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(Ausgegeben am 7. December Mittags 12 Uhr.) Dresdner Journal. Verantwortlicher Redaeteur: I. G. Hartmann. V 31« Diese« Blatt erscheint mit Ausnahme des Sonntag« täglich In 1 Bogen und ist durch alle Postanstalten zu beziehen. Montag, den 8. December. Preis für das Vierteljahr IU Thaler. Insertions-Gebühren für den Raum einer gespaltenen Zeile I Neugroschen. 1851 H H Die dermalige Lage der Verhältnisse in Frankreich giebt uns Veranlassung, beim Dresdner Journal bis auf Weiteres eine zweimalige Ausgabe, die erste um 12 Uhr, die zweite Abends 6 Uhr, (Sonntags blos Mittags 12 Uhr) eintreten zu lassen. In Dresden wird das Blatt den Abonnenten stets nach Erscheinen, ohne Preiszuschlag, wie bisher frei ins Haus gesandt. Extrablätter, deren Erscheinen durch Placate angezeigt und deren Jnhall in der zunächst erscheinenden regelmäßigen Ausgabe des Blattes ausgenommen wird, werden nicht besonders versandt, sondern sind in der Expedition (Am See Nr. 35) adzuholen. Für die auswärtigen Abonnenten findet täglich zweimalige Postversendung statt. Dresden, den 6. December 1851. Die Redaction des Dresdner Jonrnals. —7 -M ,f -in- - . i das »rdm Rgr. Adv. Llr.; sgr-i irlr.s v. in chaar Ngr. Ngr. 1«. Tagesgeschichte. — Dresden, 6. December. Obschon sich gegenwärtig die telegraphischen Depeschen aus Paris einander über holen und ihre allseitige Zuverlässigkeit nur erst aus in der Regel später eingehenden ofsiciellen Eröffnungen zu be messen ist, so dürfte es doch nicht ohne Interesse sein, nach anscheinend glaubwürdigen Pcivatcorrespondenzen diejenigen Notizen zu geben, di« wenigstens einige Anhaltepunkte bie ten, um ein Bild der dortigen Zustände während der letz ten Tage zu entwerfen. Der sogenannte Kleinhandel ist keineswegs gegen den Präsidenten gestimmt, aber nicht ge rade damit zufrieden, daß die Betätigung seiner Energie in den jetzigen Zeitpunkt fällt; denn die Geschäfte, welche diese Leute gerade jetzt zu machen pflegen und von denen sie leben, liegen natürlich gänzlich darnieder. Diese große Zahl der Bevölkerung hätte nach Neujahr jeder beliebigen Maßregel vollen Beifall geschenkt; jetzt aber darbt sie und ist in Unruhe versetzt. — Um 5 Uhr am Abend des 3. De- cembec konnte man von den Boulevards nur bis an die Rue Poissoniere gelangen. Ueberall waren Truppen ausgestellt; namentlich waren die Boulevards vom Thor St. Denis bis zur Bastille stark mit Artillerie besetzt. Der Anblick der Stadt machte einen Übeln Eindruck. Die ununterbroche nen Rufe „es lebe die Republik" drangen von allen Sei ten duvcff den Lärm am vernehmlichsten durch. Neber den Vorfall an der Bastille laufen verschiedene Gerüchte. Man hatte, wie einerseits behauptet wird, am Eingänge der Vor stadt St. Antoine in der Nacht eine Barrikade errichtet. Eine Ablheilung Linientruppen forderte die Bedeckung der selben zur Räumung auf. Drei Montagnards, Baudin, Esquiros und Schölcher, mit Schcrpen umgürlet, entboten dagegen von der Barrikade aus den Eommandantcn, auf ihre Seite überzugehcn, denn der, dem sie dienten, befände sich außerhalb des Gesetzes. Der Commandant entgegnete, sie sollten sich zurückzichen, und ließ auf ihre Weigerung laden. Die Verthcidiger der Barrikade sollen hierauf unter dem Rufe den Soldaten ihre Brust entblößt haben: „Durch bohrt eure Vertreter, wenn ihr es wagen könnt!" Die Soldaten sollen anfänglich gezögert, dann aber die Barri kade erstürmt, jedoch nur die drei Vertreter verhaftet ha ben. Nach einer andern Erzählung soll Baudin auf der Barrikade getödtet, EsquiroS und Schölcher verwun det worden sein. Der letztem Angabe ist seilen