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genheit vorgeschlagen worden sei. Wir nehmen deshalb Veranlassung, unser» Lesern das, was man die „Ange legenheit des heiligen Grabes" nennt, in aller Kürze deutlich zu machen. ' Das Land Palästina, wo Jesus unser Heiland, einst gelebt und gewirkt, ist im Besitz der türkischen Macht, also im Besitz einer Regierung, die nicht der christlichen Religion angehört. Diese Thatsache hat schon vor 800 Jahren in der gläubigen christlichen Bevölkerung den Drang erzeugt, Palästina, das Mutterland des Christen tums, den Ungläubigen zu entreißen, und hat zu wieder holten Versuchen Anlaß gegeben, durch große KriegSzüge jenes Land zu erobern, welche man Kreuzzüge nennt und die einen bedeutenden Theil der Geschichte des Mittel alters einnehmen. Es ist aber trotz aller Opfer an Geld und Menschen nicht geglückt, daselbst ein christliches Reich für die Dauer zu gründen; vielmehr zerfiel dasselbe durch äußere und innere Ohnmacht und hinterließ einen so wunden Fleck in Europa, daß die Sehnsucht nach dem Besitz des heiligen Landes sowohl in den Fürsten wie in den Völkern völlig erlosch. Zudem trat noch der Protestantismus in die Ge schichte, der überhaupt die Verehrung aller Dinge als einen Götzendienst betrachtete und der die höhere und geistige Stätte der Religion in den Herzen der Menschen suchte und nicht in Alterthümern und wirklichen oder vor geblichen Reliquien, und hierdurch hörte denn die Ange legenheit des heiligen Grabes wenigstens in der protestan tischen Bevölkerung vollständig auf, Gegenstand einer besonder» Sehnsucht zu sein. Aus katholischen Ländern pilgerten indeß dennoch von Zeit zu Zeit außerordentlich Gläubige nach Palästina, um in Jerusalem zu beten. An der Stelle, von der man behauptet, daß sie einstmals das Grab unsers Herrn ge wesen sei, steht eine Kirche. Da nun die Andacht man cher Gläubigen hier gerade eine besondere Anregung ge sunden hat, so ist die Kirche des heiligen Grabes stets der Mittelpunkt alles ZuströmenS gewesen, und dieser hei lige Ort wurde denn auch ein Gegenstand der Fürsorge christlicher Regierungen, welche eS durch ihre Verträge mit der türkischen Regierung dahin brachten, daß der christliche Gottesdienst daselbst von den Ungläubigen nicht gestört wurde, obwohl nicht zu verhindern war, daß die Türken, welche die Kirche des heiligen Grabes bewachen, von je dem Pilger, welcher diese heilige Stätte besuchte, eine Abgabe erhoben. Es ist aber gerade die Kirche des heiliges Grabes, die das katholische Christenthum in Palästina repräsentiren soll, der Schauplatz höchst unchristlichen Hasses gewesen. Griechisch-Katholische und Römisch-Katholische, die gleichen Anspruch auf diese Kirche machen und sich nicht zu der Ansicht erheben können, sich zu einer gemeinsamen Benutzung dieser Kirche zu verstehen, führten dort Scenen auf, die selbst ein Scandal für die Muhamedaner find, welche dieselben mit angesehen haben. Die türkische Re gierung ist nicht nur genöthigt, den Gottesdienst gegen den Fanatismus des türkischen Pöbels zu schützen, sondern sie muß auch kräftige Polizei aufbieten, um den nicht selten vorkommenden Scqndal roher Leute des griechisch- katholischen und röhmisch-katholischen Bekenntnisses daselbst zu steuer». Es sind blutige Schlägereien, die an der Kirche des heiligen Grabes geführt werden, nichts Sel tenes, und die Folge ist, daß ein Sectenhaß unerhörter Art sich dort eingewurzelt hat, der sogar bis auf die Leiter derselben übergeht. Wer die