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bar, daß ihr Vater ausschlenderte zu dem nächsten Kutschenstqnd, NM allda, st viel er wußte, von den Erlebnissen der Nacht zu erzählen; denn er wußte bis jetzt noch Nichts von der Bewachenden, an denen oben in dem Zimmer die Stunden spurlos vorüber gingen. Mittags kam Will, er sah sehr froh, roth, unge duldig und aufgeregt aus. Susan stand still und blaß vor ihm, indem ihre sanften, liebenden Augen gerade in die (einigen blickten. „Will," sagte sie mit leiser, ruhiger Stimme, „Eure Schwester ist oben l" „Meine Schwester !" sagte er, wie erschrocken bei dem Gedanken, und sein froher Blick verwandelte sich in einem finstern. Susan sah eö und ihr Muth sank ihr etwas, allein sie fuhr, allem Anschein nach, st ruhig, wie stets fort: „Sie war die Mutter der kleinen Nanny, wie Ihr vielleicht wißt, und die arme kleine Nanny fand ihren Tod die letzte Nacht durch einen Fall von der Treppe." Doch hier war eö aus mit ihrer Ruhe, alle zurückgedrängten Gefühle brachen auf einmal, trotz aller Mühe, sie zu beherrschen, durch, sie setzte sich nieder und weinte bitterlich Er vergaß Alles bei diesem Anblick, außer dem Wunsch sie zu trösten, er legte seinen Arm mm sie, und beugte sich über sie, doch Alles, was er sagen konnte, war: „Ach, Susan, wie kann ich Euch trösten! Ach! beruhigt Euch; — oh bitte, weint nicht so!" — Er änderte nie seine Worte, doch der Ton änderte sich allemal, wenn er sprach. Endlich schien sie die Gewalt über sich wieder zu gewinnen, sie trocknete ihre Augen und sah noch einmal mit dem ihr eigenthüm- lichen ernsten, ruhigen und furchtlosen Blick auf ihn. „Eure Schwester war nahe am Hause und kam, als sie meine Worte zum Doctor hörte, herein. Sie schläft jetzt und Eure Mutter bewacht sie, ich wünschte Euch das selbst zu sagen. Möchtet Ihr Eure Mutter jetzt sehen?" „Nein" sagte er, „ich möchte lieber Niemand als Dich sehen; die Mutter sagte mir, du wüßtest Alles." Und er schlug die Augen nieder. - Aber die reine fromme Seele vor ihm schlug die Augen nicht nieder, sondern sagte: „Ja, ich weiß Alles — ich kenne alle ihre Leiden. Denkt daran, wie schwer sie gewesen sein müssen." Er antwortete finster und trocken: „Sie ver> diente das Alles, so viel eö auch war, es kam ihr zu." — „Vielleicht vor Gott verdiente sie es, er ist der Richter, aber wir nicht." „Oh," fuhr sie fort, indem eS sie förmlich über kam, „Will Leigh, ich habe so viel von Euch gehal ten, macht nicht, daß ich Euch für hart und grausam ansehen muß. Güte ist keine Güte, wenn sie nicht vermischt ist mit Erbarmen und Liebe. Hier ist Eure Mutter, der fast das Herz gebrochen war und die nun voll Freude über ihr Kind ist — denkt an Eure Mutter." „Ich denke an sie und erinnere mich des Verspre chens, was ich ihr gestern Abend gegeben. Gieb mir Zeit, ich werde dann das Rechte treffen, ich habe es noch, nicht mit Ruhe bedacht. Aber ich werde thun, das recht und billig ist, darauf verlaßt Euch. Du hast offen zu mir gesprochen, daß Du an mir zwei- felst, Susan, und weil ich Dich so sehr liebe, thaten mir Deine Worte weh. Wenn ich nicht gleich Der- sprechungen machte, so war es aus Liebe zu Dir, aber nicht aus Mangel an Gefühl, doch so, wie Du es wolltest, konnte ich nicht Alles auf einmal fühlen. Aber ich bin nicht grausam und hart; wenn ich es wäre, so würde ich mich nicht so gekümmert haben, wie ich eö gethan habe.^ Er schickte sich an, wegzugehcn, denn er fühlte in der Thal, daß es besser sei, Alles in Ruhe zu über- legen. Aber Susan, bekümmert über ihre schnellen Worte, welche anscheinend hart waren, trat einen Schritt fiäher, — hielt inne — und sagte dann, indem sie tief erröthete, mit leiser Stimme: — „Ach Will, ich bitte Euch um Verzeihung. Ich bin recht betrübt — wolt ihr mir vergeben?" Sie, welche stets zurückhaltend war, sagte das mit der lieblichsten Art, indem sie ihre Augen bittend zu ihm aufschlug und dann niedersenkte.' Ihre süße Verwirrung sagte mehr, als Worte eö thun konnten, und Will kehrte zurück voller Freude über die Gewiß, heit, daß er geliebt sei, nahm sie in seine Arme, küßte sie und sagte: „Oh, meine Susan." — In der Zwischenzeit bewachte aber die Mutter ihr Kind. ES war spät am Nachmittag, al- sie erwachte, denn der Schlaftrunk war sehr mächtig. Den Augen blick, so wie sie erwachte, waren ihre Augen auf das Gesicht ihrer Mutter gerichtet mit einem so unverän derlichen Ausdruck, als ob sie verzaubert wäre. Mrö. Leigh wendete sich nicht ab und blieb unbeweglich, denn eS schien ihr, als wenn eine Bewegung dre steinerne Gewalt über sich, die sie bis jetzt vollkommen behauptet hatte, zu Nichte machen würde. Aber nach und nach rief Lizzie mit einer durchdringenden Stimme voller Seclenangst auS: — „Mutter! sich mich nicht so an! ich bin so schlecht gewesen!" und sie verbarg ihr Angesicht unter dem Bett und lag so still, und bewegungslos wie ein« Tobte. Mrö. Leigh kniete neben dem Bett nieder-und sprach mit sanftester Stimme: „Lizzie, meine Liebe, sprich nicht so. Ich bin Deine Mutter, mein Liebling, fürchte Dich nicht vor mir. Ich hörte nie auf, Dich zu lieben, und dacht« immer an Dich. Dein Vater vergab Dir, ehe er starb." (Da fuhr sie schnell zusammen, aber man hörte keinen Laut.) „Lizzie, Mädchen, ich will Alles für Dich thun, ich will für Dich leben, nur fürchte mich nicht. WaS Du bist oder gewesen bist, davon wollen wir nie sprechen. Wir wollen die alten Zeiteft hinter unö lassen und aus die Updare-Farm zurückkeh ren, welche ich nur verließ, um Dich zu finden, und. Gott hat mir Dich zugeführt, gesegnet sei sein Name. Und Gott ist gut, meine Lizzie, Du hast Deine Bibel nicht vergessen, daS weiß ich, denn Du warst immer gut belesen. Ich kann nicht lesen, aber ich lernte manchen Tert daraus, um mich zu trösten, und ich habe mir sie immer vorgesagt. Lizzie, mein Mädchen, verbirg Deinen Kopf nicht so, es ist Deine Mutter, die mit Dir spricht. DaS kleine Kind hing noch ge stern an mir, und da eö nun unter die Engel gegan gen ist, so wird eö bei Gott für Dich sprechen. Nein, weine nicht so darüber, Du wirst eö im Himmel wie-