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Der sächsische Erzähler : 26.08.1939
- Erscheinungsdatum
- 1939-08-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1735715891-193908267
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1735715891-19390826
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1735715891-19390826
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Der sächsische Erzähler
-
Jahr
1939
-
Monat
1939-08
- Tag 1939-08-26
-
Monat
1939-08
-
Jahr
1939
- Titel
- Der sächsische Erzähler : 26.08.1939
- Autor
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»er steht i Geschichte» von Hermann Müller Get«e»»t marschiert! LI» der Führer im Sommer 1Ä8 au» allen Gauen de» Reiche» stiftende Männer »um,Bau de» Westwall» rief, wurde ein« Grupp« Zimmerleute. Holzhauer, Maurer und Erdarbeiter au» dear sqänen Murgtale de» grünen Schwarzwaldes im Bien- ivald etngesecht. Mir sollen Bunker bauen!" sagte Anton Züpfle, der Zim- mermetster. zu seinen Kameraden. Und sie, die ihren Mann an de« Kampffronten de» Weltkriege» gestanden hatten, packten ihre Vorstellungen von dm Kampfbinderniflen au» und machten sich -in Bild tyrer künftigen Arbeit. Doch die fleißigen Männer de» Schwarzwaldes mußten zuerst Lehrgeld zahlen, denn die Bunker deS Westwalls übertrafen in rlnlage, Gröhe und Ausführung alle ihre bisherigen Vorstellun gen. Aber die Männer, denen der Umgang mit Hol» und Stein von den Ahnen vererbt und sozusagen schicksalShaft in» Blut ge legt war, arbeiteten sich spielend ein. In einer Kolonne von vierzig Mann wurde Anton Züpfle mit den siebzehn Kameraden eingesetzt. ErdauShub, Erdbewe gungen, Planieren besorgte eine andere Kolonne. Für Züpfles Abteilung blieb Einrusten und Verschalen als AufgÄe. Bunker bauen war etwas anderes als Häuser zimmern, Schuppen aufschlagen und Stallungen errichten. Doch mit den» handwerklichen Geschick der Fachleute ausgerüstet, wurde das Bunkerbauen der Kolonne Züpfle zu einer heiligen Verpflich tung. Sie begriffen, angesichts der in blauer Ferne zum Himmel ragenden Silhouette LeS Schwarzwaldes, daß die gestellte Auf gabe mit Ernst und Eifer in einer unübertrefflichen Vollkom menheit zum Schutze der Heimat gelöst werden müsse. Ohne die Absicht deS Hervortuns —dazu waren Züpfle und seine Landsleute viel zu bescheiden — hatten sich die Schwarz wälder bald zum ArbeitSkern der Kolonne entwickelt. Und so kam eS, daß Anton Züpfle bei dem nächsten Arbeits einsatz nach Vollendung der ersten Aufgabe dem Werkführer, bei bem er, wle die Kameraden sagten, einen Stein im Brett hatte, den Vorschlag machte, die Kolonne zu teilen. Halb solle man sie dem Wilhelm Faust und halb ihm anvertrauen und bei verschie denen Bauten einsetzen. Denn einmal wären es zu viel — „wir treten uns gegenseitig die Füß' ab", sagte Anton Züpfle. Zum andern verleihe der Wettstreit der Arbeit dieser gewiß schnelle ren Fortgang. Nm Tage darauf schon wurde Züpfles Vorschlag durchge führt. Die Kolonne Züpfle und Faust begannen jede für sich ihr Werk. .Lei, wie das nun kuppte! Die Sägen kreischten, die Texte krachten, die Hämmer klopften, und die Nägel schrien. Vom ne- velschwangeren Septembermorgen Vis in den regenfeuchten Oktoberabend hinein werkten die Männer der Kolonne Züpfle mit den Schaffenden der Gruppe Faust um die gute Vollendung ihrer Aufgaben. Nicht daß eS ein leichtes Spiel gewesen wäre! Wie Lei jedem Wettkampf gab es schwere Hindernisse und unvor hergesehen« Zufälligkeiten au» dem Wege zu räumen. Boden, Wmser. Winvund Wetter griffen hemmend in die