Schilderung liest, wie man genöthigt ist, diese, Art Anbeter, welche sich Christen nennen, durch Eisen gitter, durch besondere Ein- und AuSgänge zu trennen, um sie nur von einander fern zu halten, wie man die Andachtsübung und die Räumlichkeit vertheilen muß, da mit nur ein persönliches Zusammentreffen dieser Leute vermieden wird, wie die türkische Polizei sich an den Andachtstagen stets bereit halten muß, um Blutvergießen zu verhindern, wie da Jntriquen und Böswilligkeit ihre Rolle spielen — wird gestehen, daß sich unser Heiland über solchen Gottesdienst an seinem Grabe unmöglich freuen ckann, und daß dort eher eine Entweihung als eine Verehrung der sogenannten „Angelegenheit des heiligen GrabeS" getrieben wird. Allein diese Angelegenheit, die für die Weltgeschichte von ziemlich untergeordneter Bedeutung ist, hat seit der Zeit Bedeutung gewonnen, wo die Frage über die Thei- lung des Osmanenreichs in den Vordergrund getreten ist, die Frage, wer der lachende Erbe der Türkei sein werde. Wer mit bei der Theilung die Hand möglichst nahe an der Schüssel zu haben wünscht, sucht auch in der Ange legenheit des heiligen Grabes die Hand im Spiel zu behalten. Rußland spielt in dieser Frage den Vertreter der griechisch-katholischen Kirche; folglich faßt eS auch die Angelegenheit des heiligen Grabes von dieser Seite auf. Rußland giebt sich dabei den frommen Anschein, als ob cs durchaus weiter nichts wolle, als die Religion schützen, unter deren Deckmäntel Gutes und Schlimmes nach dem Zeugniß der Geschichte auSgesührt worden ist. Oesterreich hat seither die Rolle des Beschützers der römisch-katholischen Kirche übernommen. Ob es Rußland, welches ihm 1849 einen wesentlichen Dienst in Ungarn geleistet hat, ernstlich in jener Frage entgegentreten werde, darauf können wir nicht Brief und Siegel geben. Ludwig Napoleon hat nun die Hauptrolle des Be schützers des heiligen Grabes und der katholischen In teressen übernommen; er hat sich zugleich den Titel: „Beschützer der heiligen Stätten" beigelegt. Was Ludwig Philipp erreichen wollte durch dir unter seinem Schutze hergestcllte Selbstständigkeit Egyptens, um vorkommenden Falls schnell bei der Hand sein zu können, wenn es zur Theilung des türkischen Reichs geht, das will Louis Na poleon auf anderem Wege,- aüf dem Wege der katholischen Interessen erreichen, die ihm, dem „treuesten Sohne der Kirche" schon erhebliche Dienste geleistet haben. Die protestantischen Staaten hätten ein großes In teresse, sich an der „Angelegenheit des heiligen GrabeS" zu betheiligen, da diese Frage eine rein politische geworden ist, die unter der -Maske der Religion spielt; allein man muß den ehrsamen Schein beobachten und kann sich An stands halber nicht gut hineinmischen. England hat sofort nach der großen Katastrophe der orientalischen Frage im Jahre 1840 ein Bist hum in Jerusalem errichtet, das zwar nur ein bescheidnes Dasein fristet, das aber in aller Stille seinen religiösen Zweck in angemessener und würdiger Weise zu entsprechen sucht, als die übrigen „streitenden" Kirchen am heiligen Grabe. So viel steht fest, daß die Angelegenheit, des heiligen Grabes jetzt nicht eine Sache der Heiligkeit und deS frommen Glaubens mehr ist, sondern lediglich eine Sache der Diplomatie und der Politik. . Vom wahrhaft religiösen Standpunkts aus betrach tet, ist aber eine Politik, die zum Schein Religion spielt und die Religion zur Magd der Herrschsucht macht, nicht eine Angelegenheit des heiligen Grabes, sondern des Grabes der Heiligkeit. W'.