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6. Eormabend, de« 8. Februar. 1890. Aetletrißische Aeitage zum sächsischm Erzähler. Zur gemeinnützigen Unterhaltung für alle Stände. (Wird jeder Sonnabends-Nummer ohne Preiserhöhung des Hauptblattes beigegeben.) Von Ernst Maurer. Wer seines Lebens höchsten Preis verlor, DaS Ziel Her liebsten Wünsche sah entschwinden. Und doch die Liebe nicht zum Herrn verlor, . Den heben Engel einst zu Gott empor Und droben wird sein Glück er wieder finden. Wie oftmals bleibt auf Erden unerfüllt Der heiße Wunsch, der tief die Brust durchzittert, Und manches Herz von wonn'ger Gluth erfüllt, Das man verkannt, deß' Sehnen ungestillt, Ward durch den Gram verhärtet und verbittert. Allein ein frommes Herz, das Gott geweiht, Wird solche schwere Prüfung still ertragen, Die Liebe, die es Einem still geweiht, Der sie verkannt, geläutert durch das Leid, Auf alles Große, Schöne übertragen. Ein wahrhaft frommes Herz zernichtet Nichts; Ihm bietet Trost uneigennützig Streben Für Alle, die ihm nah; es wünscht sich Nichts, Als segenbringend wie ein Strahl des Lichts Die Seinen liebend, schützend zu umschweben. Im Glücke Andrer findet's Trost und Lohn Und nahet sich dem reifen Aehrenhalme Die Sichel, kann der Tod nicht bitter droh'n. Es heben Engel sanft zum Himmelsthron Solch' frommes Herz und reichen ihm die Palme! Um eine Stunde zn spät. Criminal-Novelle von H. Deutschmann. (Schluß.) Bevor dann am Spätnachmittag der Vater Elsen's mit' der Todtenmarie bei dem braven Vertheidiger Erichs eintraf, war dieser schon durch den alten Arzt von der seltsamen Aufklärung, welche die Alte gegeben, unterrichtet, und mit Spannung sah der Anwalt dem Besuche der Retterin seines Klienten vom Tode entgegen. Es war spät am Abend, als der Waldseehofbauer mit der Todtenmarie aus der Residenz von seinem Besuche bei dem Vertheidiger Erich's zurückkehrte. Die Alte wurde für die Nacht im Herrenhause ein- quartirt; am anderen Morgen trat sie dann ihren Weg nach ihrem Heimathsdorfe an, nachdem der Vater Elsen's der alten Frau nochmals eingeschärft hatte, nicht zuviel über des verurtheilten Oberförsters Ange legenheit gegen die Leute zu plaudern, sondern genau den Anweisungen des Anwaltes Folge zu leisten. Der Beweis von Erich's Unschuld war also erbracht, — Erbracht durch eine armselige Botenfrau, an die kein Mensch gedacht hatte. Vater und Tochter hatten an dem Abend des ver- hängnißvollen Tages, in dessen erster Hälfte das Leben Erich's und Elsen's an einem schwachen Faden hing, noch eine lange Unterredung. Erich — unschuldig und gerettet! Dieser Gedanke, diese Gewißheit mußte ja jede Herzenswunde rasch heilen, Alles wieder gut machen, was das unheilvolle Geschick so grausam zerstört und zerschlagen hatte. * * * Der Vertheidiger Erichs hatte schon am nächsten Tage eine zweite Audienz beim Justizminister erbeten und erhalten. Der Anwalt drang auf dieselbe, weil er höchst wichtige Mittheilungen zu machen habe. Er erschien in Begleitung des alten Arztes, welcher die verstorbene Frau des Oberförsters in Behandlung gehabt hatte. Der Justizminister blickte überrascht auf, als er die beiden Herren eintreten sah. „Excellenz entschuldigen" — begann der Advocat — „daß ich unangemeldet den Herrn Sanitätsrath einführe, Zeit und Umstände drängen, mit wenig Worten läßt sich Alles erklären." Se. Excellenz war sehr gnädig, vielleicht schon der Neugierde wegen, er ließ die Herren Platz nehmen und entgegnete herablassend: „Reden Sie." „Excellenz" — sagte der Advocat — „ich erbat mir gestern die Erlaubniß, für meinen unglücklichen Klienten ein zweites Gnadengesuch an Seine königliche Hoheit richten und es dem obergerichtlichen Bericht über den Zwischenfall beifügen zu dürfen. Das Gnadengesuch wird hinfällig, dagegen habe ich um eine sofortige Wiederaufnahme des Processes zu bitten, da ich die Beweise der völligen Unschuld des zum Tode Verurtheilten zu erbringen vermag."