Speichen de» ArbettSradeS. Aber da» all« wurde gemeistert! Und so wurde au» Wille, Ehre, Fleiß, Geschick und freudiger Hingabe da» Unmögliche niöglich. In der festgesetzten Bauzeit Nässten die Kolonnen Züpfle und Faust ihr Arveitsteil anzwei Bunkern. Der Werkmeister beantragte für die wackeren Män ner eine Sonderbelohnung und verlängerten Heimaturlaub. Hier kommt keiner durch! Nachdem der Steinhauer Karl Stark vom September 1938 an ein halbes Jahr am Westwall gearbeitet hatte und in die Hei- mat entlassen worden war, erhielt er bald darauf einen Gestel lungsbefehl zu einer Landwehrübung. Und so zog er dann die feldgraue Uniform an, die er 1918 nach seinem Frontdienst ab gelegt batte. Als es nach dem Westen ging, kam e» Karl Stark vor, als beziehe er zum dritten Male für sein Vaterland dort Stellung: erstmals im Weltkrieg, das zweitemal mit Hammer und Stein meißel und das drittemal nun als Landwehrmann. Zugleich er wachte in Karl Stark der Wunsch, als Soldat einmal das Werk auSzuvroben, an dem er mttgebaut hatte. Vierzehn Tage später wurde das Regiment tatsächlich am Westwall eingesetzt. Karl Stark klopfte das Herz vor Freude. Doch ließ er sich nichts anmerken, als er zu den Sturmtruppen eingeteilt wurde, die den Auftrag hatten, eine nach mehrstündi gem Trommelfeuer sturmreif gemachte Befestigung zu nehmen. Mit Leib und Seele Soldat, alle Erfahrung des Frontkrieges ausnutzend, arbeitete sich der Unteroffizier Stark mit seinem Trupp an den Bunker heran. Jede Bodenfalte voraussehend und ausnutzend, kam er voran, Welter voran als die andern Sturm truppen, die alle dem mörderischen Feuer des Bunkers zum Opfer sielen. Mit scharfen Augen beobachtete die Bunkerbesatzung nun den Sturmtrupp Stark; eine Maschinengewehrgarbe nach der andern schüttete sie über ihn hin. Nirgends mehr ein toter Win ket zum Ausschnaufen nach der harten Bodenarbeit. Wo noch einer seiner Leute einen kleinen Strauch, einen Grasbüschel zum Vorwärtsdringen ausnutzen wollte, lag im nächsten Augenblick eine Feuergarbe darauf, und der Schiedsrichter entschied: außer Gefecht gesetzt! Mit Wut und Freude zugleich sah Karl Stark seine Kame raden ein Opfer des Bunkers werden. Er aber gab den Kampf nicht auf, und die Schiedsrichter ließen ihn trotz der Aussichts losigkeit seines Kampfes noch eine Weile weitermachen. //////»> cVr Und Weiß der Teuf«!, wie Kar! Stark«» fertig brachte, ec kam schließlich al» einziger Mann von der ganzen «niedergemäh ten" Kompanie auf Rufnähe heran an den Bunker. Dort freilich wurde er „abgeschossen . Der Hompameführer ließ Karl Stark rufen, er sollte Wch» schluß geben, wie er da» Kunststück fertig gebracht hätte. ,Da» hatt' ich selbst net gedacht!" sagte Stark. „Unn wenn ich näher rangekommen bin als die andern, so nur deshalb, weil ich ia paar Wochen an ihm mttgebaut hab' und mich hier gut auskenn'. Aber so schlimm hätt ich mir mein Lebtag de» Bun ker net vorgestellt. Hier kommt keiner durch!" Spaziergang zwischen Bunker» Klaus Krok hatte Besuch bekommen. Seine «Ulte", ww «x sagte. Und die beiden ältesten Buben von de» vi«r NauO»» M Hause hatte sie auch noch mttgebracht. Seit dem Weihnachtsurlaub war Klaus Krok nicht mehr ^tz»- heeme" gewesen, und da nun Angehörige der Arbeiter die Ver günstigung haben, ihre Verwandten am Westwallbau besuchen zu können, fuhr Frau Krok mit ihren zwei Buben zu ihrem Mann. Die Kameraden hatten die Wohnbaracke und die Stube des Schachtmeisters Krok zum Willkommen seiner Frau kunstvoll ausgeschmuckt. In der Kantine wurde cs ein fröhlicher Begrüßuugsabcnd, der