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An Muth fehlte es dem Unteroffizier wahrlich nicht, aber ein sonderbares Berhängniß hatte ck gefügt, daß Unteroffizier Schwaller dazu commandirt worden war für die Mission heute Abend, als Lieutenant v. Leinau, nachdem er von Sergeant Hanemann die Meldung erhalten, Blondel und Burmüller würden mit wichtigen Nachrichten heute Nacht heimlich über Basel nach Frankreich reisen, seinem Commandeur Bericht darüber erstattet hatte. Durch die im eigenen Hause einquar tierten Mannschaften den Fabrikherrn und seinen Com- plizen Burmüller zu überrumpeln, wäre unklug und auch nicht gut angängig gewesen, es mußte mit viel List dabei zu Werke gegangen werden, war doch anzu nehmen, daß Blondel die bei ihm einquartierten deut schen Soldaten aufs Sorgfältigste beobachten würde und eS ihm gewiß nicht entgangen wäre, sobald man einen Schlag gegen ihn beabsichtigte. Darum hatte Lieutenant von Leinau gebeten, um die bestimmte Zeit einige Mannschaften entgegen zu senden und der Com mandeur war gern auf diesen Plan eingegangen, war es dadurch doch viel eher möglich, in den Besitz der Nachrichten zu kommen, welche nach Frankreich gebracht werden sollten. Da sich nun Unteroffizier Schwaller verschiedent lich durch Umsicht bei ähnlichen Gelegenheiten ausge zeichnet, so wurde er als Führer der nächtlichen Patrouille bestimmt. Ein eigenthümliches Gefühl beschlich Schwaller, als die zwei Männer ganz dicht an seinem Standort vor überschritten^ ohne zu ahnen, wie nahe ihnen der Feind. Auf den ersten Blick hatte er Eugeniens Vater und Burmüller erkannt, sofort wurde er sich der ganzen Tragweite seiner Lage bewußt. Würde ihm die Ge liebte jemals verzeihen können, wenn er jetzt ihren Vater seinem Schicksal überlieferte? Würde die kind liche Liebe nicht den Sieg über die Liebe, wie sie zwischen ihnen entstanden, davon tragen und dieser Sieg es mit sich bringen, daß er für immer von ihr getrennt war, eine unüberbrückbare Kluft sich zwischen ihnen bildete, dies mußte er befürchten und zum zweiten Male in seinem Leben war er auf eine furcht bar harte Probe gestellt, hatte er zu wählen zwischen Pflicht und Liebe. Dieser Gedanke beraubte ihn für einen Moment seiner Sprache — es war ihm unmög lich, den Männern das verhängnißvolle „Halt!" zu zurufen. O, warum mußte gerade ihm dieses Loos befchie- den sein, warum mußte ihm dieser Krieg so unendlich schwere Opfer auferlegen, die zu ertragen, säst an die Unmöglichkeit grenzten! Doch er war ein deutscher Mann, er durste nicht wanken, das Vaterland galt über alles und so über wandt er auch die einen Augenblick ihn anwandelnde Schwäche. Fester den Kolben seines Gewehres um fassend, dasselbe zum Stoß mit dem Bajonett nach Vorne gerichtet, ries er mit weithin schallender Stimme: „Halt! keinen Schritt weiter!" Die Wirkung dieses Anrufes war eine überraschende, überall tauchten in der Dunkelheit neue Gestalten auf, um den eben noch so siegesgewiß dahinschreitenden beiden Männern den Weg zu verlegen. „Verdammt, wir sind verrathen!" schrie eine heisere i Stimme, welche Unteroffizier Schwaller sofort als diejenige BurmüllerS erkannte. Wie ein gehetztes Wild rasten die beiden Männer weiter die Straße entlang, um aus dem Bereich der Verfolger zu kommen; vergebens waren die weitere» Haltrufe Schwallers und die Drohung, Feuer zu geben; man merkte es Blondel und Burmüller an, daß sie bestrebt waren, ihre Freiheit so theuer wie möglich zu erkaufen und um jeden Preis aus der gestellten Falle zu entkommen, was für Schwaller nur umsomehr den Ansporn bildete, ihrer todt oder lebendig habhaft zu werden, denn nun konnte kein Zweifel mehr darüber obwalten, daß eine verbrecherische Absicht der Reise zu Grunde lag. Wie auf Verabredung wichen Blondel und Bur müller plötzlich von der eigentlichen Straße ab, das ihrer harrende Gefährt unbeachtet lassend und suchten das Weite zu gewinnen, um in der Dunkelheit ver schwinden zu können, doch die Patrouille war eben so schnell hinter ihnen her und was in dieser Beziehung Füsiliere zu leisten vermögen, hat sich in diesem ewig denkwürdigen Feldzuge so oft bewiesen. Als Schwaller merkte, daß die beiden französischen Parteigänger durchaus nicht gewillt waren, sich zu ergeben, so sah er sich vor der Nothwendigkeit gestellt, seiner Instruk tion gemäß zu handeln. Noch einmal rief er den Flüchtigen zu, sich zu ergeben, doch auch diesmal blieb sein Ruf unbeachtet und so zögerte er denn auch keinen Augenblick mehr, an feine Untergebene die Aufforde rung ergehen zu lassen, von den Waffen Gebrauch zu machen. Die beiden Männer waren auf ihrer Flucht noch nicht gar weit gekommen, als mehrere Schüsse auf blitzten und der dumpfe Knall der Gewehre das Sturmgeheul und Regengeplätscher übertönte. „Sie haben es nicht anders gewollt! Bei Gott ich konnte nicht anders handeln, mag Eugenie mir ver geben, das Vaterland mußte ich über die Liebe stellen!" flüsterte Schwaller leise vor sich hin, dem der Laut der Schüsse wie Töne aus der Hölle an das Ohr schlug. Es war im ersten Augenblick nicht zu übersehen gewesen, welche Wirkung die todtbringenden Geschosse gehabt, denn- bei der Dunkelheit und dem unsicheren Ziele war es zweifelhaft, ob dieselben getroffen. Mit wenigen Schritten eilte Schwaller auf die auf der Straße haltende Kutsche zu, dessen Führer den ganzen Vorgang gar nicht sogleich begriffen und daher nicht davon gefahren. Erst als Schwaller die Frage nach einer Laterne an ihn richtete, da mochte ihm einleuchten, daß es geratheuer sei, sich au« dem Staube zu machen, um allen Unannehmlichkeiten aus dem Wege zu gehen. Gewissermaßen als Antwort auf Schwallers Frage schlug der Kutscher mit kräftigen Schlägen auf die Pferde ein; dem Versuch Schwallers, den Thieren selbst unter großer Gefahr in die Zügel zu fällen, wußte er durch mehrere kräftige Peitschenhiebe abzu wehren, außerdem setzten sich die Thiere auch sofort in Trab, sodaß ein Aushalten unmöglich war und Schwaller nur tüchtige Schwülen davon trug. „Elender Bube!" knirschte Schwaller fast ohn mächtig vor Wuth und Schmerz. Doch jede Mühe