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1»0 Paris. Die neuesten Nachrichten vom orientali schen Kriegsschauplätze, namentlich auch die Schilde rungen Sachverständiger von dem Zustande der Trup pen Omer Paschas, die zwar tapfer, aber sehr undiö- ciplinirt seien, haben hier neben dem peinlichen Ein drücke noch die andere unvermeidliche Wirkung gehabt, daß man anfängt zu begreifen, eS würden auch 100,000 Mann zü einer erfolgreichen Kriegführung nicht Hin teichen, und daß bereits 150,000 Mann von franzö sischer Seite als erforderlich angesehen werden. Und ob nun auch diese Anzahl ausreichend sein werde, wer vermag eS zu sagen? Den getroffenen Anord nungen sollte Marschall St. Arnaud, welchem General Jussuf zugetheilt wird, nicht direct nach Gallipoli ge hen, sondern zuvor in Athen gewisser Aufträge an König Otto sich entledigen und dann erst den 10. Mai in der Türkei landen. Der Hülferuf Omer Pa schas nach Truppen und die neuen Vortheile der Rus sen dürften jedoch möglicherweise einer direkten Reise daö Wort reden. Paris, 20. April. Man erwartet mit Ungeduld in politischen Kreisen entscheidende Nachrichten vom Baltischen und Schwarzen Meere. Dieser Wunsch dürfte indessen für einige Wochen noch ver tagt werden. Der Admiral Sir Charles Napier schrieb an die Admiralität einen Brief, in welchem er An zeige von dem guten Pertheidigungszustande der rus sischen Häfen macht und einen siegreichen Erfolg mit großen Opfern verbunden erklärt. Eben deshalb und um diesen Erfolg sicher zu stellen, wünscht er einen ernsten Angriff erst dann zu machen, wenn sich die französisch-baltische Flotte mit ihm vereinigt haben würde. Dies sei um so mehr geboten, als die rus sischen Häfen noch nicht eisfrei seien und somit dem Admiral Zeit gegönnt bleibe, die vollständige Ausrü stung der französischen Flotte abzuwarten. Der Brief ist von Lord Cowley dem Marineminister Ducos mit- getheilt worden und dikser gab die Versicherung ab, daß die Flotte bis Ende "dieses Monats auslaufen werde. ' . Türkei. Aus Bukarest vom II. April wird berichtet: „ES ist hier sehr stark das Gerücht verbreitet, baß die Russen jenseit der Donau starke Verluste an Tobten und Verwundenen gehabt und eine bedeutende Berlin. Hiesige bedeutende Bankierhäuser sollen die Nachricht von bedeutenden in Petersburg und Moskau eingctretenen Zahlungseinstellungen dortiger namhafter Häuser erhalten haben. Die Stock ung, welche der russische Handel jetzt schon erlitten hat, soll diese Zahlungseinstellungen herbeigeführt ha ben«. AuS Odessa sollen Nachrichten hier eingegan- gsn sein, welche die Verwirrung und Störung im dasigen Handel als eine unermeßliche schildern, so daß die Verluste dieser Stadt unübersehbar seien. — Die von der diesseitigen Regierung beabsichtigte Eisenbahn in der . Provinz Preußen, welche die Verbindung in der Richtung nach Petersburg und andern Hauptorten Rußlands fördern soll, wird in Folge der gegenwärtigen Lage der politischen Ver hältnisse einstweilen nicht in Angriff genommen werden. Prag, 21. April. Der Kaiser hat seinen Ver- mählungötag durch einen Act der Gnade bezeich net. ES ist vorgestern die Weisung hier eingetroffen, alle wegen MarestätSbeleidigung oder Störung der Mellen aesunlwn' innern Ruhe des Staats anhängigen Processe nieder zuschlagen und Allen, welche wegen der genannten Vergehen bereits verurtheilt sind, am 24. April ihre Begnadigung anzuzeigcn. Hiese Amnestie trifft jedoch nur Jene, welche nicht gleichzeitig noch um eines an dern Vergehens willen in Untersuchung oder Strafe sind. Im Uebrigen wird noch ein weiterer, umfas senderer Act der kaiserlichen Gnade erwartet, wenn der Monarch zu Ende des nächsten Monats nach Prag kommt. Infolge des 1849er MaicomplotS und des darauf verhängten vierjährigen Belagerungszustandes schmachtet eine große Zahl von Böhmen in den ver schiedenen Festungen der Monarchie. Auch auf diese, heißt eS nun, soll ein Strahl der Milde fallen; je doch hat man nicht die Absicht, eine allgemeine un beschränkte Amnestie zu erlassen, sondern Fall für Fall und nur auf Grund specieller Gesuche sollen Straf erlasse erfolgen. Um der vielen unglücklichen Fami lien willen, deren Väter oder Söhne seit Jahren ihre Unvorsichtigkeit mit dem Verluste ihrer Freiheit büßen, wäre zu wünschen, daß jene Hoffnungen nicht getäuscht werden. Memel, 18. April. Außer dem Schiffe „Judu- strie" siud gestern noch die russischen Schiffe „John/' „Katharina Charlotte" und Karl Magnus", welche sämimlich vorgestern unfern Hafen verließen, um nach Riga zu gehen, durch englische Mannschaft und unter englische Flagge hier eingebracht. Sämmtliche Leute, die sich auf diesen Schiffen befanden, haben sich an Bord der Corvetle „Conflict" begeben müssen, woselbst man noch gestern die Frauen zweier Kapitäne, einen Knaben und einen preußischen Seefahrer, der sich hier als Steuermann bei einem dieser Schiffe verheuert, wieder frei gelassen hat. Die Korvette „Conflict" (deren Besatzung 175 Mann stark ist, und welche bei 450 Pferdekraft 6 Kanonen und 2 Pairhans an Bord hat), liegt seit gestern Nachmittag auf hiesiger Rhede vor Anker, und hat heute früh durch 21 Kanonen schüsse salutirt, die durch eine gleiche Anzahl Schüsse von der hiesigen Festung auS erwiedert wurden. Com- mandeur Foot, der heute Vormittag hier landete, hat erklärt, die aufgebrachten Schiffe nach englischen Hä fen gehen zu lassen. - — 19. April. Der Commandeur der englischen Corvette„Conflict" war heute Vormittag in Begleitung eines Offiziers anö Land gekommen. Nachmittags, etwa um 5 Uhr, wollte er an Bord zurückkehren. Da wir lange Zeit nordwestlichen ziemlich starken Wind haben, der gerade gegen den stark ausgehenden Haff strom weht, ist die Brandung, namentlich' zwischen den Molen, sehr stark. Der hiesige Lootsen-Comman- deur rieth dem Befehlshaber der Corvette, ein größeres Boot zur Rückfahrt zu benutzen, aber vergeblich; der Capitän bestieg mit dem Leutnant sein sehr langes, aber schmales Gig, welches mit fünfMatrosen bemannt war. Kaum zehn Minuten darauf verschwand das Boot plötzlich vor den Augen der nachblickenden Zu schauer. Mit unglaublicher Schnelligkeit war das Rettungsboot in das Wasser gebracht, mit Lootsen be- mannt upd in See gegangen, aber es kam zu spät, nur noch zwei Personen, der Leutnant und ein Ma trose, wurden lebend, aber fast erstarrt angetroffen, sie hatten sich an Boot und Riemen gehalten, der Com mandeur, ein kräftiger Mann von einigen dreißig Jahren, und vier Matrosen hatten ihr Grab in den