sich mit Lachen, Singe» und Bechern bis in den frühen Sonntagmorgen hinzog. Nach langem, erquickendem Schlaf — die beiden Buben wur den von Arbeitskameraden mit Spaßen und Spielen unterhal ten, damit sie die Eltern nicht zu früh störten — erschienen end lich Schachtmeistcr Krok und Frau. „Nu bin ich", sagte Minna Krok, „schont c janzc Dag bei dich unn du hast mich net emal eine Bunker gereicht. Nach dem Esse reichst de mich en Bunker." Die beiden Jungen baten auch den Vater deswegen und so willigte er schließlich ein. Es ging an Baugruben, Zimmerplätzen, Kränen, Baggern, Rammen, Gleisanlagen,'leeren Kippwagen, kalten Lokomotiven und Straßenwalzen vorbei, und Vater Krok mußte den Jungen hundert Fragen beantworten und erklären, was und warum das sei. Schließlich kamen sie durch Gemarkungen, auf deren Aeckcrn Saaten reiften und Kartoffeln und Rüben üppig ins Kraut schossen. Dann ging eS durch ein Dorf, cs kam schöner Wald und dann wieder Ackerland und so fort. Die Sommersonne brannte beiß, und die beiden Jungen rie fen nach Wasser, sie hätten Durst. „Dunnerlittchen, wenn nich bald Bunker kommen, kehren wir ein, Mann!" sagte Minna. Da mußte Klaus Krok lachen. „Frau, haste nichts gemerkt?" An mehreren Bunkern bist de vorbeigetappt, unn nu stehst de mittemang uff eenem unn merkst immer noch nichts?" „Oh, Jotte, Jotte! Kann so'n Ding nicht losgehen? Unn mitten rauf latschen wir? Nichts kann ich sehn!" „Dat ist et ja gerade, Minna. Mit de Bunker ist et wie zwischen uns Leide. Wat se wert sin, nierkt man erst, wenn et en richtige Krach gibt." — „Meenst de?" meint Minna. — „So ist et!" bestätigte Klaus Krok. er den ewigen, unvergänglichen Dingen verkrauk, der wird auf dieser Srde den Fuß in Ilngewittern und da- Haupt in Sonnenstrahlen haben, der wird hier unverlegen und immer größer fein, als was ihm begegnet. Claudius Träume um Johanne Roman von Christel Broehl-Delhaes Verlag Oo^ar Meister, Werdau i. Sa. üorl,eyung) «Ich werde arbeiten!" ^,Sje arbeiten viel zu viel. Und SaS gibt den Ausgleich?" «Sport, gnädiges Fräulein." „Mönch!" lachte sie leise, utch daS blonde Gewqschel ihres HaareS rührte an seinen geschlossenen Mund. ES duftete, und er vermeint eS zu schmecken. ES schmeckte ganz bittersüß wie der Duft war, der ihrem Haar entstieg. Er blickte nieder und traf auf ihre Augen, die ihn ansahen, und zu dem Ausruf „Mönch" voll leisen Spottes lächelten. Da dachte er jäh an die Frau, die in Neuenahr aus dem Auto gestiegen war. Er hörte fast Physisch ihre sinnliche Stimme. Es war nicht die Stimme der Fremden, es war Gittas Stimme, die er vernahm, die an dauernd zu ihm sprach. Sein Gesicht war voll Glut, seine Lip pen öffneten sich, er fühlte die Innenflächen seiner Hände feucht werden. Ein verwirrendes, widriges, süßes Gefühl kkvch sein Rückenmark entlang. „Sie sind wirklich überarbeitet," hörte er die Stimme sei ner Tänzerin an seinem Ohr, „wollen wir aufhören?" Sie nahm seinen Arm und führte ihn von den Tanzenden fort in einen keinen, seitlich gelegenen Salon, in dem einige Damen und Herren Kaffee tranken. Sie setzte sich nebm ihn auf ein Sofa, nahm seine rechte Hand und sagte: „Es wird Zeit, daß sich ein weibliches Wesen Ihrer annimmt." Johanne, die Mutter, die Arbeit sind ausgelöscht. Wie ist Las möglich? Wo ist man? In einer anderen Welt, zu der man von Geburt her nicht gehört, und von der man infolge dessen verwirrt wird. Neben Erich sitzt eine Frau, und ihre leise Stimme tönt immerfort, einschläfernd und erregend zu gleich gegen sein Ohr. , - „Erich kann sich