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durch rollenden Donner erfüllt wird. Welcher Sterb liche könnte aber heute mit Sicherheit die Gestal- . tung d«S neuen großen Jahrestages voraussehen? Demyngeachtet richten wir unser Fernglas auf den entlegenen Horizont und versuchen, unsre Wahr nehmungen und Ansichten, die selbstverständlich trrsam sein können, auszusprechen. Im vergangenen Jahre waren die Völker in ih rer Mehrheit ungemein gleichgültig gegen politische Vorgänge und gegen das öffentliche Leben. Die träge, langweilige Eintönigkeit der resultatlosen Berliner " Conferenzen, die Missionen der Jesuiten und die Lei den Schleswig-Holsteins waren wenig geeignet, den Ekel der Männerherzen zu verscheuchen. / Diese Theilnahmlosigkeit des Volkes an polm- schen Interessen Europa'ö ist mit der Erneuerung des Napoleon'schen Kaiserthums unv mit dem Drohen der „FriedenSadler" verschwunden. So viel läßt sich für das künftige Jahr vorgussehen, daß die Theilnahme deS Publikums an den Gestaltungen der gegenwär tigen Weltgeschichte wieder wachsen und erstarken wird. Offenbar hat die Welt die Erschöpsmrg und Gleich gültigkeit, in welche sein rascher Wechsel blendenden Lichts und düstern Schattens sie versetzt hatte, so ziemlich überwunden. Aus der gegenwärtigen Däm - merungsperiode, aus der sich offenbar'eine neue Zeit vorbereitet und entwickelt, ist die Sehkraft des Publikums wieder geschärft; mit dieser ist die Theil- - nähme für die Dinge um sie her gestiegen. In einen Werveproceß ist Europa getreten, wo raus sich entweder ein befestigter längerer Friede, . oder ein Krieg in einer Reihe von Jahren zu ent wickeln scheint. Dieser Entwickelungöprozeß einer neuen Zeit wird aber schwerlich schon im Laufe des neuen Jahres beendigt sein, und wir zweifeln mit Grund, daß es bei der Unentschlossenheit der großen Mächte — Niemand will eine Collission herbeifüh ren — schon in naher Zeit zu einem Kriege kommen werde. England, welches besonders seine Aufmerk samkeit auf die Befestigung seiner Küsten richtet, bie tet mit Nachdruck Alles auf, um kriegerischen Con- flictcn auözuweichen und den Weltfrieden zu erhalten; daher auch die rasche Anerkennung des Napoleon'schen Kaiserthums Seiten Englands. „Es wird sich Alles gegen einen neuen Störenfried in Europa wen den," sagte vor einigen Monaten der englische Mi nister der auswärtigen Angelegenheiten im Hause der LordS. Bei allen diesen Bestrebungen Englands, den Weltfrieden zu erhalten, wohin auch die Sorge meh rerer anderer Cabinette geht, wissen wir doch nicht, wie lange diese Mühe gelingen wird. Einer ernsten Zukunft scheinen demungeachtet die Völker unserer Echfelte entgegen zu gehen. An allen Ecken und En den ist das altersschwache Europa mit einer Menge > „brennender Fragen" erfüllt, und der erste elektrische Funke, von Osten oder Westen kommend, könnte der einst die Welt in einen Kriegsbrand versetzen. Jn- deß har es in der Geschichte am Horizonte der Völ ker oft noch bedenklicher ausgesehen, und doch sind die Streitfragen auf diplomatischem Wege friedlich gelöst worden. Womit das neue Kaiserthum jenseit des Rheins droht, verbirgt sich Niemand auf unserer Uferseite mehr. Nur lächerlich zeiat sich der Flachkopf, der in einer-Friebensrede des Napoleouiden etwas Anderes erblickt, als eine dürftige Maske für Eroberungsgelüste ' 8 - . . und Kriegs Vorbereitung. Wer wird von den Na poleon'schen Adlern erwarten, daß sie sich auf ein mal in fromme Täubchen verwandeln sollten! Sollte dereinst auf irgend einem Punkte Europa'S der Krieg Glosbrechen, dann sei man fest überzeugt, daß der neue Kaiser „die Würde Frankreichs" wahren und die er sten Lorbeeren des Kriegsruhms pflücken wird. Bel gien und Sardinien dürften das nächste Ziel der „Frie- denöabler" sein. Im Südosten unserö WelttheilS, in der Tür kei und Griechenland,.bereiten sich ernste Dinge vor, die darnach angethan sind, daö künstliche Gleich gewicht der europäischen Mächte zu stürzen. Eng land und Rußland angeln mit gleich lebhafter Be gier nach dem Erbe des verfallenden OsmanenreichS. Mit dem Zusammensturz des türkischen Reichs wer den auch die Tage des alterömattrn Griechenlands gezählt sein, und der Tag einer Theiluug jener Reiche wird schwerlich friedlich herannahen. Im vorigen Jahre wollte eS einige Mal den Anschein gewinnen, als ob aus den Hetzereien und Bitterkeiten Her herrschenden Zollkrise zwischen den bei den deutschen Großmächten ein Krieg ausbrechen würde, wle er im November 1850 bereits vor der Thür war. Damals halten wir uns mit der traurigen Aussicht bekannt gemacht, daß die Heere Preußens und Oe sterreichs im lieben „einigen Deutschland" feindlich aufeinander losschlagen würden. Heut zu Tage haben wir die frohe Zuversicht, daß Gon solche Greuel eines deutschen Bürgerkriegs uns ersparen werde, beim daö „Friedenskaisenhum" macht die Deutschen schon einiger. Ein Krieg mit dem angreifenden Ausland, so beklagenswerth er immer wäre unv so sehr er seine Geißel über unser Volk schwingen könnte, wäre noch weit erträglicher, als wie Schrecken eines Bürgerkriegs. Andre glauben, es könnte in einer Reihe von. Jahren gar zu einem Religionskriege kommen. Allein so sehr sich auch die Jesuiten in manchen Ländern be mühen,, zu Hetzen unv daS Feuer deS consesüonelleu Haders zu schüren, .so sehr auch in unsrer Zeit die konfessionellen Gegensätze von den Parteien auf die Spitze getrieben werden, so ist die Welt im 19. Jahr hundert doch zu aufgeklärt und ein großer Theil zu gleichgültig gegen Kirchcnthum, als daß schon ein wirklicher Fanatismus unter den verschiedenen Kir- chengesellschaften entstanden wäre, der allein einen Religionökrieg möglich macht. Eine charakterischc Erscheinung unsrer Zeit- be steht darin, daß die Erinnerungen an die große Zeit der deutschen Befreiungskriege von 1813 von deutschen Patrioten wach gerufen werden. Aufzeich nungen damaliger Kriegsführer und Theilnehmer am Kampfe erscheinen jetzt zahlreicher als je im Druck; Fleiß und Kunst unsrer Geschichtsschreiber und Ma ler, suchen aus jener großen Zeit unsres Ruhmes ihre Stoffe; öffentliche Blätter und Schriften beschäftigen sich mit den Schlachten und Helden jener Zeit. Un verkennbar steigt allmählig eine patriotische Begeiste rung im Herzen der Deutschen an, welche in der Stunde der Gefahr den deutschen Fürsten die ersprießlichsten Dienste leisten kann, sobald die Adler des Westens ' ' den — „freien deutschen Rhein" bedrohen sollten. Die Deutschen fangen an, ihre Gemüthec zu stärken an dem hohen Beispiel «der Ahnen, vor deren Heldenmut!) der große Napoleon in den Staub ge sunken ist. So steigt Deutschland aus der Schmach seiner Uneinigkeit und Lethargie allmählig wieder em-