des Ministeriums des Innern nicht widersprochen worden. —- General Eharras ist am Morgen des 3. December an den bei seiner Verhaftung erhaltenen Wunden gestorben. Ge neral Lamoricwre ist durch die Polizei verhaftet worden; sein Diener hat Soldaten zu Hilfe rufen wollen, ist aber durch die Stadtsergeanten zurückgehalten und leicht verwun det worden. — Von den 80 im Journal des Debats an gegebenen, die berathende Commission bildenden Mitgliedern sollen sich auch einige sträuben, unter andern Montalembert. Herr Ehaissaign« Hoyon, der unter denselben mit genannt ist, sott sich unter den 200 in der Mairie Verhafteten be finden. — Am 3. Abends war man für nächste Nacht sehr besorgt. Die Rothen waren, erbittert und ihre Führer un fähig, sic zu zügeln. Man behauptete, der Cassationshof von Rouen habe sich im obersten Gerichtshöfe versammelt und den durch das Ueberbleibsel der Nationalversammlung gethanen Ausspruch, daß der Präsident seines Amtes verlustig sei, für ge setzlich und den Präsidenten für außerhalb des Gesetzes sich be findend erklärt. — Es sollten Aufstände in Lyon und Orleans ausgebrochen sein. Mehrere Unterpräfecten seien fortgcjagt worden. Auf die von London kommenden Rothen war man gefaßt. — Als jene 250 Vertreter der Nationalversammlung der Aufforderung der Truppen sich nicht fügen wollten, hat einer derselben gemeint, sie wären an Zahl so stark, daß die Soldaten in Verlegenheit kommen würden. Der Commandant hat sich hierauf Instruction aus dem Elysee erbeten und der Präsident Hal mit größter Kaltblütigkeit erwiedert: „Da die Herren so sehr gern beisammen zu bleiben wünschten, so möchten sie sich auch zusammen niederlegen auf dem Mont Vale rien". Darauf sind sie sämmtlich, soviel es deren waren, in die Kaserne am Quai von Orsay gebracht worden. Alles waS und wie dasselbe bis jetzt auf Anordnung deS Prä sidenten geschehen ist, giebt Zcugniß davon, daß die Per sonen, welche er mit Aufträgen versehen hat, große Umsicht, Kluqbeit und bewunderungswürdige Energie besitzen. ÜI Paris, 4. December. Die ofsiciellen Aktenstücke vom gestrigen Tage sind folgende: 1> Ein Oecret des Präsidenten, welches folgende wei ¬ tere Mitglieder der Consultativcommission ernennt: Arrighi von Padua, Bonjean, de Caulaincourt, de Chazelles, Da- beaux, Echasse'ciaux, P. Gillon, Ern. de Girardin, Goulhot de St. Germain, General Husson, Höly d'Oissel, Hermann, Lawoestine (d. h. Löwenstein), General Lebreton, Lestibou- dois, General Magnan, de MaupaS, Mimerel, de la MoS- kowa, Paravey, de Paricu, F. Pascal, Perignon, de Rancü, General Vast - Vimeux^, Baisse. (Die Ernennung Napo leons zum Präsidenten, Barsches zum Vicepräsidentcn der Commission meldeten wir schon gestern). 2) Eine Proklamation des Kciegsministers: „Einwohner von Paris! Die Feinde der Ordnung und der Gesellschaft haben den Kampf begonnen. Nicht gegen die Regierung, nicht gegen den Erwählten der Nation kämpfen sie, sie wollen vielmehr Plünderung und Zerstörung. Möchten sich die guten Bürger im Namen der Gesellschaft und der bedrohten Familien vereinigen. Bleibt ruhig, Einwohner von Paris! Keine unnützen Neugierigen auf den Straßen: sie hindern die Bewegungen der braven Soldaten, die Euch mit ihren Bajonetten schützen. Was mich anlangt, so werdet Ihr mich stets unerschütterlich finden in dem Willen, Euch zu vertheidigen und die Ordnung aufrecht zu erhalten. — Der KciegSminister, nach Einsicht des Gesetzes über den Belagerungsstand, verordnet: Jedermann, der im Errichten oder Vertheidigen einer Barrikade, oder mit den Waffen in der Hand betroffen wird, unterliegt den schärfsten Kriegs gesetzen. Gez. Der Divisionsgencral, Kriegsminister de St. Arnaud." 