sehr glücklich schätzen, liebste Jo," schreibt Frau Kyver an Johanne Gahl nach BreSlau, „er hat daS Nennen gemacht. Sein Entwurf ist angenommen worden. Braubach hat sich stark für ihn eingesetzt. Erich verkehrt fast täglich in seinem Hause. Natürlich ist er nun Hahn im Korbe. Die Damenwelt der besten Kreise reckt den HalS nach meinem Jungen, liebste Jo, gerade nach meinem Jungen. Daß ich daS noch erlebe, ist zum großen Teil auch Ihr Verdienst, Johanne. Ich schreibe eS Ihrem großen Einfluß und untadeligen Cha- ratter zu, daß der Junge sich bisher nie verschleuderte. Es hat allen Anschein, als ob eS zwischen ihm und Gitta Mensch- lin zu etwa» käme — Denken Sie nur, welches Glück: AlS Schwiegersohn deS Bürgermeisters säße Erich mit einemmal drin. ES wäre der Gipfel. Ich bin so glücklich, Jo " Ueber vier Seiten ging der Brief so fort. Johanne zer knitterte ihn in ihren Fingern. Sie war zum erstenmal aufge wühlt bis inS Innerste. DaS war Erich? Sein Ehrgeiz trieb ihn dazu, Gitta Menschlin einzufangen? DaS war Erich? Und Liesen Menschen, dem seine innerliche Verlobung nichts war, geniessen am Vorteil einer geschäftsmäßigen Heirat, diesen Menschen hatte sie geliebt? Sie zwang sich dazu, ruhiger zn werden, nachzudenken, die Gründe zu erfassen. Mit keiner Silbe hatte Erich selbst bisher von Gitta Menschlin gesprochen. Seine seltener werdenden Briefe entschuldigte er mit vermehrter Ar beit; sie glaubte ihm daS. Sprach er nicht von Gitta, um ihr nicht wehe zu tun? Wollte er damit warten, Vis sie wiederkam, daß er, Auge in Auge mit ihr, eS ihr in aller Freundschaft sagen konnte? Sie sah diesen Erich vor ihrer verwundeten Seele stehen, sah ihn, wie er sich damals aufgelehnt hatte gegm ihre Protektion, hörte fast wörtlich seine flammenden Worte, daß er au» eigener Kraft beweisen wolle, waS er könne. Konn te sich während weniger Wochen ein Mensch so sehr ändern? Nein, niemals. Erich, lieber Bub, du lieber, törichter, kind hafter Bub. Nein, ehrlos ehrgeizig war er nicht. Und wenn er eS nicht war, dann liebte er Gitta Menschlin. Johanne Gahl meisterte ihr zitterndes Herz, meisterte, ihre Kopflosigkeit, die sie zu der Unüberlegtheit einer sofortigen Heimreise verleiten wollte. Sollte sie den Kampf aufnehmen, sich lächerlich machen in der Niederlage vor der Jüngeren, Strahlenden, Vesser zu ihm Passenden? Hatte sie ihm nicht die Freiheit gelassen? „Die Hauptsache ist es, daß wir uns inner lich verlobt wissen." Wann hatte sie solches zu ihm gesagt?... Ihn freigeben? Klaglos, kampflos? All daS Schöne und Hohe und Reine, das in ihm war, einer anderen überlassen, ohne zu wissen, wie jene es verwaltete, was sie damit trieb und daraus machte? Hatte sie nicht ein Anrecht auf diese Seele, die sie gehütet und vor Ekel und Ernüchterung ängstlich bewahrt? Es ist so: Man hat kein Recht. Auf nichts! Aus keinen! Nicht auf Len liebsten, den angebetetsten Menschen! Aber war es nicht vielleicht eine Verirrung von ihm? Stauchte sie vielleicht nur die Hand auszustrecken, um ihn wieder an sich nehmen zu können? Ihre Gedanken gingen viel weiter und glaubten zu erkennen, was sie in Hellsicht und Vernunft des Herzens ge fürchtet, die über die Leidenschaft des Gefühls in ihr gesiegt hatten: Daß sie die Verehrung des Knaben für Liebe gehalten und daß er jetzt, nachdem er geworden und gewachsen, erst reis für dieses Gefühl geworden war, reif in der Zuneigung zu einem anderen Mädchen. Seine Bewunderung für sie hatte ihm Liebe vorgetäuscht. Er kannte nicht Liebe. Und nun mochte er erwachen. Johanne erinnerte sich