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Ben den schlechten Wegweisern. Ein wohlgemeintes Wort von Skrtnhard Grimmer. (Schluß.) ES ist Sonntag. Die Glocken senden ihren har» monischen Ruf feierlich und einladend von der Zinne deS Gotteshauses herab. Eine Miethsbewohnerin geht, das Geianghuch in der Hand, durch die Hausflur. Daö Dienstmädche» des Hausbesitzers spricht zu ihr: „Ach, wenn ich doch nur auch einmal zur lieben Kirche gehen könnte!"— „Nun warum nicht?" — „Meine Herrschaft erlaubt es mir nicht. Sie geht selbst nicht, da soll ich'S auch nicht besser haben!" — Lauter Weg weiser! Velten ist von Kilian in gereizter Stimmung be leidigt worden. Velten crzählt'S dem Meister Feuer schürer. „Wirst'S doch nicht etwa leiden?" spricht die ser. Das wär' der Bursch' darnach! Geh, verklag' ihn, Du hast Deine Zeugen. Der Advocar Wüthrich ist ein MordSadvocal; er wird'S dem Kilian schon einstreichen lassen, daß Du auf lange Zeit Ruhe vor ihm kriegst!" — Velten geht, der Proceß wirb ein geleitet. Mancher Gang in'ö Amt, mancher Aerger, manche schlaflose Nach: — endlich des Urtel! Und das lautet? Velten und Kilian sind in gleicher Schuld, sintemal der Erste gereizt und der Zweite sich verges sen hat. Sie werden gestaltermaßen Beide in die Gerichtskosten und Zeugegebühren verurtheilt, Velten also mit eingeschlossen, bei dem Herr Wüthrich auch noch ein Liquitatiönchen von IL Thlr. 29 Ngr. 9 Pf. mit einreicht — O ja, die Feuerschürer sind wohl auch — Wegweiser! „Deine Herrschaft hat Alles in Ueberfluß" — spricht Hehlenburg zur Dienstmagd deS Nachbars. Du bist ein armes Dienstmädchen. Sie fühlt'S nicht, wenn sie etwas weniger hat; Dir aber kann'S nützen. Man muß es nehmen, wo'S ist. und Hinthun, wo'S fehlt. Wenn Dir einmal etwas in die Hände fällt, bring mir's nur.; ich habe mit Diesem und Jenem Verbindung, ich will'S schon an den Mann bringen!" DaS Mädchen ward zur Diebin und ihr Weg weiser. der Nachbar Hehlenburg, wies ihr den Weg in'S - Zuchthaus! Solcher Wegweiser in'S Zuchthaus, die je doch an beiden Armen mit großen Buchstaben die In schrift trugen: „Weg zur Freiheit!" sand man auf dem politischen Gebiete in den jüngst vergangenen Jahren aller drei Schritte weit in aller Herren Län dern. So weit sie sich aber nicht durch freche Lüge und gotteslästerlichen Meineid oder durch feige Flucht dem Arme der Gerechtigkeit entzogen, machten diese Wegweiser eine Ausnahme von ihren hölzernen und steinernen Namensvettern, sie gingen nämlich — ob schon nur auf Kommando, selber mit dahin, wohin sie führten. Der junge Wenzel war sonst einer der ordent lichsten und glücklichsten Bürger und Hausväter sei nes OrtS. Seit aber sein Handwerkögenosse Flatter mann genauere Freundschaft mit ihm angeknüpft und ihn erst alle Sonntage, später auch an verschiedenen Wochentagen in'S Wirthshaus verlockt und ihm ein dringlich vorgestellt, er sei ein Narr, wenn er wie' ein Gefangener das Haus hüten und sich nur für Frau und Kind abplagen wolle, er müsse das Leben genießen, fand er je mehr und mehr Geschmack am WirthShauSleben mit seinen Genüssen an Speis und 164 Trank, und Spiel und Tanz, dagegen immer weni ger Geschmack und Sinn für