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ft ein mit seinem Fritz eine Junggesellenwiethschast führte. Nicht, als ob er keine Sympathie für die zweite, schönere Hälfte des Menschengeschlechts empfun den, nein, unser Thürmer war zu arm und zu ehrlich, um ein weibliches Wesen zu veranlassen, mit ihm täg lich um 125 Stufen den Himmel näher, als andere Menschen, abwechselnd am- Glockenstrauge zu ziehen und am Hunaertuche zu nagen. Ob er je im Stande gewesen, auf em weibliches Her; einen bleibenden Ein druck zu machen, das ist um deswillen zweifelhaft, weil seine Figur bedeutende Ähnlichkeit mit einer Arabischen 8 hatte: etwas krumme Beine, vorn und hinten einige Erhöhungen, wo man sie bei andern Menschen gewöhn lich nicht findet. Dabei war er aber ein lustiger Patron, und führte ans seinem Thurme ein wahrhaft Phiko, sophenleben. Bei Tage blickte er trotz seiner kleinen, gedrückten Figur mit dem Stolze eines Herrschers von seiner Höhe herab, und lachte heimlich, wenn er die Stunden des TagcS mit der Glocke bezeichnete, weil er sich schmeichelte, er commandire mit ihren Schlägen die ganze Stadt, jetzt zum Aufstehen, jetzt zur Arbeit, jetzt zum Frühstück, zum Mittagsbrod, zum Bierkrug und zum Schlafengehen. In diesen Ideen vergaß er, die Gebrechlichkeit seines Körpers, sowie die Dürftig, keil seiner Stellung, denn er fand in ihnen eine Art Genugthuung für das, was Erstere ihm entbehren lie- ßen. Aber des Nachts erst fühlte er sich glücklich, groß und erhaben, denn der Grundzug seine Herzens war gut, und er wachte ja dann für die Sicherheit der schlummernden Stabt. Da, wenn Alles um ihn und unter ihn schwieg, schweiften seine Gedanken weit in der Welt der Ding« und der Jdern herum, und er baute sich wohl auch manchmal Luftschlösser. Na mentlich war, wenn ihn über Tag der oder jener junge vornehme Hasenfuß bewitzelt halte, seine LieblingSidee, was er wohl anfangen würde, wenn er plötzlich so recht unverschämt reich würbe. Deshalb hatte er denn auch, um diesen Zweck zu erreichen, stets sich einige Thaler am Munde abgespart, um immer ein Viertel, loos in der Lotterie zu spielen oder, wie er sagte, dem Glücke die Thür zu öffnen; aber leider, eS hatte im mer nur Nieten gesetzt. Fritz hatte der Aufforderung seines Meisters Folge geleistet und sich niedergelegt. Er entschlief in seligen Träumen, denn vorher hatte er ja rin Stündchen unten an der Thurmecke mit Cantors Röschen geplaudert. Der treuen Seele war ihr Schlaf zu gönnen, denn nach wenig Stunden sollte sie ja wieder wachen für das Wohl der Stabt. Meister Tropfstein ließ jetzt eben mit langen, tönenden Schlägen die Geisterstunde anbrechen, als vor dem Thore der Stadt ein lauteS, lustiges Post horn ertönte, uud hierauf sich beide Flügel desselben öff neten. Aber sowohl der Pförtner, als der Thürmer verwunderten sich, als statt einer über daS Pflaster donnernden Carrosse bloS leichtes Pferdegetrapp er- tönte, und eine Staffelte munter hereinflog, immer noch lustig in'S Horn stoßend. „Mein Seel', der bringt das große LooSl" — dachte der Pförtner und der Thürmer, obwohl Beide weit von einander entfern», doch zu gleicher Zeil: aber Beide mit himmelweit ver schiedenen Gefühlen, denn der Thümer hatte ein LooS, der Pförtner nicht; am Pförtner ritt die Staffelte vor über, auf den