an sein Gesicht, als er da mals in Neuenahr vor der fremden Frau den Wagenschlag ge öffnet hatte; und sie gab es auf, sich wider Gitta Menschlin, die ihn ihr genommen, aufzulehnen. Sie sah, daß er seinen Weg gehen mußte. ' In Wirklichkeit sah es doch noch etwas anders aus, als es die verliebte und geschmeichelte Mutternatur in Frau Kyber auSgemalt: Der keine, rassige Renner Gitta Menschlins stand immer gerade dann in der Nähe des Bauamts, wenn Erich Kyber kommen mußte. Sie brachte es fertig, ihn schnell zu ver locken, seine Arbeit liegenzulassen und sie auf einer Fahrt, bei der sie meistensteils über die Landstraßen an der Peri pherie der Stadt raste, zu begleiten. Wollte er nicht unhöflich sein, so mußte er ihr nachgeben, zumal er jetzt sein eigener Herr war und sich nicht mehr an bestimmte Arbeitsstunden band. Auf solcher Fahrt zwang sie ihn einmal dazu, Tennis zu spielen. Er hatte lange nicht mehr den Schlager in der Hand gehabt, aber Gitta Menschlin spielte so elegant und die Bewe gungen ihrer schlanken, gertenhaften Gestalt waren so hinrei ßend graziös, daß sein Blut pochte und eine sonderbare Ge walt ihn zwang, ihr zu folgen, zu parieren, anzugeven, sie zu schlagen. Von nun an spielte er regelmäßig mit ihr. Sie sprach kaum ein Wort mit ihm. Verbissen und zäh rangen sie gegen einander. Kyber wurde bald ihr Meister; sie kam nicht mehr gegen ihn auf. Um so mehr siegte sie auf der anderen Linie. Der Mann in ihm sah während des Spiels, obwohl ihm kein Ball entging und vor seinen Sprüngen den Boden berührte, daS Spiel ihreS Körpers, die Schönheit und Geschmeidigkeit ihrer Glieder, den fehlerlosen, wohlgeformten Leib des jungen Mädchens unter der leichten Hülle des losen, weißen KleideS. Dennoch war alles ganz anders, als Frau Kyver vermutete. Erich ängstigte sich vor seinen Gedanken und den Regungen, die Gitta in ihm anfachte; er suchte sie nicht und fühlte sich nicht von ihnen beglückt oder mit Sehnsucht erfüllt. In der Stadt munkelten sie von neuem. Der Kyber war doch ein ausgekochter Hund. Ausgerechnet die Tochter deS Bürgermeisters. Der setzte sich fein in ein gemachtes Bett. Ein bißchen Ringen und Ehrgeiz, aber nichts im Vergleich zu bem sicheren Leben, daS ihm als Stadtvaurat — vielleicht einmal Geheimer Baurat — bevorstand. Erst läßt er sich ein bißchen lancieren von der Gahl, die ihm dann nachher doch wohl als zu alt für ihn erscheint, und er streckt die Hände auS nach dem schönsten und begehrenswertesten Mädchen der städtischen Ge sellschaft. So ein Junge! Mit seinen blauen Augen, seinem blonden Haarschopf und seiner Figur hat er daS Rennen ge macht. Wie wird es denn die Gahl aufnehmen? Die Gahl hat ihn doch erst berühmt gemacht, w^ / sie ihm. dem Unbekannten, dem Nichts in der Kunstwelt, die Gemälde zu ihrem berühmten Buch anvertraute. Und der Junge hatte das alles gemacht. So mit dem kleinen Finger, so von ungefähr. Wer wußte denn, daß es nicht Kyber war, der die Hände nach Gitta Menschlin ausgestreckt? Wer wußte denn, daß dem leidenschaftlichen Mäd chen die Zurückhaltung und Kühle eines jungen Menschen, der so gar nicht zu haben war, das Blut aufpeitschte. Die meisten Jungens, ja, sogar besonnene Männer, ehrenwerte Bürger der Stadt, waren ein wenig zum Spielball dieses entzückenden, leichtblütigen Mädchens geworden; Kyber allein versagte voll kommen. Kyber, der Asket, Kyber, der Mönch, sah gar keine Mädchen an. Aber sie wollte ihn haben; gerade ihn wollte sie haben. Später war es zu überlegen, ob sie mit ihm spielen oder ihn ernst nehmen würde. Es hatte