieber bei dem letzten meiner Soldaten! Wenigstens haben diese keine Verantwortlichkeit, keine Sorgen für den kommenden Tag; sie schlafen ruhig, während ich für sie wache. Wenn sie meine Stellung beneiden, so geschieht cs, weil sie dieselbe nicht kennen. Gewiß nicht Einer würde mit mir tauschen wollen, wenn er meine Stellung völlig durchschauete! „Aber — fiel ihm der Vezier in'S Wort — be lohnt denn der Ruhm nicht reichlich alle diese Mühen ?" „Der Ruhm?! — entgegnete°der Generäl Befreit denn der von der Gicht? giebt er Schlaf und Appetit? Der Ruhm macht Feinde und Neider, das ist Alles! Man nennt mich eitlen großen Mann, weil ich zehn Schlachten gewonnen habe; wie Ihr saget. Laßt mich morgen eine verlieren, und nicht genug Beschimpfung und Verachtung wird man für mich finden. Nein, nein, weder in dem Ruhm, noch in der Macht besteht das Glück. Will man'S richtig be zeichnen, so muß man sagen: man kauft beide nur um den Preis deS Glückes selbst!" Der arme Vezier zog sich mit gesenktem Haupte zurück, ganz betroffen darüber, daß er sich abermals an eine unrechte Person gewendet hatte. Beim Hi- nauögehen begegnete er einem der gemeinen Soldaten, die ihm der General als so glücklich geschildert hatte. Er befragte ihn über diesen Punkt. Indessen seine Antwort war nicht ganz übereinstimmend mit der sei nes Befehlshabers. Ohne Zweifel hatte er wohl we- Niger Beschwerden und Verdruß, mehr Gesundheit, vielleicht sogar mehr Freiheit: aber der Dienst war müh sam, das Waffenhandwerk sehr beschwerlich, die Offi ziere bisweilen sehr herrisch! Und bann war eS ja traurig, immer zu gehorchen, und doch müßte eS so angenehm sein, zu befehlen! Bei diesen Worten entfernte sich der Vezier mit unwilligem Achselzucken. Soeben hatte er gehört, wie eS sich mit der Süßigkeit des Befehlens verhielt! „Sie sind alle Narren (sagte er verdrießlich bei sich) — wer gehorcht, will befehlen, und wer befiehlt, möchte lieber gehorchen! Wem soll man glauben, und wird unter diesen widerstrebenden Wünschen daö Glück ver borgen liegen? Ich komme nun zu der Ansicht, daß