Thurm kam sie gerade zu. Aber sie ritt auch am Thurme vorüber und lenkte nach dem Markte. DaS klopfende Hetz beruhigte sich. „Einem reichen Kaufmann wahrscheinlich bringt er daö große LooS, direine Niete," — so dachte EkiaS, und zog sich in sein Stübchen zurück. Aber stehe, nach eilhrm halben Stündchen ward an der Thnrmftingek gezoM, als wollte man sie zekreißrn, uud auf fein« Krage, »»aS eS gebe, wurde dem Thürmer die frohe Kunde d«S läutenden Collecteurs, daß in sein Loos der größte Gewinn gefallen sei. Wer beschreib« di« Freud« un sres Thürmers! Mit schnellen Schritten war er tte 125 Stufen herab und öffnete die Thüre: aber der Collecteur schien doch keine Lust zu haben, jene Stuf« mit ihm hinan zu steigen, sondern er lud unfern Kreuiü» ein, ihn lieber in seine Wohnung zu begleiten, und da auj'S Wohl der Fortuna mit ihm eui Fläschchen zu leeren. Der Bursche schlief noch oben, und träumt« von seiner Rose, und Niemand wird ihm verdenken, daß er nicht von selbst aufwachte, da ihn fein Herr zu wecken vergaß. Beide schwelgten ja in seliger» Träumen. Die Geisterstunde hätte daher in dieser Nacht kein Ende genommen, wenn nicht der Nacht wächter seine Runde sorgfältiger gemacht, und Va§ Horn desselben die Glocke ersetzt hätte. Glücklich, wie ein Millionär, faß Herr EkiaS Tropfstein beim Collecteur, jubelte wie rin Kiud am Christabende und begab sich erst am Hellen Tage, das Certificat seines Glückes in der Tasche, einen tüchtigen Rausch im Kopfe, nach Hause, oder vielmehr nach dem Thurme zurück. Dort fand er seinen Burschen, der indessen erwacht war, in Verzweiflung über den Verlust seines Herrn, von dem er nicht andrrS denken konnte, als der Satan müsse ihm geholt haben, weil sonst im Bereiche deS ThurmeS nirgends eine Spur von ihm zu finden war. Aber nun kam dieser, singend und springend, und mit einem einzigen Zauberworte hatte er eS daUn, daß^auch Fritz mit sang und jubelte. Mitten in diesem Freudentaumel kam der Ge- richlSdiener und forderte den Meister Thürmer zum Herrn Bürgermeister. Hoch geehrt von dieser Ein- ladung, die er auf Rechnung seines neuen, unverhoff ten GlückeS setzte, begab er sich hin, verwunderte sich aber gar sehr, als der Herr Bürgermeister davon noch keine Notiz genommen hatte, sondern ihn wegen d«, Pflichtvergessenheit von voriger Nacht zu Rede setzte, welche ihm schon bei frühestem Morgen der Nachtwäch ter rapportirt hatte. Anfangs hatte ihn der Respecl vor dem gnädigen Herrn Bürgermeister fast die Sprache beraubt, plötzlich aber erwachre bei ihm daS Gefühl seiner neuen Stellung, und er sagte dem Herrn Bürger meister, baß eS ihm wegen des vielen Stufensteigens ferner zu beschwerlich fallen würde, den ThürmeMenst zu verwalten, er auch nicht wisse, wie er für sein« Pferde und Equipagen Raum und Stallung auf dem Thurme anbringen solle, zumal die Pferde nicht gerne Treppen stiegen, aus welchen Gründen er denn das ihm gnädigst anvertraute Amt wieder in seine Hände niederlegen wolle. Ob dieser Rede entsetzte sich das Haupt der Stadt, vermeinend, der arme Thürmer sei überfchnappt. Bald jedoch nach Tropfstern'S Ent fernung brachte daS Gerücht ihm zu Ohren, welch' eine Veränderung mit diesem vorgegangen sei, und er bereute nun fast, eine so wichtige Person etwas schnöde behandel« zu haben. kSortietzoug folgt.) «