den Anschein, als wäre er nur ernst zu nehmen. Neuerdings stand ihm auch ein Pferd zur Verfügung. Kyber hatte seine Leidenschaft für Pferde einmal in Gegen wart Braubachs fallen lassen. Braubach hatte ihm liebenswür digerweise und mit Versicherung der Selbstverständlichkeit sei nes Angebots seinen Stall zur Verfügung gestellt. Obwohl eS ihn gelockt hatte, war Erich dennoch zu stolz gewesen, davon Gebrauch zu machen. Bis eines Morgens in aller Frühe ein Stallbursche,mit zwei Pferden vor der Tür stand und wortlos darauf wartete, daß Erich erscheine und sich in den Sattel schwinge. Seitdem wehrte sich Erich nicht mehr. Er gab sich sehr diesem Lieblingssport hin; er war der einzige, der in frü hen Morgenstunden durch den nahen Wald raste, Höhen und Gräben nahm, über Zäune nnd geschichtete Baumstämme sprang. Plötzlich bekam er eine Gefährtin: Gitta Menschlin begegnete ihm auf den einsamsten Wegen und es war selbst verständlich, daß er ihre unbegleiteten Ritte unter seinen Schutz nahm. Es begann ihm auch zu gefallen, wie sie neben ihm war: beim Schwimmen, beim Tennis, nun auch bei seinen Rittey. Im Theater holte sie ihn in die Proszeniumsloge und er wurde von anderen Männern glühend beneidet. Diesmal schmeichelte es ihm, daß er es war, den dieses schöne, verwöhnte und begehrte Mädchen auszeichnete. Jedoch dachte er nie über sie und sein inneres Verhältnis zu ihr nach. Er suchte nicht in ihr nach jenem Ausdruck seelischer Verwandtschaft, der ihn an Johanne so entzückt; er nahm zumeist in ihrer Nähe, obwohl er es nicht suchte, die Reize ihrer unvergleichlichen Erscheinung und den unerhörten Glanz ihrer Haltung wahr. Wenn er mit ihr zusammen gewesen war — und es verging bald kaum mehr ein Tag — brannte cs irgendwie in seinem Blut, er konnte abends nicht einschlafen und wurde von bedrängenden, wilden Träumen gequält. Dennoch suchte er nicht heftiger ihre Nähe und ließ sich immer noch — obwohl vollkommen ungewollt und unbewußt — nur von Gitta betören; er selbst unternahm durch aus nichts, sie wiederzusehen. Dieser Zustand, der Wochen-, ja monateleng währte, brachte das heißblütige Mädchen völlig um seinen Verstand. Sie hatte niemals mit einem solch — wie sie glaubte — raffinierten Bur schen zu tun gehabt. Sie hatte bisher gespielt und sich mit Männern und ihren mehr oder weniger ernsthaften Gefühlen für sie die Zeit vertrieben; bei diesem jungen Mann war sie gewillt, den Kopf zu verlieren, das Letzte zu wagen, und in ihrer Enttäuschung und Empörung jonglierte sie mit den arm seligsten Mitteln abgegriffener Verführungskunst. Sie ahnte dennoch nicht, wie nahe Erich daran war, wirk lich zu unterliegen. Er war wie ein Erwachter, nüchtern Er kennender, aus verzaubertem Traum Geweckter, denn er begriff in einer weiteren, furchtbaren Nacht, daß er dieses Mädchen begehrte. Er dachte nicht einmal daran, irgendwie eine Form einzuhalten und um ihre Hand zu bitten. Er hatte überhaupt jedes anständige Gefühl verloren. Er sah die Natur nicht mehr, wenn er neben Gitta durch die Gegend raste: auf dem Pferde, in ihrem zur Tollheit verleitenden Renner. Er sah das Lenk rad und ihre spitznägeligen Finger darüber, er sah das Pferd nnd ihre wie angegossenen Stiefeln an seinen Flanken. Er sah nicht mehr Bäume und Wald und Sonne und Wasser, die sein Herz jauchzen gemacht. Und neben Leiikrad, Pferd und Ten nisschläger wühlten anderseits seine Gedanken in Zement, Eisenträgern, sachlichen Baulinicn und nackten, glatten Wänden. (Fortsetzung kolM .
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