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Wien, 28. Aug. Die Ruhe ist in der Haupt stadt wie im ganze» Lande nirgend gestört worden, obwohl die Regierung selbst eine solche Störung ql- Wirkung der letzten kaiserlichen Handschreiben nicht für unmöglich g/halten bat; sonst Hüne sie die Aushebung der Rationqlgarde kurz vor dem beireffenden Acte nicht so eilig betrieben, hätte nicht am 26. Aug. das Militär in den Kasernen constgniren und mit Patronen versehen lassen. Es versteht sich von selbst, daß hier nur von einem vorübergehendem Erceß, der sofort zu dämpfen war, nicht von einem eigentlichen Aufstande die Rede sein kann, der gegenwärtig in Oesterreich eine Unmöglichkeit ist. Am schlimmsten befindet sich im Moment der Finanzminister, der eine Anleihe machen soll; denn die Bankiers, die feil Mo- naten zu subscribiren. Anstand nehmen, Werder, sich neuerdings nicht besonders rrmuthigt fühlen. Daß keiner der Minister seine Entlassung fordert, ist ein Factum, das in der neuem Geschichte wohl kaum sei nes Gleichen hak; andererseits steht eS fest, daß per > Kaiser jedes EntlaffungSgesuch abschlagen, ja jgyoriren ' kann, da der Minister jetzt nur der Vollstrecker drS Die Reife zur Braut. Sclzze aus dem Leben, von Ed. Gottwald.') In dem Gastzimmer der Restauration der Station Bischofswerda auf der sächsisch-schlesischen Eisenbahn saßen im Anfang dcS Monats Juni 1848 zwei junge Männer, des ZugeS harrend, der Nachmittags 5 Uhr von Dresden abfährk. Beide waren von gleicher Größe und schienen das dreißigste Jahr noch nicht überschritten zu haben. Wie nun auf Reisen, sei eS mit dem Botenwagen oder mit Ertrapost, mit der Eisenbahn oder mir dem Dampfschiffe, eS nur der unbedeutendsten Veranlassung bedarf, um gegenseitig sich näher kennen zu lernen, so waren auch die beiden Reisenden, welche zufällig die einzigen Gäste der Restauration waren, nach der ersten Begrüßung bald in ein vertrauliches Gespräch verwickelt. Der Eine war schon mit dem Frühzuge von Dresden abgefahren und wollte nach Görlitz, hatte sich jedoch in der Nähe von Bischofs werda einige Stunden verweilen müssen, und wartete nun den Abendzug ab, um an das Ziel seiner Reise zu gelangen; während der Andere, von Stolpen kom mend, ebenfalls im Begriff war, nach Görlitz zu fahre». Es war noch nicht 5 Uhr und sonach noch eine gute Stunde Zeit, ehe der Zug ankommen konnte; die beiden Reisenden hatten eS sich daher bequem gemacht und ihre Burnus, welche in der Farbe VeS TuchS und der Besetzung mit Borde gleich waren, auf einen Stuhl übereinander gelegt. Bald wußten Beide den Zweck ihrer Reise, ein Umstand, der zu noch vertraulicherer Annäherung führte, da Jeder zum Besuche der Braut reiste. Der Eine der jungen Männer war Beamter und hatte seine Braut in Dresden kennen gelernt, wo diese zwei Monate auf Besuch bei einer Tante sich aufaehalten und dann zu ihren Aeltern nach Görlitz zuruckgekehrt war. Eine Lustpartie in die sächsische Schweiz hakte Beide näher geführt, und nach mehrmals wiederholtem Besuch des jungen Mannes im Hause der Dante war daS Pärchen vom ersten Händedruck ') Aus: „Freie Gaben für Geist und Gemüth." Zur vr- «elterang be» Unterstützungsfonds für arme Taubstumme h«aul- geyrben von I. F. Jencke, Direktor der Taubstummeu-Austult zu Dresden. ,8ül In Heften, L ü Rgr. und Kuß bis zu den Verheuerungen ewiger Liebe ge kommen^ ? Die Aeltern des Mädchens, welche zwar nicht zweifelten, daß sich ihre Louise bei der alten Tante in Dresden recht leidlich amüsiren werde, hatten jedoch nicht die geringste Ahnung von der Art Glückseligkeit, in welcher die Liebenden sich selig träumten, und-er staunten nicht wenig, als mit Ankunft der Tochter ein Brief der Tante eintraf, in welchem diese, die tn Folge ihrer Herzensgüte daS Gegentheil jeder gefähr lichen Tante war, sich glücklich schätzte, daß bei ihr Louise eine Bekanntschaft angeknüpfr, die gewiß zu einer fröhlichen Hochzeit führen würde, und nun haar klein den überraschten Aeltern die Veranlassung her Bekanntschaft und die Person und Verhältnisse de- Liebhabers beschrieb. — Der Vater Louisens, ein schlichter BürgerSMflN, früher Besitzer einer Garnbletche, die er vottheilhäjr verkauft hatte und nun von seinen Interessen lebte, schüttelte anfänglich mißbilligend den Kopf, wischte mjt dem Aufschlag seines SchlafrockärmekS seine Stobwüs^ ser'sche Dose und murmelte etwas von Romangeschich ten, Restdeuzschwinbeleien und dergleichen, während die Mutter, eine kleine korpulente Frau, mit beinahe an Phlegma grenzender GemüthSruhe, aus welcher sie Nyr — und dies sehr selten — gestört wurde, wenn ihrer Louise nicht nach Willen geschah, oder man dieser, al ber einzigen Tochter, Unrecht thun wollte, hierin et was Unangenehmes gar nicht sah, sondern vielmehr gar nicht unrichtig calculirte, daß, da gegen den jungen Mann selbst nichts einzuwenden, dessen Stkkunglim bürgerlichen Leben gesichert nnd mit einem kleinen Ver möge» verbunden war, eS uur zum Glück ihrer Tpch- ter geführt und diese durch -en Besuch ist der Residenz eine vorlheilhafte Partie gefunden habe. Nachdem Das Ellernpaar sich in die Fügung de- Himmels, wie die Mutter eS nannte, gefügt, und Letztere mit einem un beschreiblich seligen Lächeln, mit welchem ihr eS oft gelungen war, in stillen Abendstunden bei irgend einer kleinen Stockung deS Gesprächs ihrem Mann gegen über einzuschlafen, der Tochter Beifall zugenickt hatte, folgte ein Examen von Seiten des Vaters mit der 4öt — allerhöchsten Willens, «in Beamter unter Beamten ilb der wie ein Soldat so, sang« auf seinem Posten steht« muß, bis ihn fein Kaiser abruft. Das Publikum ist auf neue Ortroyirunge» gefaßt, namentlich auf M Einführung der Censur, da bei M bestehenden Paß verhältnissen trotz der strengen Represfipmaßregeln doch immer noch manches Mißliebige durchschlüpft. Kalisch, 26. August. Die Feierlichkeiten, welch« am 3. September- dem 25. ZahreStage der Krö nung deS Kaisers, in Moskau, sowie an mehre ren vorangehenden und folgenden ^TaM stättsiuden werden, sollen alles derartige bis jetzt in Rußland Gesehene übersteigen, und eS strömen bereits Reifend« äuS allen Gegenden deS großen Reiches in die Haupt stadt, um Zeuge der Psacht und Herrlichkeit zu fein. Großartige, vom Kaiser und vom Generalissimus dsr Armee, Grafen PaSkew tsch, abzuhaltende Revüen mrd Paraden werden den k rchltchen Feierlichkeiten voran gehen, Und diesen werden mit großem Aufwande welt liche Belustigungen folgen.