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;2L8 Große Walachei von Seiten der Russen nicht geräumt wird; ferner eine Proclomation beS Generals Lip- randi, verkündend, daß die Russen, wenn sie nach der Kleinen Walachei zurückkehren, alle Diejenigen kriegs rechtlich verfolgen würden, welche den Türken jetzt bei der Besetzung der Kleinen Walachei Vorschub leisten. Der Khalif nn- der Derwisch. Einer morgenländischcn Sage nacherzählt von Reinhard Grimmer. Die berühmte astatische Stadt Bagdad, erbaut im Jahre 765 von dem Khalifen Mansur, ward von dessen Enkel Hadi zur Residenz der Khalifen (muha- medanischer Herrscher) erhoben und blieb eS bis in'ö 13. Jahrhundert unter, wechselnden Schicksalen. Dort herrschte denn einst auch der Khalif Ali (vom Jahre 903 bis 908). / Alt-nun, so glücklich er nach seiner äußerlichen Stellung hätte sein können, war dennoch nichts we niger als dies. Er litt an einer Krankheit, welche in die Hütten keinen Eingang findet, aber in den Palästen oft wohl bekannt ist, nämlich an der — Langweile. Von Kindheit an mit allen Erdenfreu den umgeben und dann unumschränkter Herr über alle seine Umgebungen, die sich auch den geringsten seiner Launen fügen mußten, suchte er ohne Rast neue Ge nüsse, ohne sie zu finden. Das konnte aber nicht anders kommen, da er Seele und Leib in den schmachvollen Lüsten des-Serails (HaremS) abgenutzt hatte. Trotz seiner Macht und Neichthümer und Genuss- langweilte er sich daher in tiefster Seele, Appetit und Schlaf flohen ihn fast regelmäßig. Die Tage und die Nächte brachte er im Innern seines Palastes auf einem reich gestickten Sopha zu, von Frauen umgeben, die ihm mit großen Fächern frische Luft zu wehrten, während er Tabak oder Opium rauchte und am Morgen nur daran dachte, wie er den Abend, und am Abend, wie er wieder den Morgen erreichen könnte. Große Verbrecher haben gewöhnlich mit wollüsti gen Ausschweifungen begonnen. So auch unser trau riger Khalif. Um sich zu zerstreuen und die Lang weile zu vertreiben, hatte er's mit der Grausamkeit versucht. Von Zeit zu Zeit ließ er, als unumschränk ter Gewaltherrscher, einzelne seiner verthierten Unter khanen hinrichten, aus bloßer Lust, ihr Blut fließen zu sehen. Allein auch hierin fand er wenig Unter haltung; seine Langweile blieb immer dieselbe, nur vaß noch Gewissensbisse hinzukamen. Damals lebte in einer Einöde bei Bagdad ein alter, wegen seiner Weisheit und Heiligkeit berühmter Derwisch (Mönch), dessen Ruf bis zu den Ohren des Khalifen drang. A l i kam daher eines Morgens, als ihn Vie Langweile mehr als gewöhnlich peinigte, auf den Einfall, den Derwisch zu Rathe zu ziehen. Ein Dutzend Soldaten von der Leibwache mußten sofort den überraschten Greis in den Palast bringen. Zit ternd stanv der Derwisch vor dem Khalifen, der ihn, auf einen Divan auSgestreckt, gähnend betrachtete. „Alter — redete ihn Ali an — du giltst für einen Gelehrten; d'rum hab' ich dich kommen lassen, um zu sehen, wie weit deine Wissenschaft reicht. Ich bin krank. Meine unwissenden Aerzte, die mich nicht zu-heilen vermochten, mußte ich zur Strafe für ihre Unwissenheit erdrosseln oder in den Tigris (Strom bei Bagdad) werfen lassen. Laß sehen, ob du geschick ter bist, als jene. Ein Mann von solchem Rufe, wie du, muß Mittel gegen, alle Krankheiten haben.", „Hoheit — antworte» der Derwisch mit wan kender Stimme — ich-werde mein Möglichstes thun. Doch zuvor muß ich wissen, an welchem Uebel Ihr leidet." „ -- Je nun, ich langweile mich I" Der Greis schüttelte den Kopf. „Ein schreckliches Uebel," sagte er mit gedämpfter Stimme, gegen wel ches dje Wissenschaft beinahe kein Mittel kennt!" „Mach's wie du willst!" rief der Khalif, „nur das wisse, daß du mich heilen mußt; wo nicht, so lasse ich dir augenblicks den Kopf abschneiden, trotz dem, daß du ein Derwisch bist!" Der verlegene Greis bat um Zeit. „Ich gebe dir eine Stunde," herrschte ihm der Khalif zu. „Man wird dich hier in ein Nebenzimmer einschließen. Forsche, denk^nach, erfinde! In einer Stunde erhalte ich von dir das Mittel oder den Kopf!" Als der Derwisch nach einer Stunde wieder vor den Khalifen geführt ward, zeigte sich auf seinem An tlitze eine große Ruhe und in seinem Benehmen eine würdevolle Festigkeit. „Hoheit," sagte er, „eS giebt nur ein Mittel gegen Euer Uebel, ein Mittel, das Euch vielleicht sonderbar erscheinen wird, aber für dessen Erfolg ich einstehe. Dieses ist: das Hemde eines glücklichen Menschen anzuziehen. Lasser in Eurem Reiche oder sonst wo suchen nach einem Menschen, der mit seinem Schicksale vollkommen zufrieden ist, der nichts an sei ner Lage zu ändern wünscht, nach einem Menschen, der sich für wahrhaft glücklich auSgiebl und es auch ist. Bon diesem Menschen lasser das Hemde nehmen und ziehet es an. Nach Verlauf von 24 Stunden werdet Ihr auf immer von Eurer Langweil geheilt sein. Ihr sehet, Hoheit, das Mittel ist sehr einfach, und nichts ist leichter zu finden." Der Khalif richtete sich empor, blickte den Der. wisch scharf an, um zu sehen, ob er sich etwa gar über ihn lustig mache. Doch der Greis schien eben nicht zum Lachen aufgelegt zu sein, sondern beobachtete den Ernst eines Mannes, dem vielleicht in wenigen Au genblicken der Kopf abgeschnitten werden soll. Nach einem Augenblicke des StillweigenS lächelte Ali; es war daö erste Mal seit langer Zeit. „In der That" Hub er an, „das Mittel ist ein. zig in seiner Art, und ich kann eS immerhin versu- chcn. Man lasse mir meinen Großvezier kommen; ihn selbst will ich beauftragen, den Menschen und das Hemd, das ich brauche, aufzusuchen. Der Großvezir erschien, und der Khalif erklärte ihm seinen Willen. „Ich gebe dir," fügte er hinzu, „ein volles Jahr, um daö, was ich wünsche, zu finden. Gelingt eS dir, so werde ich dich außerordentlich belohnen; schlägt es fehl, so werde ich wissen, was ich zu thun habe. Aber, mag dir's nun gelingen oder nicht, du kehrst nach Verlauf des Jahres zurück, sei es mit oder ohne Hemde; wo nicht, so werden deine Schätze und deine Kinder, die ich als Geißeln behalte, für dich haften!" — Hierauf wandte er sich gegen den Derwisch und sprach: „WaS dich betrifft, Alter, so magst du in deine Einöde für jetzt zurückkehren; hast du mich ge täuscht, dann wirst du in einem Jahre von mir reden hören!" Der Derwisch ließ sich natürlich daö nicht zwei-