3) Eine Verordnung bezüglich der Versammlungen, welche verfügt: Art. 1. Jede Versammlung ist streng ver boten und wird sofort mit Gewalt aufgelöst werden. Art. 2. Jedes aufrührerische Geschrei, jedes öffentliche Vorlcscn, jedes Anheflcn eines politischen Schriftstücks, das nicht von einer gesetzlichen Behörde ausgehl, ist gleichfalls untersagt. Art. 3. Die Beamten der öffentlichen Gewalt werden über die Vollziehung dieser Verordnung wachen. Dem gestern (unter IV.) mitgetheilten Circular des Mi nisters des Innern an die Pcäfccten ist ein gleiches an die Maires bcigefügt, das denselben noch eine Reihe specicller Vorschriften in Betreff dec Abstimmung giebt. Paris, 4. December. Ucber die Vorgänge am 3. December tragen wir noch folgende Details nach: Der „Patrie" zufolge — welche übrigens Louis Napo leon stets mit dem Beinamen „Prinz" bezeichnet — haben sich sehr viele Generale, Abgeordnete, Beamte und andere Nolabilitäten beeilt, den Präsidenten ihrer Ergebenheit zu versichern. Der Minister des Innern hat im Laufe des Tages sehr befriedigende Nachrichten aus einigen 40 De partements erhalten. Gegen 5 Uhr wurden Barrikaden in der Straße Rambuteau errichtet; die von General Magnan dorthin dirigirten Truppen fanden sie ohne Verlheidiger. Abends 7 Uhr war Paris vollkommen ruhig. — Gegen 4>4 Uhr baute eine Bande von ungefähr 200 Individuen in der Straße Vieilles-Audriettes eine Barrikade. Der Di rector der Nationaldruckecei St. Georges rief eine Abthei- lung Gensdarmerie zu Hülfe, die zwar mit einer Salve empfangen wurde, aber sofort die Verlheidiger der Barri kade in die Flucht schlug. Auch ein gegen 4 Uhr beim Klo ster St. Merry stattgehabter Aufstandsversuch wurde sofort unterdrückt. Als den einzigen bedeutenden Vorfall bezeich net die „Patrie" den (schon gestern näher gemeldeten) bei der Barrikade in der Vorstadt St. Antoine. Paris, 5. December. Uebcr die Vorgänge am 4. December berichtet die „Jndependance belge" Folgendes: Die Nacht war völlig ruhig, von 5 bis 10 Uhr Morgens ließ nichts einen heißen Tag vermuthen ; aber plötzlich zeigte sich um II Uhr eine aufrührerische Gährung auf mehrer» Punkten der Hauptstadt auf einmal. Es hatte sich das Gerücht verbreitet: die Demokraten von Nantes, Rouen, Amiens, selbst von Lyon kämen der Pariser Demokratie zu Hülfe; Caussidiere, Louis Blanc, Ledru Rollin wären vor den Thoren, zwei Regimenter hätten sich zu ihren Gunsten erklärt, die Nationalgarde nähme Partei für das Volk ge gen den Präsidenten, und alsbald erhoben sich Barrikaden an den Thoren St. DeniS und St. Martin, in den Stra ßen T'ansnonain, Bourtibourg, Cadet, Rougemenl, Mont martre, auf den meisten Quais rc. Sie wurden sehr bald von den Truppen zerstört, aber eben so rasch auch auf an dern Punkten wieder hergestellt. Sobald ein Omnibus kam, spannte man die Pferde aus, gab sie dem Kutscher zurück und stürzte den Wagen um, als ob eS ein Kartenhaus wäre. Die Kanonen tönten auf den Quais und am Thor St. Denis; bis Uhr war die Stadt unter der Herrschaft des Schreckens. Von da an gestatteten die Soldaten, die auf den Straßen, Kreuzwegen und Plätzen aufgestellt sind, wiederum die Passage für Einzelne. Wie sich aus den Berichten der „Patrie" vom 4. Abends ergiebt, boten die Vorgänge dieses Tages ganz dieselben Er scheinungen dar, wie man sie in den letzten Jahren auch in Deutschland kennen gelernt Hal. Schon am Abend zu vor Vorlesen von Proklamationen und lautes Geschrei auf den Boulevards; beim Eintritt der Nacht ziehen sich die Massen in die Straßen zurück, die schon seit 30 Jah ren die eigentlichen Schlupfwinkel der Barrikadenkünstlcr