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Wilhelmine. (Fortsetzung.) Statt aller Antwort griff Wilhelmine nach dem Briefe ihre- Vaters und zerriß ihn. Dann wandte sie sich um nach Franz, der ganz versteinert vastand, seinen Blick mir einem unbeschreiblichen Aus druck drS schmerzhaften Erstaunens auf den ihrigen geheftet. Thränen rollten tn seinen Angen, ein erstickter Seufzer entwan» sich seiner Brust; dann schwoll ihm das Herz, seine Augen entzündeten sich, sein Kopf rich tete sich in die Höhe; er griff nach seinem Hule und entfernte sich in lebhafter Aufregung, ohne ein Wort vorzubringen. Sobald er fort war, legte sich in der Einsamkeit WilhelminenS aufbrausende Hitze nach und nach, und sie richtete die Frage an sich, ob sie nicht Unrecht gehabt. Ihr Gewissen antwortete ihr dumpf: ja; aber sie wollte ,S nicht anhören. Bald darauf trat Ära msen ein. „WaS har daS zu bedeuten, Wilhelmine?" rief er; „von fern sehe ich Franz aus dem Haufe stürzen, bleich und entstellt; ich rief ihn und er hörte mich nicht." WilhelminenS,Gewissen rief ihr zu: Du bist grausam gewesen! „Du hast Dich gewiß wieder," fuhr Kramsen fort, „mit ihm unrechter Weise gestritten, da wollte ich darauf wetten, und gerade in dem Augenblicke, wo er unS einen so eminenten Dienst geleistet. Weißt Du, welch erschreckender Art die Gerüchte über Dich und denPrtnzen Friedrich werden? Sieh dies schmäh liche Pamphlet'." sprach er, aus seiner Tasche eine Broschüre ziehend.... „eS enthält eine infame An spielung auf diese Verläumdungen.... „Oh! wenn ich doch diesen elenden Schreiber kennte!... WilhelminenS Gewissen mahnte sie laut: Du bist ungerecht und unsinnig gewesen! „Wie bin ich doch so froh, baß ich diesen Brief an den Prinzen geschrieben habe," fuhr Kramsen fort; „ich hoffe, er wirb nun unser HauS meiden. Du hast ihn doch abgesanbt, nicht wahr?" „Ja, mein Vater," stammelte Wilhelmine zitternd, indem sie den Uhrzricker im schnellen Fluge sich der Stunde nähern sah, wo Prinz Friedrich erscheinen sollte. Dann überlegte sie, daß der Prinz komme und ihr Vater Alles erfahren würbe... sie wollte sich ihm zu Füßen werfen, ihm Alles gestehen und ihn bitten, daS Nebel wieder gut zu machen, als Kramsen sich wieder zum AuSgehen anschickte, um eine Unterrichts- stunde zu geben. Sie athmete wieder srei auf und dachte, daß eS besser sei, die Ankunft deö Prinzen abzuwarten, und ihm dann müüdlich ganz unumwunden und offen die Wahrheit zu sagen. Sie kannte den freien und leutseligen Charakter Friedrich'- zu gut, um zu befürchten, daß er sich erzürne. Dann nahm sie sich vor, zu Franzens Mutter zu eilen, ihren Sohn zu sehen, ihm die Hand zu brücken und ihn um Ver. zeihuna bitten. Aber kaum hatte sich Kramsen aus dem Hause «tipaS entfernt, alS sie unter ihrem Fenster in der «infamen und abgelegenen Straße, wo sie wohnte, «in ungewöhnliches Stimmengeräusch vernahm; sie schaute durch eine Scheibe und gewahrte Friedrich, der in dem Augenblicke, wo er in daS HauS kintrat, von Soldaten umzingelt ward, und sich gegen sie zur Wehr stellte, -,. „Welches ist mein Verbrechen?" rief er. „Sie werben eS wahrscheinlich erfahren," er. wieberte ei» Offizier, „wir wissen eS nicht... Seine Majestät, unser Herr, gebietet Ihnen Stubenarrest; geruhen Sie gefälligst, in diesen Wagen zu steigen." Zwei Wagen standen vor der Thür. Für wen war der zweite? Friedrich mußte ohngeachtet seines Widersinn, deö gehorchen, und einer von den Wagen entfernte sich. Eine Solbaten-Abtheilung, von einem Offizier geführt, trat in WilhelminenS HauS, Vie sich mehr lovt als lebendig auf ein Bett warf. Bald Hörle sie an der Stubenthür klopfen; sie sprang confulsivifch beim Geräusch dieses Schlages, gleich alS ob sie ihn selbst empfangen, in Vie Höhe, und sank wieder kraft, und'muthloS zurück. Sie hörte unter den verdoppelten Schlägen die Thür seufzen, und endlich unter Flintenkolben erbrochen werden; und nun näherten sich die Tritte ihrem Zimmer. „Folgen Sie mir augenblicklich," sprach der ein. tretende Offizier. „WaS habe ich verbrochen?" murmelte Wilhel mine bestürzt. „Ich kenne nur meine Ordre, folgen Sie also.'? „Gnade! Gnade!" riefWilhelmine erschrocken, beS Offiziers Kniee umklammernd. „Man ergreife sie," sprach dieser ein wenig ge- rührt... „aber man hüte sich, ihr etwas BöseS zuzu fügen... Wilhelmine verlor die Besinnung; als sie wie- der zu sich kam, lag sie in einem schmutzigen und fin stern Kerker. II ES giebt in der Geschichte unmenschliche und grau- same Arie, welche durch den Tadel der Nachwelt auf immer gebranbmarkt werben, wenn solche glaubwürdig sind. Aber eS giebt guch solche, welche man nicht kennt, ober die, weil sie nur obskure und gemeine Personen betrafen, nicht beachtet worden sind. Und doch sind solche, obwohl sie kein so allgemeines Un glück anrichten, nichtsdestoweniger große Verbrechen. Vielleicht haben diese Beispiele der Nachsicht tn der Wahrheit ihren Grund, daß daS Böse wie das Gute den Königen zu leicht zu thun fällt, als daß eS ihnen wie den übrigen Menschen zugerechnet werden könnte. Die Geschichte hat nicht Friedrich Wilhelms Ange, denken gebranbmarkt, und gleichwohl ist eS wahr, daß auf seinen Befehl auf eine frivale Anklage hin eines Tages in Potsdam über ein junge-, reines und unschuldiges Mädchen eine Strafe verhängt wurde, die so entehrend war, daß sie sie nicht überleben konnte, und so grausam, daß sie sie nicht auf der Stelle tödtete. ES giebt so furchtbares und stechende- Unglück, welches die Seele von allen Seiten «»greift und über wältigt, wie durch Schmerz, durch Schande und selbst durch Lächerlichkeit; eS giebt so blutende Ironien deS Schicksals, baß man eS unterläßt, sich darüber zu beklagen, auS Furcht, daran zu denken. So lassen wir den Leser «rächen, warum sich eine unermeßliche VolkSmaffe mit einer unedlen und grausamen. Neu gierde auf Potsdam- Richtplatz versammelte. Der Muth würde unS dazu fehlen, wollten wir ihm da scheußliche Schauspiel vor Augen führen, wie ein