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Mittwoch, 2V. Skplcmber 1848. Diese- Blatt Drei« ft, Dresdner Journal da» Vierteljahr 12 Lhlr. Znser1io»«geS-tz. re» färve«Na«» einer gespaltene» Zelle » «f. erscheint täglich Abend« and Ist darch alle Post. anSalte« dr«3n- nnd Auslandes j» btjiehrn. Herold für sächsische und deutsche Interessen. Redigirt von Karl Biedermann. Anzeigen aller Art für daö Abends erscheinende Blatt werden bis 12 Uhr Mittag- angenommen. Inhalt. Volksbildung und Volksschule. —LageSgrschichte: Dresden: Sitzung der ersten Kammer; der Deputatioasbericht über den Wahlgrsetzentwurf. Bärenstein bei Annaberg: Feste. Wolkenstein: Adresse an das Gesammtmimsterium. Plauen: Literarisches. Berlin. Köln. Halle: Verbrüderungsfest deutscher Stämme. Frankfurt. Prag. Italien. London. — Wissenschaft und Kunst: Die dreihundert« jährige Stiftungsfeier der Dresdner Kapelle. — Feuilleton. — Eingesendetes» —'GrschäftSkalender. — OrtSkalendrr. — Angekommenr Reisende. Volksbildung und Volksschule. Wer hätte nicht die unaussprechliche Freude über die großartigen Errungenschaften unserer Tage mitgefühlt, welche alle Gauen Deutsch land- durchdrungen und fast alle Stände mehr oder weniger in den allgemeinen Jubel mit hineingezvgen hat? Aber gleich mit dem ersten Freudenräusche hat auch die Furcht die freudeschlagenden Herzen er schüttert. Hier erblickt man mit Schrecken da- geheimnißvolle Treiben auf dem Wege de- Stillstände- und de- Rückschritte- und erfaßt krampf haft da- Recht freier Versammlungen und uncensirter Meinungsäuße rung, «eil man e- in jedem Augenblicke wieder zu verlieren meint; «ährend man auf der andern Seite vor den maßlosen Forderungen einer nie zu befriedigenden Fortschrittspartei erzittert und schon im Geiste alle Bande der Ordnung und de- Gesetze- gelöst und da- furchtbare Gespenst der Anarchie au- den gesprengten Kesseln hervorstürzen steht. Hier erschrickt man vor dem Festhalten an der Monarchie, da man die beliebte „breiteste demokratische Grundlage" mit ihr nicht zu ver einbaren und zu erhalten meint; und dort erbleichen die Gesichter vor dem Geschrei der Republikaner, weil man unter den gestürzten Thro nen auch Glück und Wohlstand der Völker zu begraben glaubt. Hier fürchtet man, die Kirche dem Staate zu lassen, um sie nicht immer wieder dem Mißbrauche einer verderblichen Rrgierung-gewalt preiS- zugeben; — dort fürchtet man die Lrmnung, um nicht einer verdum menden Hierarchie oder einer gänzlichen Zersplitterung der Kirche in die Hände zu arbeiten. Hier erschrickt man vor dem Frieden, unter dessen Hchlem Schatten die Freiheit in den alten Schlaf versinken werde! — dort erbebt man vor der Brandfackel de- Kriege-, welche die Leiden schaften der Völker gegen einander entzünden und ein zweifelhafte- Licht über die errungenen Kleinodien werfen könne. Go hat die Furcht von der äußersten Linken bi- zur äußersten Rechten wie ein drückender Alp sich gelagert, überall hat sie al- bitterer Wermnth-ttopftn der allgemeinen Freude sich beigemischt. Und ist nicht diese Furcht durch die Geschichte und die Erfahrung unserer Tage genugsam gerechtfertigt? Haben wir nicht zu fürchten, daß die theuer erkauften Errungenschaften wie ein schöner Morgentraum verfliegen, oder daß andererseit- dir weitgröffneten Schranken der Freiheit gänzlich durchbrochen und zu einem Throne roher Pöbelherrschaft aufgebaut «erden? Haben wir nicht zu fürchten, daß bei der Unabhängigkeit der Kirche vom Staate da- unheilvolle