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/reitag M 94 1. Wecember 1854. Erscheint Dienstag- und YtettaM Zu beziehen durch allePcstanstal- ten. Prei» pro Quark. lvNgr Äns«»k° werdest mit 8 M für di. Zeil« berechnet ch u. tu allen EZ- ptditionen an, genommen. Ein «nterhattendes Wochenblatt fük den Bürger und Landmann. Verantwortlicher Redacteur: Carl Jehne in Dippoldiswalde. Die europäische Trage und Palmerston's Die Welt hat gegenwärtig eins der großartigsten Schauspiele: die drei wichtigsten Reiche der Erde find im Kampf begriffen , eS wird jetzt der größte Artilleriekampf gefochten, den die Geschichte kennt. Die beiden West mächte haben in diesem Jahre den Anfang gemacht, die Uebermacht, die Vergrößerungssucht und den Uebermuth Rußlands in einer Weise zu brechen, daß eS diesem halb astatisch-barbarischen Staate nicht so bald wieder möglich werden soll, den Frieden der Welt zu stören und seine VergrößerungSpläne durchzusetzen. Rußlands feine Diplomatie folgt dem alten Grund sätze: „Theile und herrsche," und es scheint, als sei ihm dies seither so übel nicht gelungen. Auch in Bezug auf Frankreich und England möchte es diesen bewährten Grund satz, gern M Anwendung bringen. Mit seinem Erbfeinde England ist nun einmal nichts anzufangen; hier ist Hopfen und Malz verloren, denkt man in Petersburg. Aber noch hat man die Aussicht nicht aufgegeben, daß mit dem Kaiser Napoleon III. doch vielleicht Friede zu schließen sei. Bor Sebastopol find die Ausfälle der Russen vor zugsweise gegen die Engländer gerichtet, ihnen gilt vor Allen der Vernichtungskampf. In Petersburg ist man auch viel mehr aus die Engländer, als auf die Franzosen erbittert. Die Petersburger Staatszeitung brachte jüngst einen leitenden Artikel, in welchem Frankreich zwar der Text ziemlich gelesen wurde, jedoch mit Achtung und Rück sichtnahme; dagegen wurde der Engländer mit Feuer und Flammen gedacht, man sagte dürr heraus: Dieser Staat müsse mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden. Das wird nun freilich nicht so leicht gehen, wie auch umgekehrt .England nicht sobald den Staat Rußland von der Karte Europa s schwinden machen kann. Man sieht aber daraus, daß eS beiden Staaten wenigstens nicht an gutem Willen fehlt, einander das Lebenslicht auszublasen. In Petersburg macht man einen großen Unterschied zwischen England und Frankreich, Schon im vorigen Jahre, als die Westmächte ihr Ultimatum nach Peters burg sandten, wurde der französische Äesandte höchst artig von der russischen Diplomatie behgndelt, während man an den englischen Gesandten den ganzen Groll Rußlands aus schüttete. Daß Rußland immer noch die Hoffnung hegt, Frank reich von England zu trennen, geht daraus hervor, daß die stets gut unterrichtete, durch und durch russisch gesinnte Kreuzzeitung, in Berlin dieser Tage einen Leitartikel brachte, tn welchem die Frage erörtert wurde, ob Rußland einen Separatfrieden mit Frankreich schließen könne. Es scheint sonach, als ob man in Petersburg eine diplomatische Jn- jrigue spinnen und sehen wolle, ob es möglich sei, Frank- l rzr.Ltt i-' ' .. k reich von hem englischen Bündniß zu trennet Man möchte gern dämit Oesterreich stutzig. Preußen fügsamer und Eng land und Frankreich mißtrauischer gegen einander machen. Zn diese Zeit nun fällt die Reise deS englischen Mini ster- Palmerston nach Paris. Palmerston war bekannt lich ftüher ein persönlicher Freund deS jetzigen Kaiser- Napoleon , als ditser noch als Flüchtling in London sich Aufhielt. Palmetston war der Mann, welcher in England das freisinnige Prinzip vertrat und auch auf dem Festlanve steistnnige Bestrebungen durch die englische Diplomatie unterstützte, der die Befreiung Koffuth's in der Türkei durchsetzte und dadurch sich Oesterreichs Feindschaft in hohem Grade zuzog. Dieser „Lord Feuerbrandder mächtige Minister England-, ein Mann voll Feuer und Thatkraft, der den Krieg gegen Rußland mit allem Nach druck führen möchte, weiltjetztbei seinem ehemaligenKreundt, deck Kaiser Napoleon Ni. in Paris, und die Welt zerbricht sich Veit Kopf därsiber> was diese. Reise bedeuten srB. Zunächst soll wohl'diese Reise deS englischen Mini sters eine Demonstration sein. Man will Rußland und auch den deutschen Mächten durch die Blume sagen: Seht, England und Frankreich find noch immer gute Freunde, seht, wir wandeln Arm in Arm, nichts kann unsre Freund schaft stören, man wird in Paris^ nicht auf den Syrenen- gesang Petersburgs hören. Man hat gesagt : Napoleon und Palmerston würden sich über die Kriegsmittrl und über englische HilfSgtldrr- lieferung besprechen. Da- kann wohl sein, denn die Mittel zur Kriegführung mögen in gegenwärtigem Augenblicke, wo die Expedition Nach der Krim nicht nach Wunsch der West mächte geht, wohl ein Gegenstand angelegentlicher Bespre chung sein. Allein was die beiden verbündeten Staaten mit einander in Bezug auf nachdrückliche Kriegführung abzumachen haben, ist schwerlich von der Art, daß dazu die Anwesenheit eines englischen Ministers in Paris noth- wendig wird. Wichtige Staatsgeschäfte fordern immer kollegialische Berathung, und je wichtiger ste find, desto weniger giebt man einem einzelnen Minister Vollmacht, Dinge zum Abschluß zu bringen, die nicht schon vorher reif sind. Sind sie aber reif und fertig, so kann man sic ebensowohl durch die beglaubigte Gesandtschaft, als durch einen persönlich in der fremden Residenz anwesenden Minister abmachen lassen. Wenn Palmerston nach Paris gereist ist, so will man der ganzen Welt wissen lassen, daß Palmerston nach Paris zum Kaiser Napoleon HI. gereist sei. ' Hat man aber wirklich Wichtiges und Neues abzumachen, so sagt man da» andern Leuten nicht ins Ohr, man schlägt eS auch nicht an die große Glocke, sondern macht es ganz im Stillen ab. Solche Besuche sollen der Welt auf fallen, sie sollen eine Demonstration sein, und zwar hier zunächst gegen Rußland, dem man die Hoffnung benehmen