sind; aus Bretern und Wagen werden in den Straßen Beaubourg, Transnonain und Aumaire die Barrikaden er richtet. Die Truppen nehmen alsbald 4 Barrikaden ohne Schwertstreich, mehrere Insurgenten werden getödtet, ein halbes Hundert Blousenmänner u. A. auf der Flucht ver haftet und nach der Conciergerie gebracht. Um noch mehr aufzurcgen, parodirt man eine jener abscheulichen Fcbruar- scenen: zehn Bewaffnete ziehen singend mit zwei Leichna men bei Fackellicht in der Gegend der Straßen Grenetat, Beaubourg und Transnonain herum; sie haben bald eine Bande von an 800 Personen um sich. Gegen 10 Uhr kom men sie an die Ecke der Straße des Gravilliers, als zwei Polizeicommissare mit einigen Sladtsergeanten unbewaffnet aber muthig ihnen entgegentreten, sie zur Flucht nöthigen und sich der beiden Leichname bemächtigen. Dieselben Be amten haben in der Nähe des Wasserschlosses mehrere Ver haftungen vorgenommcn, wie denn überhaupt das ener gische Einschreiten der Polizei ganz besonders gerühmt wird. Die Freunde der Anarchie hatten aber für ihre Plün derungsgelüste einen Aufstand projeclirt, der fast die ganzen Quartiere St. Denis, St. Martin und Kloster St. Mcrn umfassen sollte. Gegen 10 Uhr wurden Barrikaden auf den Straßen St. Martin, Bourg l'Abbö, Grenvtat, Beau bourg und benachbarten errichtet. Wie schon bemerkt, wurden diese jedoch bald verlassen, und während der Nacht zogen sich die Truppen theilweise in die Kasernen zurück, während Brigaden von Stadtsergeanten die bedenklichsten Quartiere besetzten. Unterdeß erfuhr der Polizeipräfect, Laß 120 Exrepräscntanten vom Berge eine Proclamation redi- girt hatten, welche Plünderung und Zerstörung predigte. Er ergriff Mittel, ihren Druck und ihre Veröffentlichung zu verhindern; es gelang ihm. — Um 9 Uhr begann die Emeutc von Neuem, und zwar in denselben Quartieren, wie am Abend, ausgenommen Vorstadt St. Antoine, wo die Ruhe nicht wieder gestört ward; die Arbeiter gingen wieder an ihre Arbeit. Jene Errepräsentanten vom Berge suchten sich nun anderwärts zu rccrutiren. Es wurden wieder an mehrern von den Truppen entblößten Punkten Barrikaden errichtet, namentlich in den Straßen Beauborg, Transnonain, Aumaire, St. M«-ry und am Thore St. Do- nis. Um 12 Uhr Mittags waren drei Barrikaden von den Soldaten genommen. (Soweit der Bericht der „Patrie" von 4 Uhr Abends; den siegreichen Ausgang des Kampfes an demselben Abend haben die telegraphischen Depeschen schon gemeldet). — Der Vollständigkeit halber erwähnen wir noch eine Proclamation des Polizeipräfecten von Paris, welche das Fah ren von Wagen aller Art, ausgenommen der zum Transport von Lebensmitteln rc. dienenden, das Stehenblciben von Fuß gängern und daS Bilden von Gruppen auf den Straßen am 4. December verbot, sowie folgende Proclamation, welche an der Börse angeschlagen war: „Einwohner von Paris! Gan; Frankreich vereinigt sich durch seine Zustimmung zu den schweren Ereignissen, die soeben vor sich gegangen sind. Die Maßregeln der Regierung, die seit zwei Tagen in Lyon, AmienS, Lille, Reims, Poitiers, in allen Mittel punkten deS Handels und der Industrie bekannt geworden sind, haben dort die beste Aufnahme gefunden. Die Ruhe ist in keiner Weise gestört worden. Der Minister des Innern, de Morny." — Dupin, der noch im Präsidentschaftshotel der National versammlung weilt, soll nicht mehr überwacht sein. — Die Nachricht von der begonnenen Zerstörung de« bisherigen Sitzungssaales der Nationalversammlung wird auf Ent fernung seiner innern Einrichtung reducirt. Das Palais der Nationalversammlung ist blos noch durch ein Bataillon im Innern beseht, die Umgebung frei. Mit den heran-