Kirchenregiment früherer Jahrhun derte au- den finsteren Zeiten de- Mittelalter- wieder heraufsteigt oder die Kirche einem gänzlichen Verfalle entgegengeht und mit ihr Religion und Sittlichkeit zu Trabe getragen werden? Haben wir nicht zu fürchten, daß die tausendfach verwickelten socialen Zustände entweder die Armuth vollend- zum Huagerrode führen oder einen fürchterlichen Umsturz aller Verhältnisse heraufbeschwören? Die hervorragendsten Geister der Ration sind in Bewegung ge setzt, die Wege zu bahnen und die Brücken zu schlagen, welche gefahrlos über die weitgeöffneten Abgründe in da- Land gesicherter Freiheit hin überführen sollen. Aber ein Mittel hat man wahrlich noch viel zu wenig bedacht, ein Mittel, ohne welche- da- Losungswort der Zeit, die Selbstherrlichkeit de- Volke-, nur ein luftige- Spiegelbild ist, da- wie ein Morgenroth vor unfern Augen verbleichen und nur den alten dun kelgrauen Himmel, der bisher über unsere Zustände au-gespannt war, zurücklassen wird. Diese- eine Mittel, ohne welche- wahrhaftig die Gebrechen der Zeit nicht mehr gehellt werden können, da- alle Parteien als Rettung-anker ergreifen sollten, e- ist kein andere- al- die Bil dung de- Volke-, durchgreifende, alle Seiten de- Men schen erfassende Bildung. Nur die wahre Bildung kann allein dem Volke die Rechte sichern, die e- im dunklen Instinkte sich errungen hat. Eia gebildete- Volk wird nun und nimmermehr sich wieder in di« abge««fenea Kette» schmieden lassen. Und wenn die Reaktion bis an den Himmel hinauf ihr Haupt erhöbe, sie hat den festen Punkt verloren, auf dem sie die Freiheit de- Volke- au- ihren Angeln reißen könnte. Und wenn sie die unveräußerlichen Menschenrechte bi- an die Sterne hinaufhinge, das Volk wird sie herunterholen und al» seine heiligsten Kleinodien im innersten Herzblute aufbewahren. Dann wird auch nicht an der Stelle der Adel-- oder Geldaristokratie eine ebenso drückende Aristokra- tie der Intelligenz das arme Volk am Gängelband« der Willkühr und des Eigennutzes leiten können. In der Bildung de- Volkes liegt seine Souveränetät. Dann, aber auch nur dann ist «S kein Wagstück mehr, dem gan zen Volke den langverschlossenen und mit Bajonetten umstellten Tem pel zu öffnen, in dem die Göttin der Freiheit auf dem Throne der Menschlichkeit ihr Zepter neigt. Ein gebildete- Volk ist nie zu fürch ten, nur die rohe Masse, die aber auch in Ketten noch fürchterlich bleibt. Da- ist die willenlose Leibgarde maßloser Radikalen, mit der sie de« Sturz alle- Bestehen herbeiführen wollen. Wenn auch die niedrigsten Stände von einfacher, aber wahrer Menschenbildung durchdrungen sind, dann werden die offenen und geheimen Pläne gegen gesetzliche Macht und wohlerworbene« Eigenthum nicht an dem dummen, aber gesunden Sinne de- Volke- scheitern; an dem dummen könnte auch einmal da- Verbrechen lange vernachlässigter Volksbildung seine Strafe finden. In der Bildung de- Volkes liegt auch di« Souve ränetät der Fürsten. Wahre Volksbildung ist auch der Erlaubnißscheia zu reiner, un verfälschter kirchlicher Freiheit. Ein selbstdenkend«- Volk braucht nicht erst Andre für sich denken zu lassen. Die Bildung de- Volke- ist der unerschütterliche Damm, der selbst bei der größten Freiheit und Unab hängigkeit die Kirche vor dem Zerfließen in die sonderbarsten Sekten und Parteien schützen wird. Wie die politischen Verrücktheiten, so werden dann auch die religiösen Verirrungen an der gesunden Ver nunft de- Volke- sich den Kopf zerschlagen, aber freilich muß eine solche