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D Erstaunen, lieb ihn mit Entsetzen erfassen und fast U fühlte er sich versucht, an der Wahrheit von BurmüllerS Worten zu zweifeln — doch der Augenblick war zu A ergreifend, die Situation zu tief ernst, um die Mög- A lichkeit einer Unwahrheit Seitens des ehemaligen Fabrik- leiters zuzulassen. — Schwaller mußte schließlich doch daran glauben, daß das der Zufall eine seltsame Ver kettung seiner Lebenswege mit denjenigen BurmüllerS herbeigesührt. Ohne allen Zweifel ging eS aus den wenigen Worten des Sterbenden hervor, daß er vor vielen Jahren in Köln am Rhein, nachdem er von seinen Eltern nach deren Tod ein bedeutendes Vermögen ge erbt, Theilhaber einer angesehenen Firma geworden, während der andere Compagnon Schwallers Vater gewesen war. Liederlicher Lebenswandel und eine un bezwingbare Spielleidenschaft hatten Burmüller schließlich auf Abwege gebracht, er betrog fortgesetzt Schwallers Vater auf die rasfinirteste Art um große Summen, er wurde zum Dieb und Fälscher, bis eines Tages die Missethaten zur Kenntniß seines Compagnons kamen, aber da war es auch schon zu spät, der Ruin der Firma ließ sich nicht aushalten und Schwaller wurde dadurch so sehr in Mitleidenschaft gezogen, daß er da rüber den Kopf vollständig verlor und in einem An fall von Schwermuth in den kühlen Fluthen des Rheines den Tod suchte. Burmüller aber, der nicht allein indirekt zum Mörder an dem ehrenwerthen Schwaller geworden, sonder« durch seinen Leichtsinn auch noch dessen Familie ins tiefste Elend gestürzt, wußte sich noch rechtzeitig bedeutende Summen Geldes zu verschaffen und damit das Weite zu suchen. Ein gar abenteuerliches Leben hatte Burmüller nach seiner Flucht aus seiner Vaterstadt geführt; nirgends Rast noch Ruh konnte er finden, und so wandte er schließlich Deutschland den Rücken, um in Amerika, wohin schon mancher heimathlose Flüchtling seine Schritte gelenkt, ein neues Leben zu beginnen. Vorübergehend war ihm auch das Glück günstig ge wesen, er war unter die Goldgräber gekommen und mit der ihm eigenen Schlauheit und Gewissenlosigkeit hatte er es verstanden, in kurzer Zeit bedeutende Reich tümer zusammenzuraffen, Der Spielteufel hatte ihn aber auch hier wieder um einen großen Theil der Früchte seiner Arbeit ge bracht, und so war er schließlich wieder nach Europa zurückgekehrt, wo ihm sein Schicksal nach Dieuzheim geführt und seltsame Verkettung der Umstände, er hier die Wege des Sohnes kreuzen sollte, dessen Vater er gemordet, dessen Familie er an den Bettelstab gebracht. Als der Verwundete zu Ende, schauerte Schwaller bei seinem Anblick zusammen, er konnte es kaum fassen, daß ein Mensch wirklich so viel Unheil über eine Fa milie zu bringen vermochte, wie der vor ihm liegende, mit dem Tode ringende Burmüller. Einen Augenblick fühlte er sich fast versucht, sich auf den Verwundeten zu stürzen, ihn mit eigenen Händen vollends zu erwürgen. Lieutenant von Leinau, welcher Anfangs den Zu sammenhang gar nicht recht begreifen konnte und erst nach und nach zur Erkenntlich kam, welcher Roman des Lebens sich hier abgespielt, mochte errathen, welche Druck und Verlag von Friedrich May, redigirt unter Empfindungen den jungen Man« beseelte»; er trät darum auf Schwaller zu, die Hände aus dessen Schul tern legend sagte er: „Fassen Sie sich Unteroffizier, ÄotteS Gericht hat hier der menschlichen Gerechtigkeit vorgegriffen, und vor dieser Allgewalt müssen wir sündigen Menschen uns alle beugen." „Vergebung! Vergebung!" stehle er mit röchelnder Stimme, dann verließ ihn die Kraft vollends, die Augen nahmen mehr und mehr einen gläsernen Aus druck an und starrten ins Weite; nach einer kleinen Weile öffneten sich des Sterbenden Lippen nochmals, aber die Laute starben in unverständlichem Gemurmel — Burmüller hatte auSgerungen — er stand vor dem himmlischen Richter, nachdem das Schicksal ihn der irdischen Gerechtigkeit entzogen hatte. 9. Kapitel. ES war Blonde! in jener verhängnißvolleo Nacht wirklich geglückt, wie durch ein Wunder, sich seinen Verfolgern zu entziehen, obschon durch einen Streif schuß verletzt und nach Ueberwindung mancherlei Schwierigkeiten die neutrale schweizerische Grenze zu überschreiten. Nachdem er einmal dies erreicht hatte, fiel es ihm leichter, von Basel aus feine Reist nach Frankreich fortzusetzen. Wie finden wir den einst so stolzen, durch und durch egoistischen und in seiner Sucht nach Wiederge winnung des durch eigene Schuld verlorenen Rrich- thumS kein Mittel verschmähenden Maurice Blonde! wieder? Es war zu Anfang de- Dezember 1870; der Verlauf des großen Krieges gestaltete sich für Frank reich immer ungünstiger, r- war bereits als über wunden zu betrachten, umfaßt von den Krallen des deutschen Aar. Paris, das Herz von Frankreich, die Königin der Städte, das Moderne Babel, war von den deutschen Truppen so ziemlich eingeschlossen und von der Außenwelt abgeschnitten; immer dichter legte sich der eiserne Gürtel um die größte Festung der Welt und nur noch kurze Zeit angestrengter Arbeit der deutschen Belagerungstruppen bedurfte es, um die Stadt mit todt- und verderbenbringenden Geschaffen überschütten zu können, dadurch den trotzigen Wider stand endlich brechend. Waren Ausgangs Oktober und Anfangs November die Nahrungsmittel in Paris noch hinreichend vorhanden, um den täglichen Bedürfnissen dieser ungeheuren Menschenmenge genügen zu können, so änderte sich dies bereits Mitte November und der Mangel wurde von da ab von Tag zu Tag fühlbarer. Hunde, Katzen, Ratten, Mäuse und anderes Aethier, welches sonst selbst in den untersten Volksschichten wohl nicht als Gaumengenuß oder zur Stillung des Hungers diente, wurde um diese Zeit bereit» in der Küche besserer Fa milien als Leckerbissen betrachtet und konnten nur für schweres Geld erworben werden. (Fortsetzung folgt.) Verantwortlichkeit von Emil May in Bischofswerda.