regelmäßige Thätigkeit und häusliches Leben. Kurz, e- ging mit ihm rück wärts, und um den Frieden des Hauses und des Her zens war'S geschehen! Wer kein Kreuz hat, muß sich eins schnitzeln oder schnitzeln lassen und wär's von einem —Wegweiser! Zärtlich besorgte Aeltern senden unter ernsten Mahnungen ihre hoffnungsvollen Söhne zur Orts schule oder auf ein entferntes Gymnasium oder Schul lehrerseminar. Mit entnervtem Körper, mit leichen- haft bleichen, aufgedunsenen Angesichtern und mit dem verdammenden Bewußtsein der Selbstschänbung im Herzen kehren sie zurück. Sie hatten an irgend einem verdorbenen Mitschüler einen Wegweiser gefunden. Wehe, wehe! Warum wohnt jetzt der w'ackere Fliedner zurMiethe, im ärmlichen Hintcrstübchen? Warum hat er sein schönes Haus mit dem reizenden Gärtchen verlassen? Er hat'S verkauft! Und warum daö? Er hatte zu viel EingangSzettel in'S Armenhaus — ich wollte sagen: zu viel Lotterieloose gekauft und war durch diesen theuren Papierkauf ganz darnieder gekommen. Er flucht noch jetzt dem Collecteur, der ihm die ersten und die folgenden Loose aufgeschwatzt und seinen Muth immer wieder mit glänzenden Aussichten aufgestachelt hatte. — meinem Vetter Weinling hatte es freilich anders geglückt. Der hatte vor zwei Jähren ein Sechs- zehntheil des großen LooseS gewonnen! — Weinling? — Weinling? — wo ist Venn der? — Ei nun, drau ßen rastet er in der letzten Herberge, drei Ellen unter der Erde! Der große Gewinnst macht den armen Teu fel toll und lhöricht. Er kam aus dem Rausch nicht heraus und soff sich zu Tove. Auch er hatte densel ben Wegweiser gehabt wie sein Vetter Fliedner! — „Weißt Du denn, was ich zum heiligest Christ von meiner Herrschaft bekommen habe?" —rief Jo hanne ihrer Freundin Rosamunde freudig zu, mit welcher sie am heiligen Abend deS WeihnachtöfesteS auf der Straße zusammentraf. Denk Dir's nur! Das — und das — und das — und das!" (hier nannte sie die erhaltenen, wirklich recht werthvollen Geschenke.) „Weiter nichts? erwiederte diese mit spöt tischer Miene. Ei, das verlohnt sich auch der Mühe!" Sie trägt nun das lange und breite Register ihrer Geschenke vor, und ruht nicht eher, als bis sie ihrer Freundin die Zufriedenheit aus dem Herzen gerissen und dafür Undank gegen die Herrschaft hineingepflanzt hat — kurz, sie beredet sie, der Herrschaft den Dienst zu kündigen, und Johanne folgt dem Wegweiser! — Welch ein holdes Mädchen! Die blühenden Wan gen, Vie schönen Formen, die edle Haltung und die achtbare Sittsamkeit! Unschuld, Heiterkeit und Hoff nung strahlen aus ihrem rosigen Antlitze hervor. — Wir sehen dieselbe nach drei Jahren wieder. Ach, wie bleich und verfallen sitzt sie in dem einsamen Stübchen, dessen Stille nur durch ihr Schluchzen und durch das Lallen eines Kinbleins unterbrochen wird. Nur noch daS Schattenbild der vorigen Ju- gendfrische bietet sich uns in der Gefallenen dar. Ein elender Wüstling, von ihrer im Reize der Unschuld strahlenden Schönheit angelockt, hatte sich in ihr Ver trauen zu schleichen gewußt, hatte als täuschender Wegweiser an seinen Armen die goldene Inschrift angebracht: „Weg zur Ehe!" aber, nachdem sie, schwach genug, seinen sünblichen Gelüsten nachgegeben,